Angemerkt!: Klima verschärft Krisen
Forscher finden zunehmend Parallelen zwischen Klimakapriolen und humanitären Krisen. Ihre Schlüsse werden bislang aber kaum gehört. Ein Kommentar von Daniel Lingenhöhl.
Alle drei bis sieben Jahre tritt ein starker El Niño auf den Plan und verursacht weltweit Wetterkapriolen – heftige Regenfälle und Überflutungen in Trockengebieten, ausgeprägte Dürren in ansonsten regenreichen Regionen. Auf das "Christkind" – weil das Phänomen stark abgeschwächt jedes Jahr an Weihnachten vor der Küste Perus wiederkehrt – folgt La Niña, die kalte Schwester: Sie kehrt die Wetterverhältnisse wieder um und intensiviert sie. Dieser El-Niño-Southern-Oscillation (ENSO) genannte Klimazyklus beeinflusst große Gebiete in Afrika, Südamerika, Südostasien und Australien, in denen ungefähr die Hälfte der Menschheit lebt.
Sie leidet in diesen Zeiten vielfach unter Hunger und Krankheiten, weil schlechtes Wetter die Ernten zerstört oder Erreger wie die Cholera sich leichter ausbreiten können. Und ENSO erhöht womöglich auch die Gefahr für Kriege und Aufstände – zumindest behaupten dies Klimawissenschaftler und Politologen um Solomon Hsiang von der Columbia University: Sie legten einen Datensatz von 175 Staaten und 234 bewaffneten Konflikten über die Klimageschichte der letzten 60 Jahre.
Peru und Sudan als blutige Beispiele
Zwei markante Fälle prägten sich ihnen dabei besonders ein: 1982/83 suchte ein extremer El Niño Peru heim, wo er vor allem die ohnehin verarmte Landbevölkerung im Hochland traf, weil dort die Ernten verkümmerten. In der Folge erhielt die Guerillabewegung des "Leuchtenden Pfads" – eine maoistische Untergrundbewegung – bedeutenden Zulauf von notleidenden Bauern, und aus einzelnen terroristischen Attacken entwickelte sich ein zwanzigjähriger Bürgerkrieg, der erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu Ende ging.
Im starken El-Niño-Jahr 1963 wiederum entluden sich die schwelenden Spannungen zwischen dem Nord- und Südsudan in einem offenen Krieg. Er flaute in der Folge wieder ab, flackerte jedoch im nächsten massiven El-Niño-Jahr 1976 wieder intensiv auf. Richtig katastrophal entwickelte sich die Situation ab 1983 (ähnlich wie in Peru): Die Kämpfe zwischen den verfeindeten Landesteilen wurden nun zur Dauereinrichtung und kosteten mehr als zwei Millionen Menschen das Leben – einer der blutigsten Konflikte seit dem Zweiten Weltkrieg. Das Auftreten von El Niño markiert zudem den Beginn von größeren gewaltsamen Auseinandersetzungen in El Salvador, den Philippinen und Uganda (1972), Angola, Haiti und Myanmar (1991) sowie Kongo, Eritrea, Teilen Indonesiens und Ruanda (1997).
Natürlich ist ENSO nicht der Haupt- oder gar der alleinige Grund für diese Kriege, deren Wurzeln vielmehr in ethnischen, sozialen oder politischen Verwerfungen zu suchen sind. Das behaupten die Autoren mit ihrer statistischen Korrelation auch nicht. Das durch El Niño ausgelöste Wetterchaos kann jedoch fragile Gesellschaften endgültig in gewaltsame Kämpfe treiben: Schlechte Ernten und Hunger bildeten schon häufiger den Anlass für Aufstände – beginnend bei der Französischen Revolution, für die Klimahistoriker unter anderem Missernten durch unterkühlte Sommer als Ursache ausmachen, bis hin zu den "Brotaufständen" in Tunesien 2011, die letztlich zum Sturz des herrschenden Regimes führten.
Klima und Krieg, eine lange Beziehung
Auch der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass klimatische Extremereignisse ihre Spuren in der Menschheitsgeschichte hinterließen. Der Untergang der Maya in Mittelamerika, der Khmer-Dynastie von Angkor oder der Fall verschiedenster chinesischer, vietnamesischer oder thailändischer Herrscher gingen nur zu oft mit Kälteperioden oder Dürren (oft ebenfalls durch ENSO ausgelöst) einher. Die Arbeit von Hsiang und Co zeigt zudem, wie Konflikte parallel zu ENSO-Zyklen an- und abschwellen: Wenn sich die klimatischen Bedingungen bessern, legen offenbar viele Menschen die Waffen nieder und kehren zurück auf die Felder.
