Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte über Paracelsus, der eine kryptische Alchemie schuf
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Den Johannistag im Jahr 1527 nahm ein gewisser Theophrastus Bombast von Hohenheim zum Anlass, vor der Basler Universität den »Kanon der Medizin« zu verbrennen. Theophrastus war der hiesige Stadtarzt und der »Kanon der Medizin« nicht irgendein Buch, sondern damals das wichtigste medizinische Nachschlagewerk. Verfasst von Avicenna, der um das Jahr 1000 lebte, eigentlich Ibn Sina hieß und Arzt in Persien war. Sein fünfbändiges Werk fasste das gesamte griechisch-römische Wissen über Medizin zusammen.
Die Lesenden erfahren darin alles, was aus der Antike von Hippokrates und Galen über die Humoralpathologie oder Vier-Säfte-Lehre bekannt war. Daher blieb der Kanon bis ins 19. Jahrhundert eines der Standardwerke in der medizinischen Ausbildung. Das Buch zu verbrennen, war ein Affront gegen die gesamte Ärzteschaft.
Daher kam es, wie es kommen musste: Nach dem Johannistag war Theophrastus Bombast von Hohenheim, besser bekannt als Paracelsus, nicht mehr lange als Stadtarzt tätig. Heute gilt er als einer der berühmtesten Ärzte Europas und der frühen Neuzeit. Aber warum ist dem so? War er ein Visionär, der mit der strikten Ablehnung der Vier-Säfte-Lehre die Medizin in die Moderne überführte? Etablierte er eine eigene zukunftsträchtige Heilkunde? Um es vorwegzunehmen: eher nicht. Aber alles der Reihe nach.
Auffällig ist, dass die meisten Publikationen von Paracelsus nach seinem Tod erschienen sind. Erst mit Hilfe seiner Schüler wurde er zu einer Legende. Sein Leben sei bis zur Unkenntlichkeit vom Nachruhm überstrahlt, schrieb der Paracelsus-Biograf und Medizinhistoriker Udo Benzenhöfer (1957–2021). Zudem habe der Schweizer ein untrügliches Gespür dafür gehabt, wie man sich Feinde machte.
Zahlreiche Lücken im Lebenslauf
Paracelsus war die meiste Zeit seines Lebens als Wanderarzt unterwegs. Nie ließ er sich an einem Ort länger nieder. Die zahlreichen Lücken in seinem Lebenslauf sind kaum zu füllen, weil die Quellen nur spärlich über ihn berichten. Fast alles, was wir über ihn wissen, vermischt sich mit den Legenden, die nach seinem Tod erzählt wurden. Es beginnt schon damit, dass sein Geburtsdatum nicht gesichert ist. Wohl irgendwann um 1493 wurde er bei Einsiedeln in der Schweiz geboren. Auch sein Taufname ist nicht überliefert, er selbst nannte sich meist Theophrastus von Hohenheim oder Theophrastus Bombast von Hohenheim. Der Name Paracelsus tauchte erstmals Ende der 1520er Jahre auf – auf dem Titelblatt einer seiner Schriften.
Es existiert zwar kein Nachweis, dass Paracelsus tatsächlich an einer Universität eingeschrieben war, aber in der historischen Forschung gilt der Abschluss eines Medizinstudiums um das Jahr 1515 im italienischen Ferrara als wahrscheinlich. Anschließend begannen seine Wanderjahre, wobei sich keine Reiseroute rekonstruieren lässt. Paracelsus arbeitete vor allem als Feld- oder Militärarzt in Europa und sammelte praktische Erfahrungen.
Anfang 1527 landete Paracelsus in Basel, wo er den Auftrag bekam, einen seiner bekanntesten Patienten zu behandeln, den Verleger Johann Froben (1460–1527). Dessen Krankheitsgeschichte begann bereits 1521 mit einer Beinverletzung, die er sich bei einem Sturz zugezogen hatte. Als die Schmerzen unerträglich wurden, rieten ihm die Ärzte, das Bein amputieren zu lassen. Paracelsus war Frobens letzte Hoffnung. Wie er ihn behandelte, ist nicht überliefert, allerdings berichtete Erasmus von Rotterdam (um 1466–1536), dass ein Arzt von auswärts die Pein zu stillen wusste.
Paracelsus machte sich keine Freunde
Der Behandlungserfolg verschaffte Paracelsus eine angesehene Stellung mit guter Bezahlung. Vermutlich bekleidete er auch einen Lehrstuhl an der medizinischen Fakultät. 1527 schließlich wurde Paracelsus Stadtarzt in Basel. Seine Tätigkeiten in der Schweiz gingen allerdings von Anfang an mit Querelen einher. Aus seiner Ablehnung der klassischen Medizin nach Hippokrates und Galen machte er keinen Hehl. So kündigte er eine Vorlesung, die er auf Deutsch und nicht wie üblich auf Latein halten wollte, als Einführung in seine eigene Lehrmethode an.
