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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte eines verstörenden Syphilis-Experiments

Von 1932 bis 1972 führten US-Forscher die Tuskegee-Syphilis-Studie durch. Es war ein Experiment, das gegen jegliche medizinethische Grundsätze verstieß, wie Richard Hemmer und Daniel Meßner erzählen.
Probanden der Tuskegee-Syphilis-Studie

Die Syphilis hatte viele Namen: französische Krankheit, wenn es nach den Italienern ging. Umgekehrt nannten die Franzosen sie italienische Krankheit. In Schottland hieß sie englische Krankheit, deutsche Krankheit in Polen oder polnische Krankheit in Russland. Daneben gab es spezifischere Bezeichnungen, etwa Lues (venerea), harter Schanker oder Morbus Schaudinn. Denn der Zoologe Fritz Schaudinn hatte gemeinsam mit dem Mediziner Erich Hoffmann 1905 an der Berliner Charité erstmals den Syphilis-Erreger mikroskopisch nachgewiesen.

Treponema pallidum ist ein schraubenförmiges Bakterium, das im Mikroskop wie eine Locke aussieht. Der Erreger sorgt für eine weltweit verbreitete Infektionskrankheit, die aber inzwischen durch Antibiotika gut behandelbar ist. Anders in der frühen Neuzeit, vom 15. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, als sie noch Angst und Schrecken verbreitete. Auch weil der Verlauf der Syphilis tückisch ist. Sie entwickelt sich über mehrere Jahrzehnte und bleibt anfangs oft unbemerkt. 10 bis 25 Jahre nach der Ansteckung kommt es dann bei etwa 20 Prozent der Betroffenen zu einer Entzündung des zentralen Nervensystems, die tödlich endet. Doch die Krankheit ist auch heute noch nicht völlig verschwunden, im vergangenen Jahrzehnt sind die Fälle sogar weltweit wieder gestiegen.

Medizinisch sinnlos und Menschen verachtend

Lange Zeit wurde die Syphilis vor allem mit Arsenpräparaten behandelt – hier hatte sich der spätere Nobelpreisträger Paul Ehrlich (1854–1915) hervorgetan, der auf diesem Weg die moderne Chemotherapie begründete. Erst seit 1943 ist die Krankheit durch Penizillin heilbar. Mehrere Jahre davor startete in den USA ein Hilfsprogramm – das zu einem Menschen verachtenden Experiment umfunktioniert wurde. Es ist als Tuskegee-Syphilis-Studie bekannt.

Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« in ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Die Geschichte spielt in der Stadt Tuskegee in Macon County, im Hinterland von Alabama. Dort lebten viele Schwarze in sehr ärmlichen Verhältnissen und arbeiteten als Landarbeiter. Es gab in der Gegend nur wenige Ärzte, so dass die Menschen kaum Zugang zu einer Gesundheitsversorgung hatten. Da viele an Syphilis erkrankt waren, finanzierte die philanthropische Julius-Rosenwald-Stiftung ein Projekt, um den Menschen in Macon County zu helfen. Schon nach kurzer Zeit, während der Weltwirtschaftskrise von 1929, ging der Stiftung allerdings das Geld aus. Sie übergab das Projekt an den Public Health Service, eine US-Gesundheitsbehörde.

Diese wandelte 1932 das Hilfsprogramm in die Tuskegee-Syphilis-Studie um. Die Grundannahme des Experiments war rassistisch: Die Studie sollte zeigen, dass sich die Syphilis bei Weißen und Schwarzen unterschiedlich auswirken würde. Insbesondere gingen die Forscher davon aus, dass bei Schwarzen seltener Gehirnschäden im letzten Stadium der Erkrankung entstehen würden.

