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Krebs verstehen: Jung, voller Pläne – und an Krebs erkrankt

Etwa 15 000 Menschen zwischen 15 und 39 Jahren erkranken in Deutschland jährlich an Krebs. Die gute Nachricht: Rund 80 Prozent können geheilt werden. Wie junge Patientinnen und Patienten mit ihrer Krebsdiagnose umgehen können, erklärt die Ärztin Marisa Kurz.
Zwei junge Frauen stehen lachend vor einer großen roten Tür. Eine von ihnen hat die Haare kurz geschoren.
Zu den häufigsten Krebserkrankungen bei jungen Erwachsen zählen Brustkrebs, Hodenkrebs und schwarzer Hautkrebs (Symbolfoto).

Manchmal behandle ich Krebserkrankte, die in meinem Alter sind. Sie sind in ihren 30ern oder sogar jünger. Natürlich befinde ich mich als Ärztin oft in traurigen Situationen, denn manche Patientinnen und Patienten von mir können nicht geheilt werden. Wenn es solche jungen Menschen trifft, die das Leben eigentlich noch vor sich haben, ist das für mich emotional besonders herausfordernd.

Auch die medizinische und psychosoziale Betreuung junger Menschen, die an Krebs erkrankt sind, ist besonders. In der Medizin gibt es für die besondere Patientengruppe der Heranwachsenden und jungen Erwachsenen deshalb einen speziellen Begriff: AYA – adolescents and young adults. Meistens werden damit 15- bis 39-Jährige bezeichnet.

Etwa 15 000 Personen in dieser Altersgruppe erkranken in Deutschland jährlich an Krebs. Die häufigsten Krebserkrankungen sind dabei Brustkrebs (etwa 2500 Erkrankungen pro Jahr), Hodenkrebs (etwa 2200 Erkrankungen pro Jahr) und schwarzer Hautkrebs (etwa 2100 Erkrankungen pro Jahr). Weitere häufige Krebserkrankungen in der Altersgruppe sind Schilddrüsen- und Gebärmutterhalskrebs, sowie Hodgkin- und Non-Hodgkin-Lymphome, Arten von Lymphdrüsenkrebs. Aktuell beobachten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler außerdem, dass Darmkrebserkrankungen bei Jüngeren häufiger auftreten.

Die gute Nachricht ist, dass rund 80 Prozent der jungen Patientinnen und Patienten langfristig geheilt werden können. Diese erfreuliche Prognose liegt vor allem daran, dass bestimmte, in jungen Jahren auftretende Krebserkrankungen wie beispielsweise Hodenkrebs oder das Hodgkin-Lymphom selbst dann sehr erfolgreich behandelt werden können, wenn sie bereits in fortgeschrittenen Stadien sind.

Besondere Lebenssituationen, die besondere Hilfestellung erfordern

In jungem Alter kommt eine Krebsdiagnose in der Regel völlig unerwartet. Ich erlebe es immer wieder, dass Betroffene mir erzählen, dass sie sich noch nie mit Krebs auseinandersetzen mussten, weil sie die Ersten in ihrem Bekanntenkreis sind, die diese Diagnose erhalten haben. Für sie standen eigentlich völlig andere Dinge an: eine Ausbildung, die Weiterentwicklung im Job oder die Gründung einer Familie. Plötzlich ist alles anders und sie müssen diese Lebensereignisse mit einer Krebstherapie vereinbaren. Auf Grund der besonderen psychosozialen Belastung halte ich es für sehr wichtig, diese Patientinnen und Patienten darüber aufzuklären, dass sie eine psychoonkologische Begleitung wahrnehmen können. Und ich weise auf Organisationen hin, bei denen sie andere Betroffene kennen lernen und Hilfestellung in verschiedenen Bereichen bekommen können.

Junge Menschen mit Krebs können Benachteiligung an der Ausbildungsstelle oder am Arbeitsplatz erfahren, wenn sie häufig oder längerfristig ausfallen. Das gefährdet nicht nur ihre Bildung und berufliche Zukunft, sondern kann sie auch in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten bringen. Meiner Meinung nach ist es deshalb sinnvoll, wenn sich Betroffene über ihre Rechte und Unterstützungsmöglichkeiten informieren. Behandelnde Ärztinnen und Ärzte können Ansprechpartner nennen, oftmals gibt es an größeren Einrichtungen auch sozialpädagogisches oder sozialmedizinisches Fachpersonal, das beraten kann.

