Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte vom Smog, der London in tödlichen Nebel hüllte
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Das viktorianische Zeitalter war eine Epoche von beispielloser Verstädterung und rasantem technologischem Fortschritt. Über den Städten des 19. Jahrhunderts waberte – als sichtbares Zeichen für die Schattenseite dieser Entwicklung – Rauch, der aus unzähligen Fabrikschloten und Häusern aufstieg.
Dabei lag der Beginn der Luftverschmutzung schon einige Jahrhunderte zurück. Bereits Anfang des 17. Jahrhunderts wurden in Großbritannien zehntausende Tonnen Kohle pro Jahr verbrannt, wie der Chemiker Peter Brimblecombe in seinem Buch »The Big Smoke« beschreibt. Das Bevölkerungswachstum, beschleunigt durch die industrielle Revolution, sorgte dann dafür, dass noch mehr Menschen auf mehr oder weniger demselben Raum eine noch größere Menge an Kohle verfeuerten.
Anfang des 20. Jahrhunderts versuchte die britische Regierung, mit verschiedenen Maßnahmen gegen die zunehmende Luftverschmutzung vorzugehen. Obwohl die Anstrengungen als Fortschritt galten, waren sie viel zu gering, um die Gesundheit der Bevölkerung wirklich zu schützen. Die beschlossenen Regulierungen, die in erster Linie Aktivistinnen und Aktivisten angestoßen hatten, waren voller Ausnahmen – zahnlose Tiger, die keine effektive Wirkung erzielten.
Die Unzulänglichkeiten sollten sich auf tragische Weise offenbaren, als die Stadt London im Winter 1952 von einem Phänomen heimgesucht wurde, das als der Große Smog in die Geschichte einging. Der außergewöhnliche Vorfall hüllte die Metropole und ihre Bürgerinnen und Bürger in einen dunklen, tödlichen Schleier. Es ist eine dramatische Erinnerung daran, wie wichtig eine effektive Umweltgesetzgebung ist.
Ein Schatten legte sich über die Stadt
Der Dezember 1952 begrüßte die Londoner mit einem bitterkalten Winter, der sie an die warmen Herdfeuer scheuchte und damit die Stadtluft noch dicker machte als sonst. Als am Morgen des 5. Dezember der Smog auf London niedersank, schluckte er die vertraute Umgebung. Es herrschte trügerische Stille, als ein undurchdringlicher Nebel die Straßen einhüllte und die Sicht versperrte. Diejenigen, die mutig genug waren, ihre Häuser zu verlassen, fanden sich in einer Welt wieder, die das alltägliche Leben zur Tortur machte.
Mensch und Natur – eine Geschichte voller Missgriffe
Zeit ihres Bestehens verändern Menschen die Umwelt. Schon Jahrhunderte vor der industriellen Revolution schürften sie nach Bodenschätzen, leiteten Abwasser in Flüsse, rodeten Wälder, um Äcker zu gewinnen, oder dezimierten die Tierwelt. Die Folgen spürten die einstigen Gesellschaften – insbesondere wenn ihre Umwelteingriffe Naturkatastrophen verschärften. Doch wie stark war der Einfluss des Menschen tatsächlich? Und hat sich die Natur nicht längst erholt?
Dieser Nebel war nicht wie sonst der Nebel in London. Er war dicht, ja undurchdringlich, und vor allem: tödlich. In der Luft lag eine giftige Mischung aus Rauch und Abgasen, die sich mit der feuchten und kalten Luft des Winters vermengte. Die Mixtur erzeugte einen sauren, gelblich braunen Nebel, der sowohl die Sicht als auch die Atmung einschränkte – einen Smog.
Begünstigt wurde die gewaltige Smogwolke durch eine spezielle Wetterlage. Ein Hochdruckgebiet über dem südlichen England führte zu Windstille. Dadurch verharrte der Smog in der Stadt. Die Temperaturen kühlten sich durch den Nebel weiter ab, die Menschen heizten daraufhin mehr. Die Kombination aus zunehmender Kohleverbrennung und Inversionswetterlage verhinderte, dass sich der Smog auflöste – die düstere Wolke hielt London im Würgegriff.
Der Nebel blieb und blieb
Weil sich der Smog intensivierte, stand das städtische Leben bald nahezu still. Die Sicht war so schlecht, dass der Verkehr zum Erliegen kam: Kein Auto und kein Bus fuhren mehr, selbst die Flussschifffahrt wurde eingestellt. Innenräume waren nicht sicherer. Der Smog drang gnadenlos in Häuser und Gebäude ein, färbte Vorhänge und machte das Atmen zur Qual. Öffentliche Veranstaltungen wie die Smithfield Show, eine jährliche Agrarmesse, wurden abgesagt.
