Militärausgaben: Geld für den Kampf gegen Seuchen statt für Waffen
Obwohl unsere Existenz bedroht ist durch den Klimawandel, den Verlust der biologischen Vielfalt und eine Pandemie, die die Wirtschaft verwüstet und Gesellschaften lähmt, geben viele Länder immer noch unvernünftig viel Geld für zerstörerisches Kriegsgerät aus – für Konflikte, die sie niemals führen werden.
Als Wissenschaftlerin, die die Vereinten Nationen in Fragen der Rüstungskontrolle und des militärischen Einsatzes von künstlicher Intelligenz (KI) und Robotik berät, vertrete ich seit Langem die Auffassung, dass Nationen der »menschlichen Sicherheit im Sinne des Gemeinwohls« Vorrang vor Militärausgaben einräumen sollten. Es muss sichergestellt werden, dass die Menschen ihr volles Potenzial ausleben können – wirtschaftlich erfüllt, politisch mündig, in einer intakten Umwelt und frei von der Angst vor Gewalt und Bedrohungen wie Klimawandel oder Seuchen.
Solche Forderungen sind nicht neu. Militärausgaben umzuwidmen für die Pandemievorsorge wurde beispielsweise nach den Ausbrüchen von Sars und des Zika-Virus gefordert. Nun macht das schiere Ausmaß der Covid-19-Pandemie vor dem Hintergrund zunehmender Gewalt – beides wurde seit Langem vorhergesagt – die Notwendigkeit zu handeln dringlicher.
Die Macht des Militärs macht die Welt nicht friedlicher
Die alte Weltordnung, in der Regierungen Waffenarsenale zum Schutz des Staats aufbauen, liefert eindeutig nicht das, was die Menschen brauchen. Gemäß dem Weltfriedensindex ist das Friedensniveau seit 2008 um 2,5 Prozent gesunken. Der Index misst 23 Indikatoren – darunter Militärausgaben und den Zugang zu Kleinwaffen – in 163 unabhängigen Staaten und Territorien und ordnet diese nach dem Grad ihrer Friedlichkeit. Parallel zum Rückgang des Friedensniveaus stiegen die weltweiten Militärausgaben auf den Rekordwert von 1,9 Billionen US-Dollar im Jahr 2019.
Grenzüberschreitende Invasionen und Bürgerkriege werden zwar seltener, aber politische Instabilität und Unruhen nehmen in vielen Regionen zu, darunter Nord- und Südamerika, Afrika und Asien. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Unruhen und regierungsfeindlichen Demonstrationen weltweit mehr als verdoppelt. Mindestens 96 Länder der Welt verzeichneten 2019 mindestens eine gewalttätige Demonstration. Dabei haben Bürger gegen Rassenungerechtigkeit, Polizeibrutalität, Korruption und wirtschaftlichen Niedergang protestierten. Waffen bekämpfen nicht die Grundursachen der Instabilität wie schlechte Regierungsführung, Nahrungsmangel, wenige Arbeitsplätze, schlechtes Bildungsangebot und Gefährdung der Sicherheit. Die Macht des Militärs macht die Welt nicht friedlicher.
Wandel ist möglich. UN-Generalsekretär António Guterres sieht angesichts der Pandemie »eine enorme Bewegung der Solidarität« in der ganzen Welt. Inmitten des aufkommenden Nationalismus entstehen Allianzen zur Verteilung von Impfstoffen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Die Europäische Kommission, Kanada, Australien und das Vereinigte Königreich gehören beispielsweise zu den Geldgebern der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI), die sich für die Entwicklung von Impfstoffen gegen künftige Epidemien einsetzt.
Solidarität in der Pandemie
Die Allianz wurde 2017 von den Regierungen Norwegens und Indiens, der Bill & Melinda Gates Foundation in Seattle, der britischen biomedizinischen Wohltätigkeitsorganisation Wellcome und dem Weltwirtschaftsforum nach der westafrikanischen Ebola-Epidemie 2014 bis 2016 ins Leben gerufen. Der Ebola-Ausbruch tötete mehr als 11 000 Menschen und hatte wirtschaftliche und soziale Kosten von mehr als 53 Milliarden Dollar zur Folge. Das CEPI ist Teil eines 18-Milliarden-Dollar-Programms mit der Weltgesundheitsorganisation und Gavi, der Impfstoffallianz, das bis Ende nächsten Jahres zwei Milliarden Dosen Covid-19-Impfstoffe liefern soll.