Dennoch bietet Hsiangs einen Ansatz: Klimatologen und Meteorologen besitzen immer bessere Modelle, mit denen sie Beginn und Verlauf eines El-Niño-Ereignisses vorhersagen können. Dementsprechend öffnet sich ein Zeitfenster für die Weltgemeinschaft, in dem sich Vorsorge für den Krisenfall treffen lässt. Darunter fiele zum Beispiel das Einrichten von Nahrungsmittelvorräten, die Hilfsorganisationen dann rasch in betroffene Regionen schaffen. Denkbar wäre auch die rechtzeitige Verstärkung von Blauhelmtruppen in bekannten Krisengebieten, die als Puffer zwischen rivalisierenden Parteien agieren.
Klimaprognosen als Vorwarnsystem
Dies erfordert allerdings ein entsprechendes Engagement der internationalen Staatengemeinschaft – vor allem der großen Industrie- und Schwellenländer, die als einzige die Kapazitäten für derartige Hilfseinsätze besitzen. Wie schwach dieser Wille tatsächlich ausgeprägt ist, zeigt allerdings derzeit das Beispiel Ostafrika: Vor allem Somalia, aber auch Äthiopien, Kenia und Eritrea werden momentan von einer katastrophalen Dürre heimgesucht, in der bereits zehntausende Menschen verhungerten. Hunderttausende befinden sich noch auf der Flucht und werden mehr schlecht als recht von den Vereinten Nationen und privaten Hilfsorganisationen versorgt.
Diese Entwicklung zeichnete sich bereits frühzeitig im Sommer 2010 ab – wobei La Niña als Teil des ENSO-Zyklus übrigens ebenfalls eine Rolle spielte. Das Famine Early Warning Systems Network (ein Zusammenschluss unter anderem von verschiedenen US-amerikanischen Forschungseinrichtungen wie der NASA oder dem US Geological Survey) warnte dementsprechend schon vor einem Jahr vor der sich anbahnenden Katastrophe – vergeblich, wie sich nun zeigen sollte: Der Alarm wurde schlicht überhört, bis schließlich die Opfer nicht mehr zu übersehen waren.
Völlig hätte sich diese Katastrophe in einem notorisch instabilen Land wie Somalia wohl nicht verhindern lassen. Die Welt hätte sich jedoch besser darauf vorbereiten und für die akute Krisenintervention wappnen können. Die Prognosemodelle der Klimaforscher bieten das nötige Vorwarnsystem hierfür. Nun müssen es die Politiker endlich auch nutzen.
Sie leidet in diesen Zeiten vielfach unter Hunger und Krankheiten, weil schlechtes Wetter die Ernten zerstört oder Erreger wie die Cholera sich leichter ausbreiten können. Und ENSO erhöht womöglich auch die Gefahr für Kriege und Aufstände – zumindest behaupten dies Klimawissenschaftler und Politologen um Solomon Hsiang von der Columbia University: Sie legten einen Datensatz von 175 Staaten und 234 bewaffneten Konflikten über die Klimageschichte der letzten 60 Jahre.
Tatsächlich scheint ein enger Zusammenhang zwischen dem Auftreten eines besonders starken El Niño s und dem Beginn von kriegerischen Unruhen zu bestehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass in einem El-Niño-Jahr ein bewaffneter Konflikt ausbricht, verdoppelte sich laut der Kalkulation verglichen mit Perioden, in denen die Witterung normal ablief. Auch wenn sich dieses Risiko "nur" von drei auf statistisch dennoch signifikante sechs Prozent erhöhte, so schätzen die Forscher doch, dass etwa ein Drittel aller Bürgerkriege in Ländern unter ENSO-Einfluss durch El Niño mitausgelöst worden sein könnte.
Peru und Sudan als blutige Beispiele
Zwei markante Fälle prägten sich ihnen dabei besonders ein: 1982/83 suchte ein extremer El Niño Peru heim, wo er vor allem die ohnehin verarmte Landbevölkerung im Hochland traf, weil dort die Ernten verkümmerten. In der Folge erhielt die Guerillabewegung des "Leuchtenden Pfads" – eine maoistische Untergrundbewegung – bedeutenden Zulauf von notleidenden Bauern, und aus einzelnen terroristischen Attacken entwickelte sich ein zwanzigjähriger Bürgerkrieg, der erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu Ende ging.
Im starken El-Niño-Jahr 1963 wiederum entluden sich die schwelenden Spannungen zwischen dem Nord- und Südsudan in einem offenen Krieg. Er flaute in der Folge wieder ab, flackerte jedoch im nächsten massiven El-Niño-Jahr 1976 wieder intensiv auf. Richtig katastrophal entwickelte sich die Situation ab 1983 (ähnlich wie in Peru): Die Kämpfe zwischen den verfeindeten Landesteilen wurden nun zur Dauereinrichtung und kosteten mehr als zwei Millionen Menschen das Leben – einer der blutigsten Konflikte seit dem Zweiten Weltkrieg. Das Auftreten von El Niño markiert zudem den Beginn von größeren gewaltsamen Auseinandersetzungen in El Salvador, den Philippinen und Uganda (1972), Angola, Haiti und Myanmar (1991) sowie Kongo, Eritrea, Teilen Indonesiens und Ruanda (1997).
