Storks Spezialfutter: Das große Gefälle
In meinem Leben gibt es eine einzige Tradition, die seit mehr als 40 Jahren ungebrochen ist: Egal, wo ich bin, egal, mit wem ich feiere – am 24. Dezember steht ein geschmückter Weihnachtsbaum im Zimmer. Immer! Meistens eine Nordmanntanne von einem temporären Verkaufsstand oder seltener ein selbst geschlagener Baum von einer Plantage.
Doch dieses Jahr ist die Zeit reif für den Beginn einer neuen Tradition: nämlich keinen Weihnachtsbaum aufzustellen. Zumindest keinen aus Harz und Nadeln. Knapp 30 Millionen Bäume werden in Deutschland jährlich zu Weihnachten gefällt. Mehr als zehn Jahre braucht eine Nordmanntanne, um auf eine Höhe von zwei Metern heranzuwachsen. Als Weihnachtsbaum nadelt sie dann zwei Wochen die Wohnung voll und wird anschließend im Müll entsorgt. Ich frage mich, wie gut das große Baummassaker wirklich mit dem Fest der Liebe, dem Gedanken der Nachhaltigkeit und dem Kampf gegen den Klimawandel zu vereinbaren ist.
Doch zum Glück gibt es Alternativen: Neben künstlichen Weihnachtsbäumen, deren immergrüne Plastiknadeln garantiert nie ausfallen, finden sich verschiedene Varianten aus Holz. Man kann eine Art Besenstil kaufen – mit Ständer und Stern –, der mit Löchern übersät ist. In die Löcher lassen sich frische Tannenzweige stecken und so ein Baum zusammenstückeln. Am Ende hat man aber trotzdem wieder überall in der Wohnung Nadeln liegen und dazu viel Arbeit mit dem Zusammenstecken.
Alternativen zum echten Weihnachtsbaum
Es gibt ästhetisch radikalere und nachhaltige Konzepte, die mir eher zusagen: Ein Spiralbaum zum Beispiel besteht aus einer großen, spiralförmig gesägten Holzscheibe. Steckt man die Scheibe auf einen Stab, entfaltet sich die Spirale nach unten und windet sich um den Stab. Es entsteht eine Art Hohlform eines Weihnachtsbaums. Dann gibt es noch den Typus Holzweihnachtsbaum – mein persönlicher Favorit: Er besteht aus einer beliebigen Anzahl von Latten, die um einen Stab in der Mitte rotieren können und von unten nach oben immer kürzer werden. Die spitz zulaufende Form ähnelt der Weihnachtsbaumsilhouette. Holzbäume mit wenigen Ästen sehen für mich wie magere Garderobenständer aus. Die üppige Version dagegen stellt eine durchaus festliche Holzskulptur dar.
In »Storks Spezialfutter« geht der Umweltjournalist Ralf Stork diesen Fragen einmal im Monat auf den Grund.
Für die meisten dürften Alternativbäume gewöhnungsbedürftig sein. Das zeigt sich daran, dass trotz der breiten Palette an Alternativen der Verkauf echter Weihnachtsbäume weiter zunimmt: 29,8 Millionen Bäume waren es 2019 – und damit knapp sechs Millionen Bäume mehr als im Jahr 2000. Damals kauften die Menschen in Deutschland zirka 24 Millionen Bäume.
Eigentlich sollte der Trend in die andere Richtung gehen. Allein schon, weil es nicht nachhaltig sein kann, jedes Jahr einen zehn Jahre alten Baum für ein paar Feiertage zu fällen. Auch weil die Ökobilanz der echten Bäume deutlich schlechter ausfällt als die der Alternativen. In der Schweiz hat sich ein auf Ökobilanzen spezialisiertes Unternehmen einmal die Mühe gemacht, den CO2-Fußabdruck verschiedener Weihnachtsbäume zu vergleichen. Demnach kommt eine intensiv produzierte Tanne auf 8,5 Kilogramm CO2. Für einen Baum frisch aus dem Wald ermittelte das Unternehmen nur einen halb so großen Fußabdruck von 4,2 Kilogramm CO2. Auch Plastikbäume wurden in den Vergleich einbezogen: Bei Anschaffung ist der ökologische Fußabdruck mit 6,5 bis 10,3 Kilogramm CO2 teilweise sogar höher als der von intensiv produzierten Bäumen. Weil der Baum aber über viele Jahre genutzt werden kann, verringert sich der Fußabdruck im Lauf der Zeit.
In Deutschland stammen mehr als 80 Prozent der erworbenen Bäume aus intensiv bewirtschafteten Plantagen, wo auch Dünger und Pestizide zum Einsatz kommen. Bäume aus nachhaltigem Anbau machen nach Schätzungen der Umweltorganisation Robin Wood nur 15 Prozent der verkauften Bäume aus. Und nur etwa ein Prozent wächst unter besten ökologischen Bedingungen. Immerhin, das Angebot an solchen Weihnachtsbäumen wird größer. 2010 gab es deutschlandweit 100 Verkaufsstellen für Biobäume, mittlerweile sind es mehr als 1000.
Geld sparen und spenden
Wer auf einen konventionellen Weihnachtsbaum verzichtet, kann also seine Umweltbilanz etwas aufbessern – auch über den reinen CO2-Abdruck hinaus. In Berlin kostet ein Baum ungefähr 60 bis 70 Euro. Schaffe ich mir stattdessen einen Holzbaum an, den ich immer wieder aufstellen kann, spare ich jedes Jahr Geld, das ich zum Beispiel an Klimaschutzorganisationen spenden kann.
Der Verzicht auf einen Weihnachtsbaum hat vor allem etwas Symbolisches. Die CO2-Bilanz von Weihnachten wird von anderen Faktoren deutlich stärker verhunzt: Der Festtagsschmaus mit Rinderbraten zum Beispiel schlägt bei vier Portionen mit zirka 13 Kilogramm CO2 zu Buche. Und sollte jemand seine Liebsten mit einer Reise nach New York beschenken, fallen für den Flug von Deutschland pro Person gleich mehrere Tonnen CO2 an. Für diese Menge könnte man locker einen mittelgroßen Weihnachtswald abholzen.
Alternativen zum Weihnachtsbaum sind trotzdem gut und wichtig: Wir versagen permanent bei der Rettung des Klimas, weil wir nicht bereit sind, von lieb gewonnenen Traditionen – Auto fahren, Fleisch essen, Konsum – zu lassen. Zumindest ein bisschen. Die Latten des Holzbaums könnten ein winziges Symbol dafür sein, dass wir die Zeichen der Zeit erkannt haben. Und eine gute Übung: Wenn wir die kommenden Jahrzehnte einigermaßen unbeschadet überstehen wollen, werden wir sehr viele lieb gewonnene Verhaltensweisen aufgeben müssen. Warum nicht einfach schon mal beim Weihnachtsbaumkauf damit anfangen. Ich habe dieses Jahr jedenfalls einen Holzbaum besorgt – secondhand aus dem Nachbarkiez, in Heimarbeit gefertigt und deshalb ziemlich nachhaltig.
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