Kurz darauf legte Paracelsus nach. Am 24. Juni 1527 verbrannte er öffentlich den »Kanon der Medizin« von Avicenna. Ein Affront, der nicht ohne Folgen blieb. Er beschwerte sich beim Rat der Stadt, dass er daran gehindert werde, Vorlesungen zu halten. Außerdem würden ihn die Basler Ärzte heftig schmähen.
Für die Bücherverbrennung gilt allerdings, was für die meisten Dinge in seinem Leben gilt: Details wissen wir nicht. Hat er wirklich ein Buch ins Feuer geworfen? Und wenn ja: War es der »Kanon der Medizin«, ein äußerst wertvolles, mehrbändiges Werk? Kurz darauf starb auch noch sein berühmtester Patient, Johann Froben, Ende Oktober 1527 an einem Schlaganfall.
Die Situation in Basel drohte zu eskalieren. In der Stadt tauchten Schmähschriften auf, in denen es hieß, er solle sich doch erhängen. Am Ende verließ Paracelsus fluchtartig Basel. Da hatte er bereits der Vier-Säfte-Lehre den Kampf angesagt, seine neue Heilkunde allerdings noch gar nicht publiziert.
Alchemie als neue Heilkunde
Im Spätmittelalter etablierte sich neben der Säftelehre eine neue Form der Medizin, deren wichtigster Vertreter Paracelsus war: nicht evidenzbasiert, sondern alchemistisch begründet. Paracelsus baute in seinen unzähligen Schriften eine kryptische und komplexe Vorstellungswelt auf, in der er Krankheiten als eine Störung der alchemistisch-chemischen Prozesse im Körper definierte. Diese beruhen, so Paracelsus, auf den drei Grundprinzipien, aus denen auch der Mensch bestehen würde: Mercurius (Quecksilber), Sulfur (Schwefel) und Sal (Salz). Und wenn die Grundprinzipien in Unordnung geraten, dann würden Krankheiten entstehen.
Spagyrik nannte der Schweizer seine Ideen – ein Begriff, der heutzutage vor allem im Umfeld der Homöopathie auftaucht, in dem sie als medizinische Auslegung der Alchemie erklärt wird. Die Herstellung von Arzneimitteln beruht demzufolge auf den Prinzipien Trennen und Wiedervereinigen. In der Praxis heißt das: Eine Ausgangssubstanz wurde so lange destilliert, bis nur ein Konzentrat übrig blieb, das in der Vorstellung von Paracelsus das wirksame Prinzip dieses Stoffs in Reinform enthielt. Diese nannte er »quinta essentia«, die Quintessenz.
Die nächsten Jahre tauchte Paracelsus an diversen Orten auf: in Nürnberg, Regensburg, Wien und St. Gallen. Er arbeitete an seinen Schriften, allerdings gelang es ihm nicht, sie zu veröffentlichen. Der Rat der Stadt Nürnberg hatte ihm ein Druckverbot erteilt. Zu seinen Lebzeiten erschien nur ein Buch, die »Grosse Wundartzney«. 1541 hielt sich Paracelsus dann den Quellen zufolge in Salzburg auf. Wir wissen nicht, wann er dort ankam, aber wir wissen, was er dort machte.
Der Endvierziger schrieb am 21. September 1541 sein notariell beglaubigtes Testament. Paracelsus wurde darin als hochgelehrter Herr Theophrastus von Hohenheim bezeichnet, Doktor der freien Künste und der Arznei, der persönlich anwesend sei, aber schwachen Leibes, wie der Notar bemerkte. Drei Tage später starb Paracelsus.
Nach seinem Tod wurde Paracelsus zur Legende
Jetzt begann seine posthume Karriere, die auf seinen Lehren und Schriften beruhte. Seine Schüler veröffentlichten nach und nach seine Bücher. Paracelsus prägte dadurch die Medizingeschichte der nächsten Jahrhunderte: als prominentester Gegner der Vier-Säfte-Lehre und als Gründer der alchemistischen Medizin. Das führte zu einigen Kontroversen um sein Werk – bis heute.
Die Alchemisten des 16. und 17. Jahrhunderts griffen seine Schriften auf und entwickelten daraus die Iatrochemie oder Chemiatrie. Damit ist der Versuch gemeint, die Alchemie für die Medizin nutzbar zu machen. Eine direkte Verbindung zur modernen, evidenzbasierten Medizin gibt es nicht, höchstens über einen Zweig der Chemiatrie, der zur pharmazeutischen Chemie und damit zur modernen Arzneimittellehre führte. Später, während der Zeit des Nationalsozialismus, galt Paracelsus als eine Art Galionsfigur und als ideeller Vorläufer der NS-Medizin, der Neuen Deutschen Heilkunde.
Die meisten von Paracelsus' Schriften sind kryptisch und schwer verständlich. Einige wenige seiner Aussagen sind deutlicher formuliert, aber auch spezieller Art. Wie diese hier: »Der Mensch ist zum Umfallen geboren.«
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