Grams' Sprechstunde: Komplementärmedizin - die bessere Medizinalternative?
Neulich war ich auf einem Symposium, auf dem es unter anderem um die Behandlung von Krebs mit der so genannten Alternativmedizin ging. Die anwesenden Experten waren sich schnell ziemlich einig, dass es für die meisten »Alternativen« keinen soliden Wirknachweis gibt, schon gar nicht bei Krebs. Deutlich länger diskutierte man dann über ihren komplementären, das heißt zusätzlichen Einsatz.
Für viele Menschen ist die Diagnose Krebs begreiflicherweise total bedrohlich, und über die nun möglichen Therapieoptionen hat man schon viel Unheimliches gehört. »Chemotherapie tötet doch mehr Menschen, als sie hilft«, »Operieren lasse ich mich nicht, da verdient doch nur der Chefarzt dran, und es gibt so viele Behandlungsfehler«, »Die wahre Heilung kommt von innen, ich werde mich nicht mit Chemiebomben abschießen lassen«. Der Wunsch, es möge eine »sanfte« Krebstherapie geben, ist so verständlich wie verbreitet. Was soll schlimm daran sein, sich lieber sanft behandeln lassen zu wollen?
So nachvollziehbar dieser Wunsch ist, so fatal ist er auch. Forscher um Skyler B. Johnson von der Yale University haben 2017 eine viel beachtete Studie zu genau diesem Punkt durchgeführt. Auf der Grundlage des US-Krebsregisters haben sie zwei Vergleichsgruppen von jeweils ausschließlich alternativ sowie auf wissenschaftlicher Grundlage behandelten Patienten zusammengestellt. Die Patienten waren an den am häufigsten vorkommenden Krebsarten erkrankt (an Brust-, Prostata-, Lungen- oder Darmkrebs), es hatten sich jedoch noch keine Metastasen gebildet. Verglichen wurden die Überlebensraten der beiden Gruppen über einen Zeitraum von sieben Jahren. Es wurde nicht nach alternativen Methoden differenziert.
Das Ergebnis ist eindeutig: Zu jedem Zeitpunkt nach Beginn der Studie, den die Forscher ausgewertet haben, waren etwa doppelt so viele »alternativ therapierte« Menschen gestorben wie konventionell behandelte Patienten. Am Ende des Studienzeitraums, nach sieben Jahren, war die Hälfte der Personen unter der Alternativtherapie verstorben, aber nur gut ein Viertel unter der konventionellen Therapie. Je nach Krebsart war der Unterschied noch deutlicher ausgeprägt. Würde man diese Tendenz statistisch in die Zukunft extrapolieren, so wäre ein Punkt zu erwarten, an dem etwa die Hälfte aller nach streng medizinisch-wissenschaftlichem Knowhow behandelten Menschen noch leben, während alle »alternativ« oder »sanft« behandelten Patienten bereits tot sind.
Das war zunächst einmal eine Betrachtung, die allein zwischen einer nur wissenschaftlichen und einer nur alternativen Behandlung unterschied – und das Resultat hätte wohl, wie oben erwähnt, niemanden auf dem neulich von mir besuchten Symposium wirklich überrascht. Interessanter ist natürlich, ob auch eine komplementäre, also aus wissenschaftsbasierten und »alternativmedizinischen« Ansätzen kombinierte Therapie solche Auswirkungen hat. Das Yale-Team ist genau dieser Frage 2018 in einer Folgestudie nachgegangen.
Und tatsächlich, hier zeigt sich ebenfalls ein deutlicher Effekt. Personen, die sich zusätzlich komplementär behandeln ließen, hatten Nachteile zu erwarten. Auf den ersten Blick ist das merkwürdig, denn diese Patienten wurden ja ebenfalls konventionell medizinisch-wissenschaftlich betreut. Die Forscher führen den Effekt darauf zurück, dass bei dieser Gruppe Therapieverzögerungen und -verweigerungen bei den konventionellen Behandlungen nicht selten waren. Man kennt das aus anderen Untersuchungen: Patienten, die sich ausschließlich komplementär alternativmedizinisch behandeln lassen, neigen zu einer geringeren Compliance, einer weniger stark ausgeprägten Bereitschaft, sich nach den ärztlichen Empfehlungen zu richten. Mediziner beklagen dies als nicht vollständige Therapieadhärenz. Dazu kommt möglicherweise ein Nocebo-Effekt, der bei den zusätzlich absolvierten Standardtherapien einsetzt. Diese werden als »Schulmedizin« gegen »sanft« kontrastiert und im Vergleich als gefährlich eingestuft.
Eine Entscheidung für die »Alternativmedizin« bei einer Krebsdiagnose, die nach wissenschaftlicher Einschätzung als heilbar gilt, kann demnach lebensgefährlich sein – und zwar in jeder Konstellation, egal ob die Alternative ausschließlich oder komplementär eingesetzt wird. Die Studienautoren empfehlen jedem Krebsmediziner, ihre Patienten deutlich über diese Erkenntnisse aufzuklären. Leider geschieht das bisher viel zu selten. Im Gegenteil: Sogar viele Ärzte unterliegen dem Irrglauben, es könne ja wohl nicht schaden, wenn man noch etwas Sanftes »nebenher« empfiehlt. Aus dem Studienergebnis wird klar, dass dies jedoch gerade dann gefährlich ist, wenn die vermeintlich sanfte Alternative als gleichwertig beschrieben wird.
Vielleicht kann man es so sehen: Die größte Überlebenswahrscheinlichkeit, egal bei welcher Krebsdiagnose, bietet einem die evidenzbasierte Medizin. Die ist übrigens gerade in der Krebstherapie mittlerweile immer individualisierter und patientenspezifischer geworden. Kein Krebs ist wie der andere – und kein Patient wie der nächste. Hier hat sich wirklich viel getan. Entscheidend ist: Eine komplementärmedizinische Ergänzung sollte nie die eigentlich wirksame Therapie ersetzen, verzögern oder in Frage stellen. Dann aber spricht im Übrigen wenig gegen eine Zusatzoption der Wahl, die dem eigenen Wohlbefinden und Lebensgefühl dient oder die Selbstwirksamkeit fördert. Zum Beispiel Yoga: Das hat keinen kurativen Ansatz, kann jedoch die Stimmung verbessern, die Beweglichkeit erhalten und den Kreislauf aktivieren. Zudem drängt es uns dazu, unseren inneren Schweinehund unsanft zu überwinden – und Bewegung, Training und noch mal Bewegung helfen uns, wie in vielen anderen Studien gezeigt, besser als jede vermeintlich sanfte Alternative auch und vor allem dabei, gar nicht erst krank zu werden.
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