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Krebs verstehen: Kann Cannabis bei Krebs helfen?

Ärzte können Krebspatienten schon seit Längerem Cannabis verschreiben, doch die Legalisierung senkt die Hürden erheblich. Ob Cannabinoide bei Krebs wirklich sinnvoll sind, erklärt Marisa Kurz in ihrer Kolumne.
Eine Frau mit einer Glatze zündet sich einen Joint an, den sie zwischen die Lippen steckt
Cannabis kennen viele vor allem in Form von Joints. Ärzte können Cannabis allerdings in unterschiedlichen Darreichungsformen verordnen: entweder als ölige Tropfen (Dronabinol bei Appetitlosigkeit und Erbrechen), Kapseln (Canemes bei Übelkeit und Erbrechen) oder aber kontrolliert angebaute, getrocknete Cannabisblüten und -extrakte.

Kolumne: »Krebs verstehen«

Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung.

Was passiert dabei im Körper? Warum bekommen nur manche Menschen Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«. Denn wer informiert ist, kann selbstbestimmte Entscheidungen treffen.

Vor Kurzem hat mich ein Patient gefragt, ob ich ihm Cannabis verschreiben kann. Er versprach sich davon, dass es gegen seine Krebserkrankung wirkt. Ich habe bereits mehrere Menschen kennen gelernt, die gehofft haben, dass Cannabis ihren Krebs heilt. Jetzt, da die Legalisierung beschlossen wurde, fragen sich bestimmt noch mehr: Kann Cannabis meine Beschwerden lindern? Oder gar den Krebs bekämpfen?

Die Amerikanische Gesellschaft für klinische Onkologie ASCO hat 2024 eine Stellungnahme zum Einsatz von Cannabis bei Krebs herausgebracht, die das aktuelle medizinische Wissen zusammenfasst. Dafür nahmen Experten 13 Reviews und 5 klinische Studien unter die Lupe, die sich mit der Frage beschäftigen, ob bestimmte im Cannabis enthaltene Stoffe gegen Krebs wirken oder Beschwerden lindern können. Cannabispflanzen enthalten unterschiedliche Substanzen. In den ausgewerteten Studien wurde hauptsächlich die Wirkung der Cannabinoide Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) untersucht. Cannabinoide sind isolierte Inhaltsstoffe aus der Pflanze oder synthetisch hergestellte, chemisch verwandte Substanzen.

Cannabis hat keine nachgewiesene Wirkung gegen Krebs

Das Fazit der Wissenschaftler: Es gibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Beweis dafür, dass Cannabis oder Cannabinoide Krebs heilen. Sie können sie deshalb nicht als Mittel gegen Krebs empfehlen. Zudem weisen sie explizit darauf hin, dass viele Falschinformationen zu dem Thema im Internet kursieren und der Aufklärungsbedarf hoch ist. Sie raten deshalb Ärzten, ganz offen und wertneutral die Patienten nach deren Konsum zu befragen.

Auch ich finde es wichtig, dass Krebspatienten über den aktuellen Wissensstand informiert werden. Sie sollten sich im Klaren darüber sein, was sie von den Präparaten erwarten können und welche Nebenwirkungen auftreten können. Der Konsum von Cannabis und Cannabinoiden, ob privat oder medizinisch erworben, kann nämlich zu Müdigkeit, Schwindel, Halluzinationen oder Konzentrationsstörungen führen. Außerdem sind Wechselwirkungen mit Medikamenten möglich. Rund drei von zehn Patienten, die Cannabispräparate einnehmen, müssen die Behandlung auf Grund von solchen Nebenwirkungen abbrechen, schätzt der Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ). Neben diesen Begleiterscheinungen kann der Konsum Patienten zudem finanziell belasten, zumindest wenn sie Cannabis oder Cannabinoide privat einnehmen und selbst bezahlen.

Cannabinoide können gegen Übelkeit helfen

Manchmal fragen mich Patienten, ob Cannabis gegen Tumorschmerzen oder auch Angst, Unruhe und Antriebslosigkeit eingesetzt werden kann. Um solche Beschwerden zu behandeln, gibt es allerdings deutlich wirksamere Medikamente.

