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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte zweier Börsenhacker und Kasinogründer

Erst manipulierten sie die Börse, dann zogen sie im großen Stil Kasinos auf. Wie die Brüder Blanc im 19. Jahrhundert das große Geld machten, erzählen unsere Geschichtskolumnisten.
Am Spieltisch von Edvard Munch.
»Am Spieltisch« lautet der Titel dieses Gemäldes von Edvard Munch (1863–1944). Es zeigt den Moment, wie der Croupier die Jetons einsammelt. Alle Spieler scheinen die Runde verloren zu haben. Berühmt machte die Spielbank übrigens François Blanc, der zuvor als Börsenspekulant tätig war.

Die Zwillingsbrüder François und Louis Blanc hatten 1834 einen Plan gefasst. Sie wollten die Börsenkurse in Bordeaux vorhersagen und dann mit Spekulationen das ganz große Geld verdienen. Dazu mussten sie nicht die Börse selbst beeinflussen, vielmehr hackten sie das erste flächendeckende Informationssystem der Geschichte. Damit war ihre Karriere längst nicht zu Ende – aus den unredlichen Börsenspekulanten wurden Europas größte Kasinobetreiber.

Die Idee der Börsenmanipulation war einfach: Die Blanc-Brüder wollten an Kursinformationen gelangen, bevor diese die Börse von Bordeaux erreichten. Die Kurse orientierten sich nämlich nach den Werten in Paris, die mit der Postkutsche nach Bordeaux gebracht wurden. Die Brüder fanden jedoch einen schnelleren Weg, die Informationen zu übermitteln – und machten ihre Geschäfte, ehe irgendjemand wusste, ob die Kurse stiegen oder fielen.

Wie ist ihnen das gelungen? Sie kaperten ein Informationssystem, das auf der optischen Telegrafie beruhte. Ihr Vorgehen gilt als der erste bekannte und erfolgreiche Angriff auf ein Informationsnetzwerk. Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte der Franzose Claude Chappe (1763–1805) die optische Telegrafie. Die Technik verbreitete sich in den folgenden Jahrzehnten in ganz Europa, wurde aber bereits Mitte des 19. Jahrhunderts von der elektrischen Telegrafie abgelöst.

Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« in ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Davor hatte die optische Telegrafie die Kommunikationsmöglichkeiten auf ein völlig neues Niveau gehoben. Denn über viele Jahrhunderte hinweg war die Übertragungsgeschwindigkeit von Informationen auf längeren Strecken mehr oder weniger konstant. Es ging so schnell, wie Boten mit ihren Pferden vorankamen. Das änderte sich mit der optischen Telegrafie – sehr zur Freude von François und Louis Blanc.

Übertragung in Sichtweite per Semaphor

Wie funktionierte diese Telegrafentechnik? Die Übertragung erfolgte durch Sehen und Gesehenwerden. Es gab zahlreiche Stationen, auf denen Vorrichtungen mit schwenkbaren Signalarmen angebracht waren. Mit diesen Semaphoren konnten verschiedene Formen dargestellt werden. Jede Station stand in Sichtweite zur nächsten. Die Telegrafisten beobachteten nun die Stellung eines Semaphors mit dem Fernrohr, übernahmen die Konstellation für ihre eigene Station und gaben sie so weiter an die nächste. So wurden Signale übertragen.

Optischer Telegraf | Ein Turm und darauf eine Vorrichtung, um bestimmte Signale wiederzugeben – im 19. Jahrhundert war die optische Telegrafie ein bedeutendes Kommunikationsmittel. Der späte kolorierte Holzstich zeigt eine preußische Telegrafenstation.

In Frankreich gab es mehrere Telegrafenlinien mit einer Gesamtlänge von fast 5000 Kilometern und über 550 Stationen. Eine dieser Linien übertrug Nachrichten zwischen Paris und Bordeaux – auf der Strecke von 600 Kilometern übermittelten 81 Stationen innerhalb von etwa 90 Minuten eine Nachricht. Das war mit Abstand der schnellste Weg, Informationen zwischen diesen beiden Städten auszutauschen. Die Börsenkurse aus Paris brauchten hingegen wesentlich länger, weil sie ja per Postkutsche unterwegs waren.