Dieses Jahr muss einen Wendepunkt für die staatlichen Sicherheitsbudgets markieren. Die Regierungen müssen akzeptieren, dass ihr Konzept der nationalen Sicherheit auf militärischer Basis anachronistisch und irrelevant ist. Um sich von den Kosten der Pandemie zu erholen, die für die nächsten fünf Jahre auf bis zu 82 Billionen Dollar geschätzt werden, sollten sie ihre Ausgaben stattdessen auf Konjunkturpakete für Dekarbonisierung, Gesundheit, Bildung und Umwelt konzentrieren. Die nationalen Sicherheitsbudgets sollten in die Verwirklichung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) und der Pariser Vereinbarung von 2015 zur Abwendung eines gefährlichen Klimawandels investiert werden.
Der Waffenhandel ist lukrativ: Die Verkäufe der weltweit führenden Rüstungskonzerne erreichten 2018 einen Umsatz von 420 Milliarden Dollar. Diese Waffen sind jahrzehntelang im Umlauf. Von Kleinwaffen, Panzern und Flugzeugen bis hin zu militärischen Gütern und Dienstleistungen wird alles auf legalen und illegalen Märkten verkauft. Sie landen auf der Straße und in den Händen militanter Organisationen wie Al Kaida. Das Ergebnis? 2017 starben rund 464 000 Menschen durch Tötungsdelikte und weitere 89 000 Menschen in bewaffneten Konflikten weltweit (2017 ist das letzte Jahr, für das Daten bisher vorliegen).
Kostspielige Ablenkungen
Diese Schäden verursachten im Jahr 2019 einen Verlust von fast elf Prozent der globalen Wirtschaftsaktivität oder fast 2000 US-Dollar pro Person, insgesamt 14,5 Billionen US-Dollar (siehe »Der Preis des Konflikts«). Dazu gehören der Verlust von Arbeitsplätzen und der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP), Produktivitätsverluste sowie die Ausgaben für Strafverfolgung, Justizsysteme und Gefängnisse, Terrorismus, Tötungsdelikte, andere Gewaltverbrechen, Ausgaben für die innere Sicherheit und die Angst vor Unsicherheit in der gesamten Gesellschaft.
Wo Unsicherheit herrscht, können Volkswirtschaften nicht gedeihen. Die am wenigsten entwickelten Länder mit einem hohen Gewaltniveau wie El Salvador, Somalia und Jemen leiden am meisten darunter. Länder mit bewaffneten Konflikten, darunter Syrien, Südsudan und Afghanistan, verloren 2019 bis zu 60 Prozent ihres BIP. Letztlich sind die Militärausgaben für 40,5 Prozent der wirtschaftlichen Auswirkungen der Gewalt verantwortlich. Dennoch haben im vergangenen Jahr 81 Länder den Anteil ihres BIP, der in die Militärhaushalte fließt, erhöht.
Die Welt kann sich solche Verluste einfach nicht leisten, besonders wenn wir uns von einer Pandemie erholen, die Millionen das Leben kosten könnte und weltweit unsägliches Leid über noch viel mehr Menschen bringen wird. In der Tat ist der Preis für die Gewährleistung menschlicher Sicherheit geringer als der für Armeen: Es würde jährlich ein Prozent des globalen BIP kosten, das Pariser Klimaabkommen von 2015 umzusetzen, und jährlich fünf Prozent des globalen BIP, um die nachhaltigen Entwicklungsziele bis 2030 umzusetzen (siehe »Falsche Prioritäten«).
Der wahre Feind ist dagegen schon da. Die Anzahl der Hitzewellen, Dürren, Waldbrände, Überschwemmungen und Wirbelstürme hat sich in den letzten 40 Jahren vervierfacht und nimmt weiter zu. Bis 2050 könnten fast 100 Millionen Menschen gezwungen sein, aus Küstengebieten und anderen Orten abzuwandern, die durch den Klimawandel unbewohnbar werden. Im Jahr 2019 wüteten die Brände im Amazonas-Regenwald auf den Kipppunkt zu, an dem das gesamte Waldökosystem zusammenbrechen könnte. Das Amazonasgebiet ist das größte Reservoir an biologischer Vielfalt auf der Erde; in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht: Von Nahrungsmitteln bis hin zu Arbeitsplätzen, Häusern und Gesundheit, wird sein Verlust auf etwa 3,6 Billionen Dollar geschätzt. Die Bedrohung der biologischen Vielfalt setzt die Menschen auch neuen Viren aus.