Fruchtbarkeit und Schwangerschaft

Viele junge Patientinnen und Patienten von mir beschäftigt natürlich, wie sich ihre Behandlung auf einen Lebenswunsch auswirken wird, den die meisten bislang nur im Hinterkopf hatten: Kinder zu bekommen. Wenn ich junge Erwachsene behandle, muss ich auch diesen Wunsch neben vielen anderen Aspekten berücksichtigen, medizinisch ausgedrückt ist das die so genannte Fertilitätserhaltung. Einige Krebstherapien können nämlich zu Unfruchtbarkeit führen. Ist die Familienplanung noch nicht abgeschlossen, wird Patientinnen und Patienten vor der Therapie oder während ihres Beginns angeboten, Sperma oder Eizellen beziehungsweise Hoden- oder Eierstockgewebe zu entnehmen und einfrieren zu lassen. Die Kosten werden seit einigen Jahren weitestgehend von den Krankenkassen übernommen. Die Kostenerstattung für die Konservierung von Eierstockgewebe wurde Anfang Juli 2023 etabliert.

In seltenen Fällen kommt es vor, dass Frauen während einer Schwangerschaft eine Krebsdiagnose erhalten. Das ist emotional natürlich nochmals eine ganz besonders herausfordernde Situation. Etwa 1 von 1000 bis 1500 Schwangeren erkrankt pro Jahr an Krebs. Die häufigsten Krebserkrankungen, die während Schwangerschaften diagnostiziert werden, sind Brustkrebs, Gebärmutterhalskrebs, Schilddrüsenkrebs, Blut- und Lymphdrüsenkrebs sowie schwarzer Hautkrebs. Schwangerschaften erhöhen das Risiko für Krebs nicht, in diesen Fällen werden die Erkrankungen zufällig in dieser Zeit festgestellt. Je nach Art und Ausbreitung der Erkrankung sind während der Schwangerschaft viele Krebstherapien möglich – und bieten die Chance, Mutter und Kind zu retten. Ab dem zweiten Trimester können sogar Chemotherapien durchgeführt werden, ohne dass das Kind geschädigt wird.

Nach der Krebserkrankung

Die meisten jungen Krebspatientinnen und -patienten überleben. Jedoch begleitet sie ihre Erkrankung selbst nach einer abgeschlossenen Therapie für eine längere Zeit. Sie werden von Ärztinnen und Ärzten im Rahmen einer so genannten Nachsorge engmaschig darauf untersucht, ob der Krebs zurückkehrt. Betroffene, bei denen in jungen Jahren Krebs diagnostiziert wurde, haben nämlich ein erhöhtes Risiko, irgendwann eine zweite Krebsdiagnose zu erhalten. Ursächlich hierfür sind unter anderem angeborene Faktoren, die bereits das Risiko für die Entstehung der ersten Krebsart begünstigt haben. Zum Beispiel können Brust- oder Hodenkrebs im Verlauf ebenso auf der Gegenseite auftreten. Um abzuklären, ob ein genetisches Risiko besteht, kann eine humangenetische Beratung erfolgen. Ein weiterer Grund für das erhöhte Krebsrisiko ist, dass auch Krebstherapien, nämlich Bestrahlungen, Chemotherapien und vor allem deren Kombinationen, das Risiko erhöhen können, dass Krebs entsteht.

Ärztinnen und Ärzte untersuchen in der Nachsorge außerdem, ob andere körperliche Folgeschäden durch die Therapie aufgetreten sind. Wer in jungem Alter intensive Therapien wie Chemotherapien oder Bestrahlungen erhalten hat, hat statistisch gesehen deutlich häufiger gesundheitliche Probleme.

Betroffene müssen also selbst nach überstandener Erkrankung regelmäßig Arztbesuche wahrnehmen, mit der Angst vor einem Rückfall oder einer zweiten Krebserkrankung zurechtkommen und gegebenenfalls mit Folgeschäden leben, die die einst lebensrettende Therapie verursacht hat. Und all das in einem Alter, in dem manche erst ein Gefühl dafür bekommen, wer sie sind und was sie vom Leben wollen, die in einer Phase ihres Lebens stecken, in der es noch viele Träume und unerfüllte Wünsche gibt. Auch aus diesen Gründen halte ich es für wichtig, dass junge Patientinnen und Patienten über einen langen Zeitraum eine intensive, psychoonkologische und sozialmedizinische Unterstützung erfahren.

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