Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte eines Kunstfälschers, der um sein Leben malte
Im Juli 1945 stand der Maler Han van Meegeren in seinem Atelier in Amsterdam und malte um sein Leben. Er musste beweisen, dass er tatsächlich ein Kunstfälscher war. Sollte ihm das nicht gelingen, drohte ihm die Todesstrafe. Der Grund: Van Meegeren war wegen Landesverrat angeklagt. Er hatte während des Zweiten Weltkriegs ein Gemälde verkauft – an den Nationalsozialisten Hermann Göring.
Nicht nur Göring, auch Hitler kaufte in der Kriegszeit wertvolle Gemälde, um seine Sammlung zu erweitern. Beide ließen systematisch die von NS-Deutschland besetzten Gebiete nach Kunstwerken durchkämmen. Etliche Bilder wurden beschlagnahmt, andere gekauft, wobei es sich vielfach nicht um freiwillig angebotene Werke handelte, sondern um so genannte Notverkäufe. Ganz oben auf der Raubkunstliste stand der Name eines niederländischen Malers aus dem 17. Jahrhundert: Jan Vermeer (1632–1675). Der Künstler gilt bis heute als Ikone des goldenen Zeitalters der Niederlande, und seine Bilder sind Millionen von Euro wert.
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Hitler hatte sich zwei Vermeer-Gemälde gesichert – »Die Malkunst« und »Der Astronom« – und war damit Göring zuvorgekommen. Der sah 1942 die Chance, einen Vermeer zu erwerben. Ein Kunsthändler bot ihm das Bild »Christus und die Ehebrecherin« an. Göring kaufte das Gemälde. Was er aber nicht ahnte: Es handelte sich um eine Fälschung. Viele Künstler hatten dieses Motiv gemalt, Vermeer allerdings nie.
1945 wurde Görings Vermeer dann wie viele andere Kunstwerke von den Alliierten konfisziert. Der Betrug war bis dahin noch nicht aufgeflogen, doch der Fälscher war ins Visier von Ermittlern geraten. Joop Piller, ein jüdischer Widerstandskämpfer, der im Auftrag des Büros zur Bekämpfung von Vermögensflucht nach NS-Kollaborateuren fahndete, hatte van Meegerens Namen in den Büchern des Kunsthändlers entdeckt. Jener hatte den Verkauf an Göring vermerkt. Piller hielt van Meegeren für einen Kollaborateur, der nationales Kulturgut an die Nazis veräußert habe.
Kunst aus dem Backofen
»Christus und die Ehebrecherin« war nicht der erste Vermeer, den van Meegeren gefälscht und erfolgreich verkauft hatte. Nach seinem Studium an der Kunstakademie in Den Haag etablierte er sich als Künstler und wurde mit der Skizze eines Rehs (»Hertje«) bekannt. Das Bild hing bald in zahlreichen Repliken in vielen Wohnungen der Niederlande. Auch als Porträtmaler verdiente van Meegeren gut, doch die Anerkennung der Kunstszene blieb aus. Sein Stil galt als kitschig und volkstümlich. Irgendwann Anfang der 1930er Jahre begann er dann, die Bilder alter Meister zu kopieren.
Van Meegeren setzte sich intensiv mit den Arbeitstechniken des 17. und 18. Jahrhunderts auseinander. Seine Fälschungen sollten den kritischen Blicken der Gutachter standhalten. Dazu war es nötig, diese Bilder mit echt wirkendem Krakelee zu versehen. Als Krakelee bezeichnen Fachleute die vielen kleinen Risse bei Ölgemälden, die mit zunehmendem Alter auftreten, wenn die Ölfarbe aushärtet. Van Meegeren hatte aber keine Zeit, Jahre oder gar Jahrzehnte zu warten, bis er seine Fälschungen zum Verkauf anbieten konnte. Und so experimentierte er mit dem Kunststoff Bakelit, das er im Ofen ausbacken ließ.
Nach jahrelangen Versuchen und verkohlten Leinwänden war es dann 1937 so weit: Er gab sein erstes gefälschtes Bild an einen Kunsthändler. Das Gemälde nannte er »Christus und die Jünger in Emmaus« – und signierte es mit »Jan Vermeer«. Die niederländische Kunstwelt stand kopf! Es gab zwar starke Zweifel an der Echtheit des Bildes, aber ein renommierter Kunsthistoriker und Vermeer-Experte stellte schließlich ein Echtheitszertifikat aus. 1938 wurde es in einer Ausstellung in Rotterdam (Museum Boijmans Van Beuningen) vorgestellt. Bis van Meegeren enttarnt wurde, galt es als das berühmteste Werk von Vermeer überhaupt.
Bis 1943 malte van Meegeren noch fünf weitere Vermeer-Fälschungen. Warum er gerade den Stil des niederländischen Meisters nachahmte, hatte einen guten Grund: Vermeer war nach seinem Tod in Vergessenheit geraten. Erst im 19. Jahrhundert wurde er wiederentdeckt. Vermeers Biografie weist daher große Lücken auf, und die Zahl der Bilder, die ihm zugeschrieben werden, ist eher gering. Heute sind es 37 Gemälde. Van Meegeren kopierte bei seinen Fälschungen keine bekannten Vermeer-Bilder, sondern etablierte bewusst eine neue Stilvariante und erfand auf diese Weise – überzeugend für die Kunstwelt – ein neues Kapitel in der Werkgeschichte des alten Meisters.
Ein Kunstfälscher malt um sein Leben
Als van Meegeren nach Kriegsende angeklagt wurde, wusste er keinen anderen Ausweg mehr – er legte ein Geständnis ab. Er sagte aus, dass Göring keinen Vermeer gekauft hätte, sondern einen van Meegeren! Die Ermittler blieben allerdings skeptisch. Also stellten sie ihn auf die Probe. In Untersuchungshaft malte van Meegeren in Anwesenheit von Zeugen seinen letzten Vermeer: »Jesus unter den Schriftgelehrten«. Und dieses Mal ließ er die Vermeer-Signatur weg.
Van Meegeren wurde schließlich nicht als Nazikollaborateur der Prozess gemacht, sondern als Kunstfälscher. Zwei Jahre prüfte eine Gutachterkommission die gefälschten Gemälde. Eine chemische Analyse bestätigte letztlich, dass sie nicht von Vermeer gemalt sein konnten. Man hatte ein Bleiweiß, das als Spurenelemente weder Silber noch Kupfer enthielt, und ein Kunststoffbindemittel nachgewiesen. Beide Stoffe existierten so im 17. Jahrhundert noch nicht. 1947 wurde van Meegeren zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, die Haft trat er jedoch nicht mehr an. Zwei Wochen nach der Urteilsverkündung starb er an einem Herzinfarkt.
Heute gelten seine Fälschungen als leicht erkennbar, aber wer weiß, ob es zu einer erneuten Prüfung der Gemälde gekommen wäre, hätte sich van Meegeren nicht selbst entlarvt. Und hätte er das Bild nicht an Göring verkauft, wären in den bedeutendsten Kunstsammlungen der Niederlande vielleicht noch heute die gefälschten Werke eines Vermeer zu sehen.
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