In Bestform: »Wer Muskeln aufbauen will, braucht einen Muskelkater«
Wenn ein Kraftsportler Muskelmasse entwickeln will, muss er mit schweren Gewichten arbeiten, heißt es oft. Stimmt das? Sportwissenschaftler und Fitnesstrainer Daniel Gärtner von der Technischen Universität München spricht im Interview über Mythen sowie Halbwissen zum Thema Muskelaufbau und gibt wissenschaftlich belegte Tipps, wie es gelingt.
Jeder Kraftsportler scheint seine eigene Theorie zu haben, wie sich möglichst viel Muskelmasse aufbauen lässt. Woran liegt das?
Da herrscht eine Menge Unsicherheit und Halbwissen. Erst vor zwei Tagen haben mich ein paar Sportstudierende nach einem Kurs mit Fragen gelöchert wie: Brauche ich zusätzliches Protein? Muss ich immer maximal trainieren? Antworten darauf werden in Fitnessstudios oft von Trainer zu Trainer weitergeben, ohne sie zu hinterfragen.
Wie ist denn der Stand der Wissenschaft in Sachen Proteinzufuhr?
Zunächst muss man unterscheiden zwischen dem medizinisch-therapeutischen Bereich und ambitioniertem Kraftsport. Normale Breitensportler, die beispielsweise längere Zeit verletzt waren und nun die Muskulatur wieder aufbauen möchten, brauchen kein zusätzliches Eiweiß. Die Proteine, die in einer üblichen, ausgewogenen Ernährung enthalten sind, reichen dafür völlig aus. Anders sieht es bei eingefleischten Bodybuildern und Bodybuilderinnen aus. Wenn sie im Muskelaufbau sind, sollten sie alle zwei bis drei Stunden etwa 30 Gramm Proteine zu sich nehmen. Das ist über eine ganz normale Ernährung kaum zu schaffen, da muss man gezielt proteinreich essen.
Ab welchem Maß an Kraftsport trifft das zu?
Man muss schon vier- bis fünfmal pro Woche sehr intensiv trainieren, das heißt: bis zum Muskelversagen, bis man wirklich nicht mehr kann. Ein Breitensportler hört vielleicht nach zehn Wiederholungen auf, weil er denkt: Jetzt tut es weh. Wenn man richtig viel Muskelmasse aufbauen möchte, reicht das aber nicht. Es braucht einen überschwelligen, starken Reiz. Um den zu erreichen, trainieren Bodybuilder und Bodybuilderinnen oft zu zweit. Wenn es eigentlich schon weh tut, macht man mit Hilfe des Partners noch drei, vier Wiederholungen, um den Muskel noch mehr zu reizen. Dadurch entstehen kleine Verletzungen, so genannte Mikrotraumata. Bestimmte Strukturen im Muskel reißen ein. Und es wird sehr viel Laktat gebildet.
»Nur wenn ein Reiz über das gewohnte Ausmaß hinausgeht, reagiert der Körper mit Anpassung«
Ist das nicht von Nachteil? Schließlich sind genau solche Verletzungen für Muskelkater verantwortlich. Und den möchte man doch vermeiden?
Nein, tatsächlich soll genau das beim Bodybuilding provoziert werden. Für die, die es ernst meinen, ist der Muskelkater ein Indiz, dass das Training die erwünschte Wirkung hat. So hart es klingt: Wer Muskelmasse aufbauen will, braucht einen Muskelkater. Der Körper ist ein ökonomisches Objekt. Am liebsten möchte er genau so bleiben, wie er ist. Nur wenn ein Reiz über das gewohnte Ausmaß hinausgeht, reagiert er mit Anpassung. Es gibt allerdings auch Menschen, die selten Muskelkater bekommen und dennoch Muskelmasse aufbauen.
Wenn ich nun so richtig ins Bodybuilding einsteigen will: Sollte ich dann möglichst viele Wiederholungen machen oder lieber möglichst schwere Gewichte nehmen?