Insiderhandel mit Socken und Handschuhen

Zwar ging es mit der optischen Telegrafie schneller, aber die Brüder Blanc hatten keinen Zugriff auf das System. Ein privater Gebrauch war nicht vorgesehen und es gab auch keinen Service, gegen eine Gebühr ein Telegramm zu verschicken. Die beiden bestachen daher einen Telegrafisten – aber nicht in Paris, sondern in Tours, einer Stadt, die auf halber Strecke zwischen Paris und Bordeaux liegt. Dort wurden die übermittelten Nachrichten nämlich auf Richtigkeit überprüft. Ein Komplize, der in Paris die Börsenkurse beobachtete, meldete die fallenden oder steigenden Kurse, indem er ein Päckchen mit Socken oder Handschuhen an den Telegrafisten in Tours schickte: Handschuhe standen für einen steigenden Kurs und Socken für einen fallenden Kurs.

Jetzt sendete der Telegrafist das vereinbarte Zeichen für die Kursentwicklung, doch gleich danach schickte er ein Kontrollsignal hinterher, um das zuvor geschickte Zeichen ungültig zu erklären. Die Zwillingsbrüder lagen nun in Bordeaux auf der Lauer und beobachteten die Semaphorstation, bis das vereinbarte Zeichen angezeigt wurde. In den offiziellen Telegrafenbüchern tauchte die Nachricht allerdings nie auf – schließlich wurde das Zeichen ja für ungültig erklärt.

Die Brüder Blanc verdienten mit ihrer Masche viel Geld, aber nach zwei Jahren war Schluss. Der Betrug flog auf und die beiden landeten vor Gericht. Doch obwohl sie verurteilt wurden, durften sie das meiste Geld behalten. Und mit ihrem Vermögen stürzten sie sich ins nächste Abenteuer: Sie eröffneten in Paris eine Spielbank. Als dann 1837 Kasinos in Frankreich verboten wurden, wichen die Blancs ins benachbarte Ausland aus und gründeten die Spielbank Homburg.

François Blanc (1806–1877) | An der Spielbank in Bad Homburg ist diese Bronzetafel angebracht. Sie zeigt den Gründer des Kasinos.

In den nächsten Jahrzehnten prägte François Blanc das Glücksspiel der europäischen Spielbanken wie kaum ein anderer, wie der Historiker David G. Schwartz von der University of Nevada in seinem Buch »Roll The Bones – The History of Gambling« schreibt. Ab 1863 übernahm er das Kasino in Monte-Carlo, während im restlichen Europa das Glücksspiel fast überall untersagt wurde. Spielkasinos standen im 19. Jahrhundert häufig an Kur- und Urlaubsorten des Adels und reichen Bürgertums. Bis zu ihrem Verbot im Deutschen Reich 1872 war etwa Baden-Baden im Sommer einer der begehrtesten Orte, für alle, die es sich leisten konnten, viel Geld auszugeben. Spielkasinos waren eine exklusive Freizeitbeschäftigung.

Das wahrscheinlich bekannteste Glücksspiel tauchte erstmals Ende des 18. Jahrhunderts auf: Roulette. Es war eine Mischung aus mehreren beliebten Spielen. In der ursprünglichen Variante wurde es mit zwei Nullen gespielt, der Null und der Doppelnull – wie heute noch beim amerikanischen Roulette. Die Null gibt es aus einem Grund: damit die Bank am Gewinn teilhat. Denn alle Gewinne werden so berechnet, als gäbe es die Null nicht. Und so liegt die Ausschüttungsquote nicht bei 100 Prozent, sondern ein klein wenig darunter.

Blanc machte Monaco zur Glücksspielmetropole

François Blanc suchte nun nach einem Weg, sein Spielkasino in Bad Homburg besser zu etablieren und gegen die starke Konkurrenz zu wappnen. Daher führte er eine Neuerung ein: Er entfernte die Doppelnull. Die Bank machte damit zwar weniger Gewinn als zuvor, aber für Spielende wurde die Sache attraktiver. Diese Variante setzte sich schließlich in Europa durch und ist heute als französisches Roulette bekannt.

Blanc sicherte sich die Lizenz für die Spielbank in Monaco für 50 Jahre. Und machte daraus das berühmteste Kasino der Welt. Der Stadtteil Monte-Carlo war zu dem Zeitpunkt kaum erschlossen, hieß noch Les Spélugues und hatte keinen besonders guten Ruf. Daher investierte Blanc in Gebäude, Hotels, Straßen, zudem in die Eisenbahn, damit Monaco an das französische Eisenbahnnetz angebunden wurde. Innerhalb weniger Jahre stieg Monaco zum Glücksspielmekka für die reiche Elite Europas auf, die ihre Freizeit nun liebend gern an den Küsten der Riviera verbrachten. Und so hat der Mann, der zusammen mit seinem Bruder die optische Telegrafie für einen Börsenbetrug manipulierte, das Roulette um eine Null erleichtert und in Monaco das bekannteste Kasino der Welt aufgebaut.

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