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Krebs verstehen: Helfen Vitamin D, Kurkuma oder Mistelextrakte bei Krebs?

Manche Krebspatienten hoffen auf die Kraft von Mistel, Kurkuma, Selen oder Vitamin D. Ob sich Nahrungsergänzungsmittel positiv auf den Krankheitsverlauf auswirken, erklärt Ärztin Marisa Kurz in »Krebs verstehen«.
Hände halten eine Flasche mit Nahrungsergänzungsmitteln, so dass das Etikett zu sehen ist. Im Hintergrund sind Regale mit verschiedenen Gesundheitsprodukten in einem Geschäft zu sehen.
Nahrungsergänzungsmittel sind beliebt. Viele greifen in Drogerien zu frei verkäuflichen, teils hoch dosierten Präparaten. Doch nicht alles, was gut klingt, hält auch, was es verspricht – oder kann sogar gefährlich sein.

Viele meiner Patienten fragen mich, was sie noch zusätzlich zur Krebstherapie für sich tun können. Erst kürzlich wollte ein Krebspatient wissen, was ich davon halte, wenn er täglich Kurkuma-Kapseln einnähme. Häufig drehen sich solche Fragen um Nahrungsergänzungsmittel wie Vitaminpräparate, Selen-Tabletten oder bestimmte komplementärmedizinische Therapien, etwa mit Mistelextrakt.

Selen als Schutz vor Nebenwirkungen?

Selen ist ein lebenswichtiges Spurenelement und beispielsweise in Enzymen enthalten, die Giftstoffe abbauen und antioxidativ wirken. Es spielt zweifellos eine wichtige Rolle im Körper. Doch hilft es auch gegen Krebs, wie häufig behauptet?

Studien zeigen: Nach einer Lungenkrebs-OP senkt Selen nicht das Rückfallrisiko. Auch gibt es keinen Beweis dafür, dass es den Krankheitsverlauf positiv beeinflusst. Einzig bei Nebenwirkungen durch eine Strahlentherapie kann Selen helfen. In der Leitlinie zur Komplementärmedizin in der Onkologie steht, dass der Einsatz von Natriumselenit erwogen werden kann – etwa zum Schutz vor mit strahlentherapie-assoziierten Nebenwirkungen wie Durchfall bei einer Bestrahlung bei Gebärmutter- oder Gebärmutterhalskrebs oder vor Mundschleimhautentzündungen bei der Bestrahlung von Kopf-Hals-Tumoren. Es gibt Hinweise darauf, dass Selen in diesen Fällen einen positiven Effekt haben kann. Allerdings sind die Daten nicht überzeugend genug für eine klare Empfehlung im Sinne von »Patienten sollten Selen in bestimmten Situationen erhalten«.

In Studien wurde auch untersucht, ob Patienten länger leben, wenn sie Selen einnehmen – das war leider nicht der Fall. Zwar gibt es einen statistischen Zusammenhang zwischen einem Selenmangel und einem erhöhten Krebsrisiko. Auch Tierversuche legen eine solche Verbindung nahe. Doch beim Menschen fehlt bislang der Nachweis, dass Selen den Krankheitsverlauf bessert oder das Krebsrisiko senkt.

Selen ist etwa in Paranüssen, Haferflocken, Kohl- und Zwiebelgemüse, Linsen und Pilzen enthalten. Wer sich ausgewogen ernährt, ist in der Regel ausreichend mit Selen versorgt. Zu viel selenhaltige Nahrungsergänzungsmittel können hingegen schaden. Eine so genannte Selenose kann zu neurologischen Störungen, Müdigkeit, Gelenkschmerzen, Übelkeit, Durchfall und Haarausfall führen.

Mistelextrakt erhöht vielleicht die Lebensqualität  – oder auch nicht

Die immergrünen Misteln wachsen als Halbschmarotzer auf Bäumen und gelten seit Jahrhunderten als Heilpflanze. Die aus den Pflanzen gewonnenen Extrakte unterscheiden sich je nach Herstellungsart in der Zusammensetzung, da Misteln hunderte verschiedene Proteine enthalten. Die pharmakologisch interessantesten sind die so genannten Viscotoxine und Lectine. Die schwankende Zusammensetzung erschwert es, ihre Wirkung gegen Krebs standardisiert zu untersuchen. Die Studienlage ist uneinheitlich: Manche Untersuchungen zeigen leicht positive Effekte auf den Krankheitsverlauf, andere keine Wirkung. Wissenschaftlich aussagekräftige Beobachtungen müssen aber reproduzierbar sein – und genau daran mangelt es. Ob Mistelpräparate eine Krebserkrankung bremsen können, ist auf Grund der Datenlage völlig unklar. Sie werden deshalb nicht zur Krebsbehandlung empfohlen.

Die Idee, Misteln in der Krebstherapie einzusetzen, stammt aus der Anthroposophie, die besonders in Deutschland beliebt ist. In anderen Ländern spielen Mistelpräparate kaum eine Rolle oder sind nicht zugelassen. So etwa in den USA, wo Mistelextrakte bei Krebs außerhalb von klinischen Studien nicht empfohlen werden. Bei Studien mit positiven Ergebnissen bemängeln Wissenschaftler vor allem methodische Schwächen wie zu kleine Probandenzahlen oder fehlende Kontrollgruppen.

