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Lobes Digitalfabrik: Kommissar Kühlschrank - Wenn die Technik zum Zeugen wird

Amazons "Echo" könnte einen Mord belauscht haben, jetzt soll die Firma die Audiodaten herausgeben. Das Internet der Dinge beflügelt die Kontrollfantasien von Kriminalisten.
Die Wand hat Ohren - und bald auch der Kühlschrank?

Es klingt wie der Plot eines Kriminalromans: Am 22. November 2015 wird Victor Collins, ein ehemaliger Polizeibeamter, tot in einem Whirlpool in einem Wohnhaus in der Stadt Bentonville im US-Bundesstaat Arkansas aufgefunden. Der Bewohner des Hauses, Andrew Bates, beteuert gegenüber der Polizei, dass es sich um einen tragischen Unfall handelte. Er sei bereits vor dem Todeszeitpunkt zu Bett gegangen. Die Rechtsmediziner fanden jedoch Kampfspuren am Leichnam von Collins, was auf mögliche Gewalteinwirkung hindeuten könnte. Die Ermittler witterten Verdacht, als sie Blutspuren im Pool identifizierten. Zwischen ein Uhr und drei Uhr nachts wurden 140 Gallonen (rund 530 Liter) Wasser ausgetauscht. Hinzu kommt: Bates war zu dieser Zeit der einzige Zeuge. Und er hatte kein handfestes Alibi.

Die Polizei wollte in dem Fall eine weitere, unverhofft vorgefundene "Zeugin" befragen: Amazon Echo, einen Netzwerklautsprecher, der sprachgesteuert arbeitet und dessen Sprachassistentin auf das Aktivierungswort "Alexa" hört. Wie die Webseite "The Information" berichtet, verlangte die Polizei von Bentonville die Herausgabe von Daten und Audioaufzeichnungen des vernetzten Lautsprechers. Echo zeichnet Sätze auf und leitet diese an einen Cloud-Dienst weiter, wo sie von Algorithmen ausgewertet werden. Der Lautsprecher hört laufend mit – und könnte wichtige Angaben in dem Mordfall machen. Was geschah zur Tatzeit? Gab es Schreie des mutmaßlichen Opfers? Hat Andrew Bates wirklich neues Wasser in den Pool eingelassen, wie er zu Protokoll gab? Der vernetzte Assistent könnte ein tödliches Geheimnis hüten.

Die Abfrage der Informationen wäre nur die logische Folge einer immer ausgefeilteren Computerforensik. Straftäter wurden bereits auf Grund digitaler Fingerabdrücke auf dem Smartphone, ihrer Suchhistorie und sogar im Onlinespiel "World of Warcraft" überführt. Vor einem Gericht in den USA wurden Daten eines Fitnesstrackers genutzt, um die Vergewaltigungsvorwürfe einer Frau zu widerlegen – die Nutzerdaten zeigten, dass die Frau zur vermeintlichen Tatzeit wach war und nicht schlief, wie sie behauptet hatte.

Die Gedanken sind frei – endet der Persönlichkeitsschutz beim smarten Lautsprecher?

Amazon hat die Herausgabe der Daten ähnlich wie Apple im Streit mit dem FBI um die Entschlüsselung des iPhones eines Terroristen abgelehnt. Doch der Fall wirft einige wichtige rechtspolitische und rechtsphilosophische Fragen auf: Darf ein virtueller Assistent überhaupt in den Zeugenstand gehoben werden? Darf er gegen seinen Besitzer aussagen?

Die Rand Corporation hat in einer aktuellen Studie ("Future-Proofing Justice; Building a Research Agenda to Address the Effects of Technological Change on the Protection of Constitutional Rights") auf die Problematiken einer strafprozessualen Verwertung dieser Daten hingewiesen. Die (US-)Grundrechte zögen eine klare Grenze zwischen den Informationen in den Köpfen, die dem Zugriff des Staates entzogen sind, sowie solchen Informationen, die auf ihren "papers and effects" gespeichert sind, also Handydaten oder, ganz analog und altmodisch, Schriftstücke wie etwa ein Testament. Die dürfte man unter engen rechtlichen Voraussetzungen im Prozess verwenden. Doch wo zieht man die Grenze? Ist die grundrechtlich geschützte Unverletzlichkeit der Wohnung nicht schon überholt, weil persönliche Gegenstände wie Bücher oder Musik auf dem Handy gespeichert sind?

