Storks Spezialfutter: Wenn der Buhmann auf dem Acker steht
Beim Aufräumen der Kinderzimmer ist mir ein Buch in die Hände gefallen, das schon zwei, drei Jahre nicht mehr gelesen worden ist. Es heißt »Der Bauernhof«, hat ein quadratisches Format und stabile Pappseiten mit vielen großen und kleinen Klappen, hinter denen sich allerhand Wissenswertes zum titelgebenden Berufsstand verbirgt. Und das sieht dann offenbar so aus: Eingebettet in eine hügelige Landschaft mit vielen Bäumen und schönen Feldwegen sieht man die Bäuerin, die gerade die Kühe auf die Weide führt; der Bauer fährt auf einem Traktor durchs Bild. Meister Lampe – gar nicht scheu – hoppelt vorbei. Und direkt auf dem Hof laufen Gänse, Hühner, Schafe, ein paar Schweine, Hunde und Katzen durcheinander.
Toll. Während ich so durch die Seiten blättere, wird der Bauernhof für mich zum echten Sehnsuchtsort. Am liebsten würde ich gleich alles stehen und liegen lassen und noch mal ganz neu anfangen – als Bauer. Oder nein, vielleicht doch lieber erst mal als Urlauber auf so einem Bauernhof. Ich schlafe gerne aus am Wochenende. Und auf seiner letzten Seite gibt einem das Buch dann doch noch zu verstehen, dass Bauer oder Bäuerin sein ein ziemlicher Knochenjob ist, bei dem keine großen Pausen vorgesehen sind.
In »Storks Spezialfutter« geht der Umweltjournalist Ralf Stork diesen Fragen einmal im Monat auf den Grund.
Das mit der fehlenden Freizeit kommt der Realität wahrscheinlich ziemlich nahe. Ansonsten aber zeichnet das Buch – wie eigentlich alle Kinderbücher, die zum selben Thema erschienen sind – das Bild einer Landwirtschaft, die es so schon lange nicht mehr gibt: Ein kleiner Mischbetrieb mit ein paar wenigen Tieren jeder Art. Und Feldern. Und Gemüseäckern. Und einer Streuobstwiese natürlich.
Ein Kinderbuch ist ein Kinderbuch. Ein bisschen Vereinfachung ist da sogar wünschenswert. Man will ja auch im Baustellen-Wimmelbuch keine Schwarzarbeiter suchen müssen. Mit der Realität haben solche Strukturen aber kaum etwas zu tun: Die Betriebe wachsen immer weiter. 2020 liegt die statistische Durchschnittsgröße bei 63 Hektar. Noch vor zehn Jahren waren es 56 Hektar. 62 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche nur ein Drittel der Jugendlichen drei Getreidearten nennen, hat die Bezeichnung für das männliche Schwein parat oder kann sagen, was genau Stroh ist. Immer mehr Menschen haben immer weniger Kontakt zur Landwirtschaft, deshalb driften die Lebenswelten immer weiter auseinander.
Das beobachtet auch Phillip Krainbring, 35 Jahre und von Beruf Landwirt. Seit 2016 ist er Betriebsleiter eines großen konventionellen Bauernhofs, der in der Magdeburger Börde unter anderem Mais und Zuckerrüben anbaut. »Die meisten Leute haben heute keinen Bezug mehr zur Landwirtschaft und verstehen die Arbeitsschritte nicht«, sagt Krainbring.
Fremd- und Selbstwahrnehmung liegen zum Teil weit auseinander. »Aus unserer Sicht bemühen wir uns, gesunde und hochwertige Lebensmittel zu produzieren, aber kriegen von Teilen der Öffentlichkeit dafür nur auf den Rüssel«, sagt Krainbring. Die Vorwürfe lauten etwa, Landwirte würden Tiere quälen und die Böden vergiften.
Mittels größtmöglicher Offenheit will er beide Seiten aneinander annähern. Als »Erklärbauer« schreibt er in den sozialen Medien regelmäßig über seine alltägliche Arbeit – über den Maiszünsler, die Rapsaussaat oder darüber, dass er in der Corona-Zeit auf seiner Braugerste sitzen bleibt, weil die Leute weniger Bier trinken. Neben einigen Hasskommentaren hat ihm das auch mehrere tausend Follower und Einladungen zu Diskussionsrunden eingebracht.
»Ich finde es wichtig, meine Arbeit möglichst transparent zu machen«, sagt er. Dann kann er unter anderem erklären, dass er nichts zu verheimlichen hat, wenn er nachts die Pflanzen auf dem Acker einsprüht. Sondern dass es tagsüber dafür einfach zu windig war. »Wenn ich erklären kann, was ich mache, haben viele Bürger auch Verständnis dafür«, sagt er. Je mehr Austausch, je mehr Berührungspunkte, desto besser. Seit zwei Jahren baut Krainbring deshalb Zuckermais auf einer kleinen Fläche an, der dann direkt ab Hof verkauft wird. Krainbring wirtschaftet konventionell, ist aber auch offen für Artenschutzmaßnahmen wie Lerchenfenster oder für alternative Schädlingsbekämpfung mit Schlupfwespen. Herbizide, Insektizide und Fungizide kommen in der passenden Dosierung aus Überzeugung trotzdem zum Einsatz.
Krainbring und andere Landwirte, die öffentlich sichtbar arbeiten, zeigen das System Landwirtschaft so, wie es ist. Indem sie in den Dialog gehen, machen sie auch deutlich, dass die Landwirtschaft inklusive Gülle und Pestiziden systemischer Teil unserer Gesellschaft ist. Das als Selbstverständlichkeit zu akzeptieren, fällt gar nicht so leicht. Denn um Missverständnissen vorzubeugen: Die Landwirtschaft ist natürlich ein Treiber des Artenschwunds und der Überdüngung der Gewässer. Nur ist es eben zu einfach, dass allein den Bauern anzukreiden.
Das System ist, wie es ist, und wird von der großen Mehrheit gestützt. Sonst würde es nicht funktionieren. »Am Ende müssen wir so arbeiten, dass es wirtschaftlich ist«, sagt Krainbring. Die meisten Bauern würden vermutlich gerne mehr für die Artenvielfalt tun, wenn das nicht ihr Einkommen beeinträchtigen würde. Aber so funktioniert das System noch nicht.
Im Prinzip ist das keine große Neuigkeit. Dass das 99-Cent-Schnitzel eher nicht in einer Bauernhofidylle herangewachsen sein kann, wie wir sie aus Kinderbüchern kennen und uns wünschen, ist eigentlich logisch.
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