Freistetters Formelwelt: Widerhall aus dem »Nichts«
Im 17. Jahrhundert stellte Isaac Newton die Naturwissenschaft das erste Mal auf ein solides mathematisches Fundament. Er war unter anderem in der Lage, exakte Formeln anzugeben, die beschreiben, wie sich Himmelskörper gegenseitig mit ihrer Gravitationskraft beeinflussen und dadurch so bewegen, wie sie es tun. Im frühen 19. Jahrhundert verfasste Pierre Simon Laplace seine monumentale »Abhandlung über die Himmelsmechanik« und vollendete die Arbeit, die Newton begonnen hatte.
Laplace konnte mathematisch zeigen, dass die Bahnen der Planeten trotz aller gegenseitigen Störungen tatsächlich stabil sind, zumindest in erster Näherung. Warum das Sonnensystem aber nicht so deterministisch ist, wie man damals dachte, versteht man ein wenig besser, wenn man diese Formel betrachtet:
Sie beschreibt das zentrale Element der so genannten »Kozai-Resonanz«. Benannt nach dem japanischen Astronom Yoshihide Kozai stellt sie eine spezielle Resonanz dar, die zwischen Himmelskörpern im Sonnensystem entstehen kann.
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Resonanzen sind aus astronomischer Sicht eine höchst spannende Sache. Die Vorstellung des Sonnensystems als eine Art kosmischen Uhrwerks, in dem die Planeten für alle Zeit auf exakt berechenbaren Wegen ihre Runden um die Sonne ziehen, ist nicht ganz falsch. Aber ebensowenig ist sie richtig. Die Schwerkraft der Sonne dominiert die Bewegung der Planeten – aber die Gravitationskraft der Planeten untereinander kann man deswegen nicht vernachlässigen. Sie beeinflussen sich gegenseitig und diese Störungen führen dazu, dass sich die Bewegung zwar immer noch durch elliptische Umlaufbahnen beschrieben lässt, aber eben nur näherungsweise: Die Ellipsen verändern sich durch die Störungen; sie werden ein wenig größer und kleiner; werden mehr oder weniger elliptisch und wackeln in allen drei Raumrichtungen hin und her. Das tun sie im Laufe vieler hunderttausend Jahre. Daher ist, so wie Laplace es festgestellt hat, das Sonnensystem in erster Näherung stabil.
Allerdings nur, sofern es keine Resonanzen gibt. Vereinfacht gesagt kürzen sich die gravitativen Störungen der Planeten im Mittel weg. Es gibt zwar Veränderungen bei den Planetenbahnen, aber die halten sich in Grenzen. Wenn die Störungen aber zufällig genau aufeinander abgestimmt sind, kann sich das Ganze regelrecht aufschaukeln – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Wenn etwa die Umlaufzeiten zweier Himmelskörper in einem (kleinen) ganzzahligen Verhältnis stehen, dann wird sich ihre relative Position zueinander periodisch wiederholen und damit können sich gravitative Störungen verstärken. So weit, dass ein Himmelskörper dadurch auf eine instabile Bahn geraten kann.
Achtung, Satelliten auf Kollisionskurs!
Die Kozai-Resonanz ist ein spezieller Fall dieses Phänomens. Sie tritt auf, wenn zwei Himmelskörper gerade so angeordnet sind, dass sie zwar Drehimpuls austauschen können, aber keine Energie. Dann ist die in obiger Formel ausgedrückte Zahl Lz eine Erhaltungsgröße. Sie gilt im Fall eines kleinen Objekts, wie einem Asteroid oder Mond, das von einem großen Objekt wie einem Planeten gravitativ gestört wird. Die Bahnneigung i und die Exzentrizität der Bahn e können sich dann nicht beliebig ändern, sondern müssen immer die obige Gleichung erfüllen. Anders ausgedrückt: Aus einer Bahn mit hoher Exzentrizität und kleiner Neigung kann eine eher kreisförmige Bahn mit starker Neigung werden. Oder umgekehrt.
Und dann kann es kritisch werden: Wenn sich kreisförmige Bahnen wegen des Kozai-Mechanismus zu stark exzentrischen verändern, steigt die Chance für Kollisionen. Das kann dazu führen, dass Monde ihrem Planeten zu nahe kommen. Bei künstlichen Satelliten muss man diesen Effekt berücksichtigen, um einen Absturz zu verhindern. So einfach und gut geordnet wie Newton und Co sich das gedacht haben, ist das Sonnensystem leider nicht.
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