Die Autoren schreiben: "Indem die Technologien physisch in die Menschen integriert werden …, verschwimmt die Grenze zwischen Technologie und Person immer weiter." Ist der Fitnesstracker nicht schon Teil der Person selbst? Stellt das allwissende Smartphone eine Art externe Gedankenprothese dar? Und folgt aus dem rechtsstaatlichen Grundsatz, dass der Angeklagte ein Aussageverweigerungsrecht hat, nicht auch denknotwendig, dass die Technik schweigen muss? Darf der Staat die gespeicherten Gedanken aus Geräten auslesen?

Der deutsche Bundesgerichtshof hat 2011 in einem wegweisenden Urteil entschieden, dass ein im Auto abgehörtes Selbstgespräch nicht als Beweismittel in einem Strafprozess verwendet werden darf. In dem Fall hatte ein 46-jähriger Familienvater in seinem Auto in einem viel sagenden Monolog Sätze wie "Wir haben sie tot gemacht" oder "Die Lotis ist schon lange tot" vor sich hin gestammelt, die als Geständnis für die Tat gewertet werden konnten. Der Mann, der sich allein und unbelauscht wähnte, redete laut denkend vor sich hin. Was der Angeklagte nicht wusste: Die Polizei hatte sein Auto verwanzt und mitgehört.

Die Richter urteilten, dass der Persönlichkeitsschutz nicht beim Tagebuch endet. Die Gedanken sind auch im Auto frei. Der Tenor des Urteils war, dass man nicht in den verlautbarten Gedanken eines Menschen eindringen darf, weil es die Existenzberechtigung des Menschen ist, dass er denken darf. Und die Menschlichkeit endet, wenn er nicht mehr denken darf. Das Wissen um einen Mörder, den man nicht belangen kann, ist für die Gemeinschaft verstörend, nachgerade unerträglich und eine Belastungsprobe für den Rechtsfrieden, doch sind nach Abwägung der Richter Selbstgespräche über Straftaten dem Kernbereich der Persönlichkeit zuzurechnen.

Doch gilt dieser Grundsatz auch im Amazon-Kosmos? Sind die Gedanken auch bei Echo frei? Endet der Persönlichkeitsschutz beim smarten Lautsprecher? Das sind Fragen, die noch nicht im Ansatz geklärt sind, aber durch den Siegeszug der Technik eine neue Dringlichkeit erfahren. Wo Daten vorhanden sind, besteht für die Ermittlungsbehörden ein Anreiz, diese auch abzuschöpfen. Der neue smarte Kühlschrank von Samsung ist im Innern mit drei hochauflösenden Kameras ausgestattet, die per App einen Livefeed aktueller Aufnahmen auf das Smartphone schicken. So kann man unterwegs im Supermarkt prüfen, ob noch genügend Milch im Haus ist oder die Tomaten noch haltbar sind. Das klingt praktisch. Doch der Kühlschrank, der vom Hersteller als "Familienmanager" gepriesen wird, schießt nicht nur bei jedem Öffnen Fotos, sondern synchronisiert auch den Terminkalender – und weiß damit, wo sich der Besitzer aufhält. Kommissar Kühlschrank könnte das Alibi in Zweifel ziehen.

Wie verändert diese omnipräsente Überwachungstechnologie die Menschen? Führt man künftig vertrauliche Gespräche im Freien, weil der smarte Fernseher mithören könnte?

"Wenn diese Fälle sich häufen, gibt es ganz bestimmt Veränderungen in der Kriminalistik, der Aufklärung der Fälle, den Ermittlungen und so weiter", sagt der Hamburger Kriminologe und Soziologe Nils Zurawski. "Aus einer rechtlichen, vor allem aber aus einer gesellschaftsanalytischen Perspektive heraus stellt sich dann die Frage, inwiefern Amazon und Co zu Hilfskräften der Polizei oder gar zur Polizei selbst werden."

Googles (alter) Wahlspruch "Don't be evil" (Sei nicht böse!) könnte auch als Drohung einer Einmischung aufgefasst werden. Achtung, wir beobachten dich!

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