Das ist eigentlich egal. Das Wichtigste ist, dass Sie ans Limit gehen, also bis zur totalen Muskelerschöpfung trainieren. Bis vor einigen Jahren herrschte die Meinung vor: Wer viel Muskelmasse aufbauen will, muss sich mit viel Gewicht belasten. Das stimmt aber nicht. Auch zum Beispiel ältere Menschen, die nicht mehr so viel stemmen dürfen, können effektiv Muskeln aufbauen. Mit leichteren Gewichten müssen sie halt entsprechend mehr Wiederholungen machen, um an ihr Limit zu kommen.
Wie ist das physiologisch zu erklären?
Mein Kollege Henning Wackerhage, der schon seit vielen Jahren zu diesem Thema forscht, hat herausgefunden, dass es am wichtigsten ist, den Muskel dazu zu bringen, möglichst viel Laktat herzustellen. Andere Forscher haben das inzwischen bestätigt. Früher hat man das Laktat eher verteufelt und versucht, seine Produktion zu vermeiden. Mittlerweile weiß man: Es ist ein ganz wichtiger Signalstoff, der den Muskelaufbau ankurbelt.
Wie merke ich denn, ob mein Muskel Laktat herstellt?
Es muss brennen. Wenn man das spürt, produziert der Muskel sehr viel Laktat. Man kann das auch im Blut messen, dafür braucht es nur einen Piks am Finger oder Ohr. Das gehört zum Standard in sportwissenschaftlichen Leistungstests.
Wie lange muss ich eine Übung mindestens durchhalten?
Der Schweizer Forscher Marco Toigo hat auf Grundlage seiner Studien ein Buch mit dem Titel »MuskelRevolution« veröffentlicht. Darin heißt es, für den optimalen Muskelaufbau müsse man sich mindestens 60 Sekunden lang maximal belasten. In Fitnessstudios wird das oft nicht gemacht. Wenn zehn Wiederholungen im Trainingsplan stehen, halten sich die Leute penibel daran. Viele arbeiten aber recht zügig und sind schon nach der Hälfte der Zeit fertig. Das verbessert zwar die Schnellkraft, die ich beispielsweise zum Sprinten brauche. Es bringt jedoch nichts, wenn ich Muskelmasse aufbauen will.
Es wäre also besser, bei den Übungen auf die Uhr zu schauen, anstatt mitzuzählen?
Ja. Es wäre viel sinnvoller, die Wiederholungszahlen außen vor zu lassen. Leider liegt bei uns in Europa der Fokus stark darauf. Die Amerikaner sind uns da weit voraus. In der Literatur spricht man von der »time under tension«, das bedeutet: Wie lange befindet sich der Muskel in Kontraktion? Wenn ich eine Übung langsamer, aber dafür länger ausführe, ist das ein ganz anderer Reiz. Studien zeigen, dass sich dabei viel mehr Laktat und Ammonium im Blut ansammeln.
Wie geht der Muskelaufbau eigentlich vonstatten: Werden neue Fasern gebildet?
Das ist nur bei ganz wenigen Menschen der Fall. Bei knapp 90 Prozent werden die vorhandenen Muskelfasern dicker. In ihrem Inneren bilden sich beispielsweise neue Mitochondrien. Sie werden auch als Kraftwerke der Zelle bezeichnet und sorgen dafür, dass aus Zucker und anderen Stoffen, die wir über die Nahrung aufnehmen, tatsächlich Energie entsteht. Je mehr Mitochondrien vorhanden sind, desto mehr Energie in Form von Adenosintriphosphat kann ein Muskel speichern. Das braucht Platz – darum wird er dicker.
Kann ein Muskel so dick werden, dass es Probleme gibt?
Aus rein anatomischer Sicht nicht. Aber je mehr Muskelmasse ich habe, desto unbeweglicher bin ich. Die Gelenke können nicht mehr im vollen Umfang bewegt werden. Dadurch kann es zu Fehlbelastungen kommen.
»Bei Anfängern tut sich in den ersten zwei bis drei Monaten nach außen hin meist noch nicht viel«
Nicht jeder Mensch baut gleich gut Muskulatur auf. Woran liegt das?