Die Kranken sollten tot der Forschung dienen

Um an Probanden zu gelangen, sind die Forscher durchs Land gefahren und haben medizinische Hilfe angeboten. Es sollten sich vor allem Personen mit »bad blood« bei ihnen melden – damit war ein Sammelsurium von Leiden gemeint. Von der Syphilis war jedoch nicht explizit die Rede. Und so wurden 399 schwarze Männer sowie 200 weitere Männer als Kontrollgruppe ohne ihre Zustimmung Teil eines Menschenexperiments. Keiner der Probanden wusste, dass er an einer Studie teilnahm. Ihnen wurde auch nicht gesagt, dass sie an der Syphilis erkrankt waren. Die medizinische Hilfe wurde ihnen vorgespielt. Die Behörde schickte Mediziner, um die Menschen regelmäßig zu untersuchen und Aspirin oder Placebos zu verabreichen – eine Behandlung der Syphilis blieb aus.

Blutentnahme | Im Rahmen der Tuskegee-Syphilis-Studie nimmt ein Arzt einem Probanden Blut ab. Die Aufnahme entstand in den 1950er Jahren.

Die Neurosyphilis ließ sich damals nur durch eine Autopsie diagnostizieren. Ziel der Studie war es daher, die Erkrankten so lange nicht zu behandeln, bis sie einen qualvollen Tod starben, um sie anschließend untersuchen zu können. Regelmäßige Gesundheitschecks sollten zudem verhindern, dass die Probanden woanders medizinisch versorgt wurden. Die Studie war nicht nur rassistisch, sondern ab 1943 auch medizinisch völlig unnötig, weil die Menschen mit Penizillin problemlos hätten geheilt werden können. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte das Experiment eingestellt werden können, doch das geschah nicht. Es lief in den 1950er und 1960er Jahren weiter, obwohl überdies neue ethische Medizinstandards existierten, etwa mit der »Deklaration von Helsinki« von 1964.

Eines der längsten Menschenexperimente des 20. Jahrhunderts

Zu einem Ende kam die Tuskegee-Syphilis-Studie nicht deshalb, weil die Verantwortlichen ihr Gewissen plagte, sondern weil ein Sozialarbeiter, Peter Buxtun, eine Journalistin auf die Studie aufmerksam machte. Er hatte zuvor in der Gesundheitsbehörde Einspruch gegen das Experiment erhoben – erfolglos. 1972 wurde die Geschichte in Zeitungen publik. Es kam zum Skandal. Der öffentliche Druck führte dazu, dass die Studie nach 40 Jahren abgebrochen wurde. Die Überlebenden klagten und erhielten eine Entschädigung von zehn Millionen US-Dollar sowie eine garantierte lebenslange Gesundheitsversorgung. Persönlich wurde niemand zur Verantwortung gezogen. In der Folge erließ der US-Kongress jedoch einige Gesetze, um Probanden besser zu schützen. 1997 sprach US-Präsident Bill Clinton eine offizielle Entschuldigung an die Betroffenen aus.

Woher kam die Siphylis?

Historiker erwähnen die Krankheit erstmals Ende des 15. Jahrhunderts. Französische Soldaten zogen unter König Karl VIII. durch Italien, erst nahmen sie Rom und dann im Februar 1495 die Hafenstadt Neapel ein. Auf dem Rückmarsch nach Frankreich breitete sich im Heer eine unbekannte, seltsame Krankheit aus. Es kam bald der Verdacht auf, dass es sich um eine Geschlechtskrankheit handeln könnte. Doch woher kam sie? Hatte Kolumbus die Erreger auf Schiffen aus der Neuen Welt mitgebracht? Das war lange Zeit die gängige Erklärung, die etwa der Arzt Girolamo Fracastoro (1477–1553) in einem berühmten Lehrgedicht 1530 vertrat. Darin fiel erstmals der Name »Syphilis«. Eine Studie von 2020 zeigte aber, dass nicht allein die Kolumbus-Fahrten für die Verbreitung der Krankheit in Europa verantwortlich waren. Schon Ende des 15. Jahrhunderts hatte in Europa eine große Vielfalt von Unterarten des Bakteriums existiert.

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