Manche Untersuchungen legen nahe, dass unter die Haut gespritzte Mistelextrakte die Lebensqualität von Patienten steigern können. Das ist vor allem bei Betroffenen mit so genannten soliden Tumoren, also festen Gewebewucherungen, der Fall. Aber auch hier ist die Datenlage widersprüchlich und Studien weisen methodische Schwächen auf.

»Ich rate Patienten, lieber ab und zu ein Curry mit Kurkuma zu genießen, anstatt unnatürlich hohe Mengen Curcumin einzunehmen«

Kurkuma am besten im Curry genießen

Die Pflanze Kurkuma enthält den sekundären Pflanzenstoff Curcumin. Da er in Laborexperimenten das Wachstum von Krebszellen hemmen konnte, wird er immer wieder als Wundermittel gegen Krebs angepriesen. Doch Ergebnisse aus Zell- oder Tierexperimenten lassen sich nicht einfach auf den Menschen übertragen. Bisher ist nicht belegt, dass Curcumin den Krankheitsverlauf von Krebspatienten positiv beeinflusst. Die vorliegenden Resultate aus kleinen Studien in frühen Studienphasen reichen aktuell nicht aus, um die Einnahme von Curcumin zu empfehlen. Zudem sind im Handel sowohl Kurkuma-Extrakte als auch isoliertes Curcumin erhältlich, so dass sich die Curcumin-Konzentrationen stark unterscheiden. Das erschwert die Beurteilung der Wirksamkeit weiter.

Nicht nur das – die Einnahme solcher Präparate kann für Krebspatienten sogar gefährlich sein. Sie könnten mit Krebsmedikamenten interagieren und ihre Wirkung abschwächen. Ich rate Patienten, lieber ab und zu ein Curry mit Kurkuma zu genießen, anstatt unnatürlich hohe Mengen Curcumin einzunehmen.

Vitamine nur bei Mangel einnehmen

Viele Krebspatienten haben einen niedrigen Vitamin-D-Spiegel. Studien zeigen, dass ein Mangel des Vitamins mit einer schlechteren Prognose assoziiert ist. Sollte man als Betroffener also nachhelfen? Eine Metaanalyse von 14 placebokontrollierten Studien ergab: Die Sterblichkeit von Krebspatienten, die täglich Vitamin D einnahmen, sank um zwölf Prozent – insbesondere bei älteren Menschen und jenen mit nachgewiesenem Mangel. Ich halte es für sinnvoll, bei Krebserkrankten den Vitamin-D-Spiegel zu prüfen, um einen Mangel auszuschließen. Doch eine allgemeine Empfehlung, Vitamin D einzunehmen, gibt es nicht. Auch gibt es keinen Beweis dafür, dass eine Vitamin-D-Substitution das Risiko senkt, an Krebs zu erkranken.

»Es gibt bislang keine Belege dafür, dass Vitamin C Krebspatienten tatsächlich hilft«

Gleiches gilt für Vitamin C. In der Alternativmedizin werden teils hochdosierte Vitamin-C-Infusionen verabreicht, da Laborexperimente gezeigt hatten, dass es in sehr hohen Konzentrationen Krebszellen schädigen kann. Doch es gibt bislang keine Belege dafür, dass Vitamin C Krebspatienten tatsächlich hilft. Deshalb werden in der S3-Leitlinie zur Komplementärmedizin in der Onkologie Vitamin-C-Infusionen nicht empfohlen.

Auch das fälschlicherweise als Vitamin B17 bezeichnete Amygdalin, das etwa in Aprikosenkernen enthalten ist, wirkt nicht gegen Krebs. Im Körper wird es in das giftige Zyanid umgewandelt. Wegen der potenziell lebensbedrohlichen Nebenwirkungen sollte man es nicht verwenden.

Was ich meinen Patienten rate

Wenn Patienten mich nach meiner Meinung zu Selen, Mistel oder Kurkuma fragen, freue ich mich – denn so kann ich sie über potenzielle Neben- und Wechselwirkungen aufklären. Empfehlen kann ich die Einnahme der Mittel zum aktuellen Zeitpunkt leider nicht.

Zur Linderung von Nebenwirkungen der Krebstherapie gibt es in meinen Augen viel wirksamere Mittel. Bei schweren Mundschleimhautentzündungen helfen Mundspüllösungen und Schmerzmittel. Gegen Durchfall verordne ich Medikamente, die die übermäßige Darmbewegung bremsen. Und bei bestimmten hochdosierten Chemotherapien kann es tatsächlich helfen, während der Infusion Eiswürfel zu lutschen. Durch die Kälte ziehen sich die Blutgefäße im Mund zusammen, so dass weniger von dem Therapeutikum dorthin gelangt und das Risiko für Mundschleimhautentzündungen sinkt.

Wenn Krebspatienten etwas für sich tun wollen, rate ich ihnen, körperlich aktiv zu sein und sich ausgewogen zu ernähren. Beides tut Krebspatienten nachweislich gut, es kostet nichts und birgt keine Risiken von Wechselwirkungen. Patienten leiden dann seltener an Erschöpfungszuständen, so genannter Fatigue, und vertragen Krebstherapien besser. Womöglich beeinflussen diese Maßnahmen sogar den Verlauf mancher Krebserkrankungen positiv.

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