Natürlich ist ENSO nicht der Haupt- oder gar der alleinige Grund für diese Kriege, deren Wurzeln vielmehr in ethnischen, sozialen oder politischen Verwerfungen zu suchen sind. Das behaupten die Autoren mit ihrer statistischen Korrelation auch nicht. Das durch El Niño ausgelöste Wetterchaos kann jedoch fragile Gesellschaften endgültig in gewaltsame Kämpfe treiben: Schlechte Ernten und Hunger bildeten schon häufiger den Anlass für Aufstände – beginnend bei der Französischen Revolution, für die Klimahistoriker unter anderem Missernten durch unterkühlte Sommer als Ursache ausmachen, bis hin zu den "Brotaufständen" in Tunesien 2011, die letztlich zum Sturz des herrschenden Regimes führten.
Klima und Krieg, eine lange Beziehung
Auch der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass klimatische Extremereignisse ihre Spuren in der Menschheitsgeschichte hinterließen. Der Untergang der Maya in Mittelamerika, der Khmer-Dynastie von Angkor oder der Fall verschiedenster chinesischer, vietnamesischer oder thailändischer Herrscher gingen nur zu oft mit Kälteperioden oder Dürren (oft ebenfalls durch ENSO ausgelöst) einher. Die Arbeit von Hsiang und Co zeigt zudem, wie Konflikte parallel zu ENSO-Zyklen an- und abschwellen: Wenn sich die klimatischen Bedingungen bessern, legen offenbar viele Menschen die Waffen nieder und kehren zurück auf die Felder.
Welche Folgerungen muss man also aus der Studie ziehen? Der Mensch kann die ENSO-Zyklen nicht beeinflussen – im Gegenteil: Klimatologen befürchten, dass sich El-Niño-Bedingungen durch die Erderwärmung zukünftig noch verstärken könnten. Die Folge wären häufigere Wetterkatastrophen und Missernten, was die Gefahr weiterer oder intensiver geführter Kriege heraufdämmmern lässt. Gleichzeitig ist es eine Herkulesaufgabe, all die sozialen oder politischen Probleme zu lösen, die die eigentlichen Auslöser der Waffengänge sind.
Dennoch bietet Hsiangs einen Ansatz: Klimatologen und Meteorologen besitzen immer bessere Modelle, mit denen sie Beginn und Verlauf eines El-Niño-Ereignisses vorhersagen können. Dementsprechend öffnet sich ein Zeitfenster für die Weltgemeinschaft, in dem sich Vorsorge für den Krisenfall treffen lässt. Darunter fiele zum Beispiel das Einrichten von Nahrungsmittelvorräten, die Hilfsorganisationen dann rasch in betroffene Regionen schaffen. Denkbar wäre auch die rechtzeitige Verstärkung von Blauhelmtruppen in bekannten Krisengebieten, die als Puffer zwischen rivalisierenden Parteien agieren.
Klimaprognosen als Vorwarnsystem
Dies erfordert allerdings ein entsprechendes Engagement der internationalen Staatengemeinschaft – vor allem der großen Industrie- und Schwellenländer, die als einzige die Kapazitäten für derartige Hilfseinsätze besitzen. Wie schwach dieser Wille tatsächlich ausgeprägt ist, zeigt allerdings derzeit das Beispiel Ostafrika: Vor allem Somalia, aber auch Äthiopien, Kenia und Eritrea werden momentan von einer katastrophalen Dürre heimgesucht, in der bereits zehntausende Menschen verhungerten. Hunderttausende befinden sich noch auf der Flucht und werden mehr schlecht als recht von den Vereinten Nationen und privaten Hilfsorganisationen versorgt.
Diese Entwicklung zeichnete sich bereits frühzeitig im Sommer 2010 ab – wobei La Niña als Teil des ENSO-Zyklus übrigens ebenfalls eine Rolle spielte. Das Famine Early Warning Systems Network (ein Zusammenschluss unter anderem von verschiedenen US-amerikanischen Forschungseinrichtungen wie der NASA oder dem US Geological Survey) warnte dementsprechend schon vor einem Jahr vor der sich anbahnenden Katastrophe – vergeblich, wie sich nun zeigen sollte: Der Alarm wurde schlicht überhört, bis schließlich die Opfer nicht mehr zu übersehen waren.
Völlig hätte sich diese Katastrophe in einem notorisch instabilen Land wie Somalia wohl nicht verhindern lassen. Die Welt hätte sich jedoch besser darauf vorbereiten und für die akute Krisenintervention wappnen können. Die Prognosemodelle der Klimaforscher bieten das nötige Vorwarnsystem hierfür. Nun müssen es die Politiker endlich auch nutzen.
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