Große Armeen haben den Ländern im Kampf gegen Covid-19 nicht geholfen – im Gegenteil. Die fünf Länder mit den größten Verteidigungshaushalten waren unvorbereitet und wurden hart getroffen. Auf die Vereinigten Staaten, China, Indien, Russland und Saudi-Arabien entfielen 2019 zusammen fast zwei Drittel (62 Prozent) der weltweiten Militärausgaben, und die Infektionsraten der USA, Indiens und Russlands gehören zu den bisher höchsten, wobei die Vereinigten Staaten auf beiden Listen an der Spitze stehen.
Militär bedroht Wissenschaft und Sicherheit
Die irregeleitete US-Verteidigungsstrategie zeigt sich in der Forderung der Regierung nach 740,5 Milliarden Dollar (oder 3,4 Prozent des BIP) für die nationale Sicherheit in ihrem Haushaltsentwurf vom Februar 2020 für das Haushaltsjahr 2021. Darin waren 28,9 Milliarden Dollar für die Modernisierung des Atomwaffenarsenals enthalten, aber kein Cent zur Bekämpfung des Klimawandels oder von Pandemien.
Zum Vergleich: Saudi-Arabien gibt acht Prozent des BIP für die Landesverteidigung aus, während Deutschland und Neuseeland etwa ein Prozent des BIP ausgeben. Die beiden letztgenannten Länder stehen in der Pandemie bisher viel besser da. Einige Nationen, darunter Island und Costa Rica, haben nicht einmal Armeen. In diesem Jahr war Costa Rica eines der ersten Länder, das die Abholzung gestoppt hat, mit dem Ziel, kohlenstoffneutral zu werden; es ist auch eines der ersten tropischen Länder, das eine Kohlenstoffsteuer eingeführt hat.
Die künftigen Prioritäten des Militärs sind noch weiter von denen der Menschen entfernt. Während sich der Planet erhitzt, gehören die Vereinigten Staaten, China, Russland, Frankreich und das Vereinigte Königreich zu den Ländern, die durch KI unterstützte Waffen entwickeln, die unter der Kontrolle von Algorithmen Menschen suchen, verfolgen, auf sie zielen und sie möglicherweise töten können. Die Vereinigten Staaten haben 2018 zwei Milliarden Dollar für die Entwicklung von KI-Technologie bis 2023 zugesagt. Cyber- und Weltraumkriegsführung sind weitere beunruhigende Bereiche. Erst im Juli 2020 testete Russland laut Berichten der USA und Großbritanniens eine Weltraumwaffe, die in der Lage ist, Satelliten zu zerstören.
Unpassende Prioritäten
Viele Wissenschaftler wehren sich gegen die militärische Nutzung von künstlicher Intelligenz. Im April 2018 schrieben mehr als 3000 Google-Mitarbeiter einen Brief an die Unternehmensführung, in dem sie erklärten, dass das Unternehmen »nicht im Kriegsgeschäft tätig sein sollte«. Sie lehnten Googles Projekt mit dem US-Verteidigungsministerium unter dem Codenamen Maven ab, das Gesichtserkennung zur Verbesserung der Einsätze bewaffneter Drohnen nutzen sollte, und forderten, das Projekt abzubrechen. Sie hatten Erfolg. Ende Mai 2018 zog sich Google aus dem Vertrag zurück.
Ihre Kampagne wurde von vielen anderen unterstützt, unter anderem von der Tech Workers Coalition, der Campaign to Stop Killer Robots und dem International Committee for Robot Arms Control (dessen stellvertretende Vorsitzende ich bin); in einem offenen Brief wurden mehr als 1000 Unterschriften gesammelt.
Eine ganze Reihe von Taktiken wurde eingesetzt, um gegen die militärische Nutzung der KI zu protestieren – darunter die Veröffentlichung des Kurzfilms »Slaughterbots« im Jahr 2017, der von dem führenden KI-Spezialisten und Computeringenieur Stuart Russell an der University of California in Berkeley gedreht wurde. Der Film, den er auf einem UN-Panel vorführte, zeigt Minischwärme autonomer Killerroboter, die Gruppen junger Menschen suchen und töten, die politisch andere Ansichten vertreten. Ich war auf dem Podium: Die Wirkung war spürbar.
