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Pandemien: »Krankheit X« ist schon jetzt ein Versagen der Menschheit

Die unbekannte Krankheit, die im Kongo grassiert, wird wahrscheinlich keine Pandemie. Aber sie legt das zivilisatorische Versagen der Welt offen, kommentiert Lars Fischer.
Blick auf eine unbefestigte Straße mit Personen in der Demokratischen Republik Kongo.
In ländlichen Regionen der Demokratischen Republik Kongo sind viele Straßen unbefestigt und in der Regenzeit kaum befahrbar. Das macht Regionen wie Panzi, den Ort des mutmaßlichen Krankheitsausbruchs, schwer zugänglich und behindert die Identifizierung des Erregers.

Angesichts der letzte Woche aufgetauchten »Krankheit X« kann man durchaus nervös werden. Aber die Krankheitsfälle in der Demokratischen Republik Kongo markieren vermutlich nicht den Anfang einer neuen Pandemie. Womöglich sehen wir dort in gewisser Weise etwas viel Schlimmeres – und die Tragik ist, dass die Situation dort nur deswegen Schlagzeilen macht, weil es sich um eine neu aufgetauchte Krankheit handeln könnte.

Die Weltgesundheitsorganisation vermeldet 406 Fälle und 31 Tote, die meisten davon Kinder. Allerdings gibt es wohl weit mehr Fälle, die noch nicht offiziell erfasst sind. Hunderte Infizierte in kurzer Zeit wären bei einem neuen Erreger ziemlich dramatisch, und eine Pandemie, die tatsächlich über sieben Prozent aller Erkrankten tötet, wäre eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes.

Wahrscheinlicher als eine neue Pandemie ist jedoch etwas anderes: Eine Krankheit, die man noch nicht kennt, ist nicht zwangsläufig eine unbekannte Krankheit. Ähnliche Berichte über unbekannte Epidemien, manchmal mit Todesfällen, gibt es alle paar Monate. Wenn plötzlich mehr Menschen krank werden als normal, haben die Betroffenen und das lokale Gesundheitspersonal deswegen meist keine Möglichkeit, die Ursache herauszufinden. Aber bei den meisten ähnlichen Ausbrüchen stellt sich nach einer Weile heraus, dass es sich um einen bekannten Erreger handelt.

Hunger könnte eine Rolle spielen

In vielen Fällen ähneln die Umstände dem aktuellen Ausbruch im Südwesten des Kongos. Die betroffene Region Panzi gilt als abgelegen und schwer zu erreichen. Es gibt – wie in vielen ländlichen Regionen des globalen Südens – nur eine rudimentäre Gesundheitsinfrastruktur und schon gar keine diagnostischen Labore, die kurzfristig den Auslöser der Epidemie identifizieren könnten.

Und noch ein weiterer Faktor lässt aufhorchen: Laut Bericht der Weltgesundheitsorganisation traten die schwersten Fälle bei unterernährten Menschen auf, und dort speziell bei Kindern. Die Region im Südosten der Demokratischen Republik Kongo hat seit einigen Monaten mit chronischen Versorgungsschwierigkeiten zu kämpfen. Verschärft werden die nun auch noch durch die Regenzeit in der Region, die viele Wege für Lastwagen unpassierbar macht. Das heißt: In der betroffenen Region hungern derzeit viele Menschen.

Akuter Nahrungsmangel macht Menschen anfälliger für Infektionen und lässt Krankheiten auch oft schwerer verlaufen. Die Region ist Malariagebiet, etwa 40 Prozent der Kinder in der Region sind mit dem Parasiten infiziert, und die Grippesaison hat ebenfalls begonnen. Diese und andere Krankheiten wie Masern oder bakterielle Lungenentzündungen könnten in einer mangelernährten Bevölkerung ebenfalls eine ungewöhnlich heftige Epidemie auslösen. Und natürlich auch ein hypothetisches neues Pandemievirus.

Zivilisatorisches Versagen

Natürlich möchten nun viele Menschen schnell wissen, worum es sich bei der Krankheit handelt – und ob sie für uns in Europa eine Bedrohung darstellt. Aber eine schnelle Antwort wird es wahrscheinlich nicht geben. Zwar sind Fachleute unterwegs, um die Lage zu untersuchen. Doch genug aussagekräftige Proben zu bekommen, ist möglicherweise schwierig und aufwändig. Die Verstorbenen sind längst beerdigt worden, und man muss sich gut überlegen, wer zu den Betroffenen gehören könnte und wer nicht: In einem Malariagebiet kann man nicht einfach von allen Leuten mit Fieber Proben nehmen.

Dass man jetzt womöglich wochenlang Ungewissheit über ein potenziell gefährliches Virus hat – das man dort auch nicht effektiv eindämmen könnte –, ist also keineswegs das eigentliche Problem. Das wirklich Schlimme ist, dass unterernährte, an Seuchen sterbende Kinder in vielen Regionen der Welt der Normalfall sind und dass sie nur dann irgendwen interessieren, wenn die Seuche neu und womöglich auch für Europäer gefährlich sein könnte.

Aber dann ist es zu spät. Dass in so vielen Regionen der Welt Hunger, Armut und fehlende medizinische Versorgung Alltag sind, ist nicht nur zivilisatorisches Versagen, sondern auch eine enorme Gefahr. Unter genau diesen Bedingungen florieren Seuchen, alte wie neue. Wenn aus dem Distrikt Panzi tatsächlich jetzt die nächste große Pandemie kommen sollte, dann verdanken wir sie ebendiesem großen zivilisatorischen Versagen.

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