Bei Schmerzen etwa kann eine ganze Reihe wirksamer Schmerzmittel miteinander kombiniert werden, die unterschiedlich stark sind und verschiedene Wirkmechanismen haben. Ebenso gibt es eine Vielzahl psychiatrisch wirksamer Medikamente, die zuverlässiger wirken als Cannabis. In deutschen Leitlinien – wie der zur supportiven Therapie in der Onkologie oder der zur palliativen Behandlung von Krebspatienten – werden Cannabis und Cannabinoide deshalb nicht zur Behandlung dieser Beschwerden empfohlen.

Anders sieht es bei anderen Nebenwirkungen der Therapie aus: Viele Krebspatienten leiden unter schwerer Appetitlosigkeit und Übelkeit. In Kombination mit anderen Medikamenten kann zum Beispiel das THC-Präparat Dronabinol verordnet werden, um den Appetit anzuregen. Schließlich kann der Konsum von Cannabis bekanntlich das Hungergefühl steigern. Es konnte allerdings in Studien bisher nicht belegt werden, dass dies tatsächlich wirkt. Patienten und Ärzte können im persönlichen Gespräch die Vor- und Nachteile eines solchen individuellen Therapieversuchs besprechen.

Cannabis bleibt ein Reservemedikament

In Deutschland können Ärzte entweder isolierte Wirkstoffe wie THC oder Cannabisextrakte oder -blüten verschreiben. Bislang mussten solche Cannabispräparate auf einem Betäubungsmittelrezept verordnet und die Verschreibung sogar gesondert beantragt werden. Der organisatorische Aufwand für Ärzte, die Mittel zu verschreiben, verringert sich nun durch die Legalisierung deutlich.

Mein Anspruch ist, meinen Patienten alle medizinischen Mittel zur Verfügung zu stellen, von denen erwiesen ist, dass sie ihnen helfen können. Ich stelle zum Beispiel regelmäßig Kostenübernahmeanträge an Krankenkassen, wenn eine neue Studie zeigt, dass ein bestimmtes Medikament bestimmte Beschwerden lindern kann, es für den vorliegenden Erkrankungsfall aber noch nicht regelhaft erstattet wird. Außerdem verschreibe ich häufig Schmerzmittel, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Vor dem organisatorischen Aufwand schrecke ich nicht zurück, wenn ich eine Chance sehe, dass meine Patienten davon profitieren. Nach aktuellem medizinischem Wissen haben Cannabis und Cannabinoide bei der Behandlung von Krebspatienten allerdings nur einen geringen Stellenwert. Deshalb werde ich sie weiterhin nur als Reservemittel einsetzen. Meinem Patienten damals, der mich aktiv nach Cannabis fragte, habe ich kein Cannabis oder Cannabinoid verschrieben.

Einfach mal ausprobieren?

Nun, da Cannabis legalisiert wurde, möchten vielleicht einige Krebspatienten es mal testen. Allen Neugierigen rate ich, dies mit ihrer behandelnden Ärztin oder Arzt zu besprechen und sich darüber zu informieren, ob unerwünschte Wechselwirkungen oder Nebenwirkungen zu erwarten sind. Patienten können fragen, ob sie vielleicht an klinischen Studien teilnehmen können, in denen die Wirkung von Cannabis und Cannabinoiden weiter untersucht wird. Zu bedenken ist, dass es deutlich gesundheitsschädlicher ist, Cannabis zu rauchen, als Cannabinoide oral einzunehmen. Das DKFZ weist darauf hin, dass die Gesundheitsgefahren des Cannabisrauchens mit dem des Tabakrauchens vergleichbar sind und dass Rauchen der bedeutendste einzelne vermeidbare Risikofaktor für Krebs ist.

Bei schwer kontrollierbaren Symptomen empfehle ich die Behandlung durch ein interdisziplinäres Team zum Beispiel mit Schmerz- und Physiotherapeuten, Psychologen, Komplementär- und Palliativmedizinern. Die Kolleginnen und Kollegen mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Blickwinkeln können so zusammen helfen, die Symptome eines Patienten bestmöglich zu behandeln.

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