Krebs verstehen: Erhöhtes Krebsrisiko durch den Job
Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.
Vor einiger Zeit habe ich eine junge Patientin mit Lungenkrebs behandelt – sie war gerade einmal Anfang 20*. Warum sie daran erkrankte, und vor allem so früh, war unklar. Doch ich hatte eine Vermutung: Als Industriemechanikerin arbeitete sie häufig mit verschiedenen Chemikalien. Hing ihr Krebs damit zusammen? Besteht der Verdacht, dass eine Erkrankung beruflich verursacht ist, müssen wir Ärzte, aber auch die Unternehmen, dies an den zuständigen Unfallversicherungsträger melden. Hierzu bat ich die Patientin, mir Informationen zu den Chemikalien zu besorgen, mit denen sie gearbeitet hatte. Ihr Arbeitgeber half dabei.
Krebs als Berufskrankheit
Die unterschiedlichsten Krankheiten können berufsbedingt sein: Knie- oder Bandscheibenschäden bei Personen, die schwer körperlich arbeiten; Hörschäden bei Menschen, die Lärm ausgesetzt sind; bestimmte Infektionskrankheiten bei Mitarbeitern im Gesundheitswesen. Oder sogar grauer Star durch Hantieren mit Wärmestrahlung. Ebenso können bestimmte Krebserkrankungen mit Einflüssen am Arbeitsplatz zusammenhängen.
Doch herauszufinden, ob ein Krebserkrankung tatsächlich mit dem Job zu tun hat, ist schwer. Angenommen, ein Patient ist übergewichtig, raucht, hatte schon Krebsfälle in der Familie und arbeitet mit potenziell krebserzeugenden Chemikalien. Ist dann die Arbeit daran schuld, wenn er an einem Tumor erkrankt? Oder waren es vielleicht die Zigaretten? Oder gar die erblichen Faktoren?
Daher ist der Zusammenhang zwischen Krebserkrankung und Beruf oft nicht eindeutig – so wie auch im Fall meiner Patientin. Der Krebs wurde bei ihr nicht als Berufskrankheit anerkannt.
Es gibt allerdings nachweislich Krebsformen, bei denen bestimmte arbeitsbezogene Risikofaktoren entscheidend beeinflussen, ob die Krankheit entsteht. Sie kommen bei manchen Berufsgruppen häufiger vor als in der Allgemeinbevölkerung. Solche Krebserkrankungen sind in der so genannten Berufskrankheitenverordnung aufgelistet. Der Ärztliche Sachverständigenbeirat berät die Bundesregierung bei der Entscheidung, welche Krankheiten in den Katalog aufgenommen werden.
So haben beispielsweise Holzarbeiter, die Kontakt mit dem Staub von Eichen oder Buchen haben, ein erhöhtes Risiko für Krebs im Nasenrachenraum. Maler, Lackierer oder Friseure, die mit bestimmten Farbstoffen arbeiten, sind eher gefährdet, bösartige Blasentumoren zu entwickeln. Auch eine Art von weißem Hautkrebs kann als Berufskrankheit anerkannt werden, wenn Betroffene beim Job starker Sonnenstrahlung ausgesetzt sind. Das bekannteste Beispiel für eine durch den Beruf ausgelöste Krebserkrankung: Kontakt mit Asbest, etwa bei Renovierungs- oder Abrissarbeiten im Baugewerbe. Der seit 1993 verbotene Baustoff kann durch Einatmen in die Lunge und andere Gewebe vordringen und dort Krebs auslösen. Noch heute erkranken rund 1500 Menschen jährlich deswegen an Tumoren des Lungenfells, einem so genannten Pleuramesotheliom.
»Asbest war für rund 75 Prozent der Krebsfälle verantwortlich«
Zwischen 1978 bis 2010 wurden etwa 40 000 Krebserkrankungen in Deutschland als beruflich verursacht anerkannt. In mehr als 80 Prozent der Fälle betraf das die Lunge oder die Pleura, gefolgt von Tumoren in den harnableitenden Organen, zum Beispiel der Blase. Im Schnitt dauerte es 20 Jahre, bis die Betroffenen nach dem ersten Kontakt mit dem auslösenden Faktor eine Krebserkrankung entwickelten. Asbest war für rund 75 Prozent der Krebsfälle verantwortlich. Wichtige andere Risikofaktoren umfassen ionisierende Strahlung, Quarzstäube, aromatische Amine, Holzstäube von Eiche und Buche, Benzol, Rohgase in Kokereien, Rohparaffin, Teer, Chrom-, Nickel- und Arsenverbindungen, Vinylchlorid oder halogenierte Alkyl-, Aryl- und Alkylaryloxide.
Das eigene Risiko kennen
Vor meinem Medizinstudium habe ich Chemie studiert und einen Großteil jener Zeit in Laboren mit Gefahrstoffen verbracht. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich damals mit den Augen gerollt habe, als ich der x-ten Sicherheitsunterweisung über Schutzkleidung und Sicherheitsdatenblätter zuhörte. Heute verstehe ich besser, wie wichtig diese Anweisungen und Arbeitsschutzmaßnahmen sind.
Zwischen 1978 und 2010 haben die Anerkennungsraten von Krebs als Berufskrankheit von Jahr zu Jahr zugenommen. Vermutlich, weil erst mit der Zeit ein Bewusstsein dafür entstanden ist, dass ein bestimmtes Jobumfeld Krebs auslösen kann. Auch heute gibt es sicherlich Krebserkrankungen, die zwar durch den Beruf ausgelöst wurden, aber bislang nicht anerkannt werden. Weltweit könnten bis zu acht Prozent aller Krebserkrankungen mit einer Schadstoffexposition am Arbeitsplatz zusammenhängen. Im Jahr 2022 wurden in Deutschland mehr als 4000 Krebsfälle als Berufskrankheiten anerkannt.
Ob eine Erkrankung im Zusammenhang mit dem Job entsteht oder nicht, hat versicherungsrechtliche Konsequenzen: Kommt es infolge der Krankheit zu erheblichen, dauerhaften Einschränkungen, zahlen Berufsgenossenschaften und Unfallkassen eine Rente, sofern die Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 Prozent gemindert ist.
Ich rate jedem, sich damit auseinanderzusetzen, welche Gefahren an der eigenen Arbeitsstätte drohen und ob Schutzmaßnahmen ergriffen werden können, um sie zu verringern. Je nach Beruf können etwa eine entsprechende Ausrüstung wie eine Atemschutzmaske oder spezielle Handschuhe das Risiko der schädlichen Stoffen minimieren. Arbeitgeber sind verpflichtet, ihre Mitarbeiter zu schützen und ausreichend über Gefahren zu informieren. Passiert das nicht, können Arbeitnehmer das einfordern. Und sie haben das Recht, einen Verdacht auf eine drohende oder bestehende Berufskrankheit selbst anzuzeigen. Denn so interessant und erfüllend der Beruf auch sein mag, er ist es nicht wert, deswegen krank zu werden.
* Patientengeschichten sind abgeändert, um die Identität und Privatsphäre der Patienten zu schützen.
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