Es war nicht das erste Mal, dass London von einem Smog dieses Ausmaßes heimgesucht wurde. In den Jahren 1813 oder 1873 hatte es ähnliche Vorkommnisse gegeben. Dieses Mal waren die Voraussetzungen aber noch um einiges schlechter. Der wiederbelebte Verkehr nach dem Zweiten Weltkrieg, der Ersatz der Straßenbahnen durch Doppeldeckerbusse und die wieder erschwingliche Kohle hatten zur erhöhten Luftverschmutzung beigetragen. Gleichzeitig schloss die Inversionswetterlage die Schadstoffe in den unteren Luftschichten ein. Aus der Verbrennung von Kohle entstanden Stickstoffdioxid und Schwefeldioxid. Wie man heute weiß, reagieren beide Stoffe in den Wassertröpfchen des Nebels miteinander, und es entsteht Schwefelsäure. Das machte die Schadstoffmischung in Londons Luft zum tödlichen Cocktail.
Die ersten Opfer des Nebels, der sich erst vier Tage später wieder lichtete, waren Tiere – bei den Vorbereitungen der erwähnten Smithfield Show starben einige Rinder. Doch dann erlagen auch Menschen der tödlichen Glocke über London. Die Regierung meldete 4703 Todesfälle für jene Woche – eine Zahl, die weit über der sonstigen Sterblichkeitsrate lag. Anfänglich wurde eine Grippeepidemie als Ursache angegeben, aber diese Erklärung war bald widerlegt. Heute schätzen Experten die tatsächliche Zahl der Toten auf mehr als 12 000. Die Regierung und die Bevölkerung standen 1952 einer beispiellosen Umweltkatastrophe gegenüber.
Eine Ursache war gefunden, doch die Regierung zögerte
Die anfängliche Zurückhaltung der Regierung wich nach und nach dem Druck der Öffentlichkeit. Um der Forderung nach wirksamen Lösungen gerecht zu werden, wurde eine Kommission eingesetzt. Nach intensiven Untersuchungen lieferte diese einen Bericht. Ursache für die Smogbildung sei die exzessive Holzverbrennung gewesen. Die Empfehlung lautete, insbesondere in Nebelphasen auf rauchfreie Brennstoffe umzusteigen.
Trotz der eindeutigen Ergebnisse zögerte die Regierung weiterhin – bis Gerald Nabarro (1913–1973), ein konservativer Parlamentarier, sie aus der Lethargie weckte. Er brachte den »Clean Air Act« ins Parlament ein, ein Gesetz, das sich nicht nur auf industrielle, sondern auch radikal auf private Schmutz- und Schadstoffquellen konzentrierte. Die Regierung konnte sich dem Druck nicht mehr entziehen und verabschiedete schließlich ein eigenes Gesetz. Es hieß ebenfalls »Clean Air Act« und trat am 5. Juli 1956 in Kraft.
Die Verordnung führte zur Schaffung von Zonen, in denen nur die Verbrennung rauchfreier Brennstoffe erlaubt war. Die Umsetzung der Regelung verlief allerdings nicht reibungslos, auch weil rauchfreie Brennstoffe nicht in großen Mengen verfügbar waren. Doch der Schock des Großen Smogs saß tief, und der Enthusiasmus für Verbesserungen war groß.
Obwohl die Behörden das Gesetz nur schleppend umsetzten, waren die Auswirkungen des »Clean Air Act« bedeutsam und langfristig. Die Kohlenutzung in privaten Haushalten ging in den folgenden Jahrzehnten drastisch zurück, man stieg vermehrt auf Alternativen wie Öl und Gas um. 1968 überarbeitete das Parlament den »Clean Air Act«. Die Vorschriften wurden strenger, so wurde etwa die Höhe industrieller Schlote reguliert – sie sollten noch höher in den Himmel ragen. Durch die konsequente Umweltgesetzgebung konnte ein weiterer großer Smog in London vermieden werden.
Nach dem Smog ist vor dem Smog
Und doch bleibt Luftverschmutzung ein anhaltendes Problem, in London und weltweit. Dabei geht es nicht bloß um die physische Gesundheit, sondern, wie Forschungen ergaben, auch um die Folgen auf die kognitiven Fähigkeiten von Menschen. Luftverschmutzung scheint einen erheblichen Einfluss auf unsere geistige Leistungsfähigkeit zu haben. Das bedeutet: Menschen, die in Gegenden mit hoher Luftverschmutzung leben, könnten strukturell benachteiligt sein. Diese Erkenntnisse betonen die Notwendigkeit, weiterhin nach Lösungen zu suchen, um die Erde für kommende Generationen bewohnbar zu erhalten.
Der Große Smog von 1952 war eine Mahnung. Das Ereignis zeigt uns aber auch, dass es möglich ist, durch effektive Gesetzgebung und öffentliche Bewusstseinsbildung positive und nachhaltige Veränderungen zu bewirken.
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