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Klimapolitik: Die Paralleluniversen des Klimaschutzes

20 Jahre Klimaschutz, 20 Jahre steigende Treibhausgaskonzentrationen. Das Problem: Große Erfolge haben winzige Auswirkungen - da muss die Klimapolitik ran, sagt Lars Fischer.
Demonstration für Klimaschutz

Es gibt die eine Welt, in der sich heute 40 Staats- und Regierungschefinnen und -chefs auf Einladung von US-Präsident Joe Biden zu einem virtuellen »Leaders Summit on Climate« treffen. Das Ziel: den 1997 mit dem Kyoto-Protokoll begonnenen Kampf gegen den Klimawandel voranzutreiben. Schon jetzt liegen ambitionierte Klimaziele auf dem Tisch, denn 2015 in Paris vereinbarte die Weltklimakonferenz nicht nur das Zwei-Grad-Ziel – die Erwärmung soll sogar auf 1,5 Grad über der Referenzperiode begrenzt werden.

Der Zeitpunkt ist günstig, denn Bevölkerung und Unternehmen stehen hinter den Klimaschutzzielen, und während der Pandemie gingen die Treibhausgasemissionen um einen Rekordwert zurück. Das Weltwirtschaftsforum sieht einen »Wendepunkt« für den Klimaschutz.

In der anderen Welt dagegen nimmt die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre immer schneller zu: zwischen 1990 und 2000 noch im Mittel um 1,5 ppm pro Jahr, nun schon um 2,5 ppm. Fossile Kraftstoffe decken immer noch über vier Fünftel des konstant wachsenden weltweiten Energiebedarfs, und seit dem Kyoto-Protokoll ist der weltweite jährliche Ausstoß des wichtigsten Treibhausgases um die Hälfte gestiegen. Um die durch die Pandemie verursachte Delle im Ausstoß zu erkennen, muss man schon sehr genau hingucken – und sie ist bereits wieder vorbei. Der Anstieg von 2020 auf 2021 wird der zweithöchste jemals gemessene sein.

Klimapolitik auf Planet B

Man könnte meinen, Klimaschutz und Klima fänden auf zwei verschiedenen Planeten statt, die bestenfalls sporadisch etwas miteinander zu tun haben. Die Existenz dieser Parallelwelten führt den Slogan »There is no Planet B« ad absurdum. Er wird dadurch aber nicht weniger wahr: Es gibt nur den einen. Und auf dem wird es heißer – 2020 war das wärmste Jahr seit Beginn der Messungen.

Das zeigt nachdrücklich: Diplomatische Erfolge auf internationalen Konferenzen und rechnerische Emissionsrückgänge reichen nicht aus. Die Klimapolitik muss eben auch Auswirkungen aufs Klima haben. Und die hat sie im Moment nicht, eine Tatsache, die man mindestens ebenso dringend diskutieren sollte wie das nächste Emissionsziel.

Dass es mit dem Klimaschutz nicht so recht klappt, hat triftige Gründe. Der Klimawandel ist ein Problem der Zukunft, während die Gegenwart ihre eigenen Herausforderungen mit sich bringt. Essen, Bildung und Gesundheit. Ein Dach über dem Kopf, Sicherheit und einen gewissen Komfort. Das zu ermöglichen, ist die zentrale Aufgabe staatlicher Politik.

Treibhausgasmessungen am Gipfel des Mauna Loa | Die prominenteste Datenreihe atmosphärischer Kohlendioxidkonzentrationen zeigt: Beim Treibhausgas kommt das Auf und Ab der internationalen Klimapolitik bisher nicht an.

Und all die technischen und sozialen Errungenschaften basieren auf Energie, und zwar einfach zu erzeugender, billiger Energie in großen Mengen. Die jedoch kommt eben zu vier Fünfteln immer noch aus fossilen Quellen. Auch hier gilt: Erneuerbare Energien sind einerseits eine Erfolgsgeschichte, haben aber andererseits noch nicht wirklich etwas am Gesamtbild geändert.

Die gleichen Menschen, die für ihren Alltag nach wie vor auf fossile Brennstoffe angewiesen sind, wissen aber natürlich, dass die globale Erwärmung all ihre Errungenschaften gefährdet. Und das gilt keineswegs nur in den Industrieländern. Weltweit sorgen sich Menschen um erneuerbare Energien, Nachhaltigkeit und Kohlendioxidkonzentrationen. Ihr klarer Auftrag an die globale Politik ist: Schützt das Klima.

Wie bekommt man die Welten wieder zusammen?

Die Klimapolitik muss diese beiden Aufträge irgendwie miteinander und mit den Anforderungen internationaler Diplomatie vereinbaren. Die bisherige Strategie: Klimaschutz findet dort statt, wo er die zentralen Pfeiler des Alltags nicht einreißt. Deswegen ruht der Fokus so stark auf erneuerbaren Energien, Elektroautos und verschiedenen Strategien, Kohlendioxid einzufangen – alles Methoden, die Welt klimafreundlich umzubauen, ohne radikale Änderungen.

Man darf die Erfolge dieser Strategie nicht kleinreden. Die internationale Klimapolitik funktioniert, der globale Konsens ist eine außergewöhnliche Leistung. Erneuerbare Energien haben einen wachsenden Anteil an der Energieversorgung, es gibt ganze Geschäftsfelder rund um Klimaschutz und Nachhaltigkeit, die Forschung am Klimaschutz floriert.

Doch der Preis ist hoch. Die Klimapolitik eilt von Erfolg zu Erfolg, von einem hart verhandelten Emissionsziel zum nächsten Erneuerbare-Energie-Rekord, deren Auswirkungen aber bei der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre oder den schmelzenden Gletschern zur Unmessbarkeit verdünnt sind. Zwei Welten eben, nur sehr bedingt durch Ursache und Wirkung verknüpft.

Und deswegen ist es sekundär, welche Emissionsziele und andere Klimaschutzpläne beim »Leaders Summit on Climate« herauskommen. Es stellt sich vielmehr die zentrale Frage, wie man aus dieser Falle der großen Erfolge mit winzigen Effekten wieder herauskommt. Nach zwei Jahrzehnten Klimaschutz in der einen Welt und immer schneller steigenden Treibhausgaskonzentrationen in der anderen ist die entscheidende politische Aufgabe, die getrennten Welten wieder zusammenzuführen.

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