Eher schlaksige Menschen haben meist viele langsam zuckende Muskelfasern. Diese ermöglichen eine gute Ausdauerleistung. Die Menschen tun sich aber oft schwer, Muskelmasse aufzubauen. Personen, die eher kompakt gebaut sind, haben hingegen viele schnell zuckende Muskelfasern. Die verfügen von Haus aus schon über viele Mitochondrien, das erleichtert den Muskelaufbau.
Warum ist es für Frauen so schwierig, ein Sixpack zu bekommen?
Das liegt vor allem am Testosteron. Das Geschlechtshormon sorgt bei Männern dafür, dass sie schneller und mehr Muskulatur aufbauen. Frauen stellen zwar auch Testosteron her, aber viel weniger. Zudem haben sie in der Regel einen höheren Körperfettanteil. Das sorgt dafür, dass man ihre Muskeln weniger deutlich sieht.
Wie lange muss man im Allgemeinen trainieren, bis man etwas sieht?
Man sollte sich schon etwa ein halbes Jahr Zeit geben. Bei Anfängern tut sich in den ersten zwei bis drei Monaten nach außen hin meist noch nicht viel. Aber die koordinativen Fähigkeiten verbessern sich enorm. Die beteiligten Muskeln lernen, besser zusammenzuarbeiten. Erst wenn mein Körper genau weiß, wie ein Bizeps-Curl oder eine Kniebeuge funktioniert, können die richtigen Muskeln in die Dicke wachsen. Allgemein lässt sich sagen: Ein langfristiges Trainingskonzept ist nachhaltiger als ein kurzfristiges Ziel. Fortgeschrittenen rate ich dazu, den Trainingsplan alle sechs bis acht Wochen zu verändern und sich allmählich zu steigern.
Von Sportler zu Sportlern
Daniel Gärtner geht gerne klettern und ins Fitnessstudio. Nach dem Motto »Raus aus der Halle« versucht der Sportwissenschaftler, so oft wie möglich draußen zu trainieren, zum Beispiel im eigenen Garten. Dort übt er am liebsten mit freien Gewichten wie Hanteln oder Kettlebell oder an seiner Reckstange.
»Ideal ist ein Mix aus Training an Geräten und mit freien Gewichten«
Sollte man lieber an festen Geräten oder frei trainieren?
Beides. Ideal ist ein Mix aus Training an Geräten und mit freien Gewichten, mit denen man auch komplexere Bewegungen ausführt. So stellt man sicher, dass nicht nur einzelne Muskeln, sondern ganze Muskelketten trainiert werden und man sich zudem koordinativ verbessert. Wir wollen schließlich keine dumme, sondern eine intelligente Muskulatur aufbauen.
Und wie oft sollte ich trainieren?
Als Anfänger sollte man nicht häufiger als dreimal pro Woche trainieren. Mehr ist – auch aus psychologischer Sicht – nicht sinnvoll. Trainiere ich seltener, bringt es nicht mehr viel. Man muss den nächsten Trainingsreiz zur richtigen Zeit setzen. Kommt er zu spät, baut der Körper die mühsam aufgebaute Muskulatur wieder ab. Es muss zugleich genügend Zeit zur Regeneration bleiben. Optimalerweise erfolgt jeden zweiten bis dritten Tag der nächste Reiz.
Schneller Muskeln aufbauen durch Anabolika?
Künstlich hergestellte Substanzen, die dem männlichen Geschlechtshormon Testosteron ähneln, bezeichnet man als Anabolika oder anabole Steroide. Sie helfen, Muskelmasse aufzubauen, und steigern die Leistungsfähigkeit. Darum stehen sie auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur. Anders als für Leistungssportler sind Anabolika für Hobbysportler nicht grundsätzlich verboten. Doch ihr Gebrauch ist nicht ungefährlich: Herzinfarkte, Schlaganfälle, Krebs und Depressionen können die Folge sein. Dazu kommen vergleichsweise milde Nebenwirkungen wie Hautunreinheiten oder Haarausfall. Bei Frauen kann eine Vermännlichung einsetzen: Die Periode bleibt aus, die Stimme wird tiefer, oder es wächst ein Bart.
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