Was nun getan werden muss
Die folgenden Schritte müssen dringend unternommen werden, um die Welt auf einen sichereren Kurs zu lenken. Erstens: Neue Rüstungswettläufe stoppen. Die Welt wird bereits mit Waffen überflutet. Bei der nächsten UNO-Tagung über den Einsatz von KI im Krieg müssen sich die Länder zu einem rechtsverbindlichen Vertrag verpflichten, der Grenzen setzt und die menschliche Kontrolle als Grundlage festlegt. (Das Treffen wurde wegen Covid-19 verschoben, soll aber im November 2020 in Genf stattfinden).
Darüber wird seit 2014 gesprochen; es ist höchste Zeit zu handeln. Die meisten Länder, die kein militärisches KI-Programm haben, wollen eines. Aber es liegt im Interesse aller Nationen, sich auf einen Vertrag festzulegen, der verhindert, dass KI-Waffen von Terroristen und bewaffneten Aufständischen entwickelt und eingesetzt werden. Das riesige Potenzial von KI, das für das Gemeinwohl der Menschheit genutzt werden kann, sollte nicht als Waffe eingesetzt werden.
Zweitens: Alle müssen sich an den Vertrag über den Waffenhandel halten. Diese internationale Konvention, die 2014 in Kraft trat, ist die erste, die Regeln für internationale Waffentransfers festlegt, die den Menschenrechten und dem Kriegsrecht entsprechen, um Völkermord und andere Gräueltaten zu verhindern. China hat den Vertrag gerade erst ratifiziert – eine entscheidende Aufnahme, da es ein wichtiger Akteur im Rüstungsbereich ist. Weitere 31 Länder, die den Vertrag unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert haben – darunter die Vereinigten Staaten – müssen dies noch 2020 tun.
Die Trump-Regierung sagt, dass sie nicht länger zu den Unterzeichnern gehören wird. Ich behaupte, dass es unerlässlich ist, den Vertrag zu ratifizieren, um legitime Unternehmen zu unterstützen und die Menschen vor Schwarzmarktwaffen zu schützen. Der Waffenhandel selbst verliert jährlich schätzungsweise 20 Milliarden Dollar durch illegale Verkäufe, so dass es im Interesse der größten Rüstungsunternehmen liegt, ihre Regierungen zur Ratifizierung des Vertrags zu bewegen und dazu beizutragen, illegale Märkte zu verhindern.
»Der Kampf gegen die globale Erwärmung ist ähnlich wie die Covid-19-Pandemie ein Kampf gegen einen unsichtbaren Feind; nur die Verwüstung, die durch Untätigkeit entsteht, ist sichtbar«
Denise Garcia
Drittens: Umsetzung des Pariser Klimaabkommens von 2015. Der Kampf gegen die globale Erwärmung ist ähnlich wie die Covid-19-Pandemie ein Kampf gegen einen unsichtbaren Feind; nur die Verwüstung, die durch Untätigkeit entsteht, ist sichtbar. Und wie bei der Pandemie gibt es bekannte, klare, präventive Schritte zur Schadensbegrenzung, selbst bei großer Unsicherheit. Ein erheblicher Teil der Militärausgaben und des Fachwissens sollte umgewidmet und in Programme für erneuerbare Energien, Klimaschutz- und Anpassungsprojekte investiert werden sowie in humanitäre Hilfe bei Naturkatastrophen und für den Wiederaufbau nach Covid-19.
Die Regierungen sollten einen Teil dieser Waffengelder in den Grünen Klimafonds (GCF, ein Klimafonds der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen mit Verwaltungssitz im südkoreanischen Incheon, Anm. d. Red.) einbringen, um zum Beispiel Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu helfen, ihre Pariser Zusagen einzuhalten. Die Verringerung der durch Luftverschmutzung verursachten Todesfälle um fast 30 Prozent wird jedem Land zugutekommen, und die Eindämmung der Artenvielfaltskrise wird künftige Pandemien unwahrscheinlicher machen.
Viertens: Investitionen in die nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO. Diese wurden 2015 von den Nationen einstimmig beschlossen und bieten einen Fahrplan für Maßnahmen, die die Sicherheit aller Menschen gewährleisten und Ungleichheiten ausgleichen sollen, wie sie durch die Pandemie offensichtlich geworden sind. Prävention zahlt sich aus. Das Erreichen der Ziele würde auch neue Marktchancen eröffnen, wie etwa eine grüne Wirtschaft, und Hunderte von Millionen an Arbeitsplätzen schaffen.
Die wachsende Bevölkerung, die Beeinflussung des Klimas, die rasante Entwicklung neuer Technologien – all dies erfordert Verteidigungsansätze, die sich wirklich auf die menschliche Sicherheit konzentrieren.
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