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Krebs verstehen: Kann Krebs durch eine Biopsie streuen?

Manche Menschen fürchten, dass Biopsien Krebs im Körper verbreiten. Ob an dieser Sorge etwas dran ist und wie Biopsien bei verschiedenen Krebsarten eingesetzt werden, erklärt Ärztin Marisa Kurz in »Krebs verstehen«.
Ein Arzt führt eine Biopsie bei einer Frau im Bauchraum durch.
Bildgebende Verfahren wie beispielsweise Ultraschall ermöglichen es bei einem Krebsverdacht, Gewebeproben zielgenau zu entnehmen (Symbolbild).

Vor Kurzem habe ich ein Video eines Vortrags eines selbst ernannten Krebsforschers gesehen. Der Mann – weder Wissenschaftler noch Arzt – behauptete darin, dass sich Krebserkrankungen durch eine Gewebeentnahme, eine so genannte Biopsie, im Körper ausbreiten würden. Er rät Betroffenen deshalb davon ab. Sind Biopsien wirklich so gefährlich?

Bevor Krebs diagnostiziert wird, bemerken Patientinnen und Patienten häufig Veränderungen an ihrem Körper wie etwa ungewohnte Schmerzen, Schwellungen, neurologische Ausfallerscheinungen oder ungewollten Gewichtsverlust. Um die Beschwerden abklären zu lassen, werden beim Arzt oftmals bildgebende Verfahren eingesetzt: eine Ultraschalluntersuchung des Bauchraums, ein Röntgenbild des Brustkorbs, eine Magnetresonanztomografie des Kopfs oder eine Computertomografie.

Wird in den Aufnahmen eine ungewöhnliche Gewebsvermehrung, eine so genannte Raumforderung, entdeckt, sollte diese weiter untersucht werden. Unterschiedliche Erkrankungen können dahinterstecken, zum Beispiel bösartige, aber auch gutartige Tumoren, Blutschwämmchen oder Infektionen. Anhand des Aussehens können Ärzte und Ärztinnen häufig bereits eine Verdachtsdiagnose stellen. Denn Krebserkrankungen weisen in solchen Bildern meist typische Merkmale auf, sie nehmen etwa ein zur Untersuchung verabreichtes Kontrastmittel in einer bestimmten Art auf, haben eine charakteristische Form oder kommen an einschlägigen Stellen vor.

Warum ist eine Gewebeentnahme nötig, um Krebs zu diagnostizieren?

Wenn es in der Bildgebung bereits nach Krebs aussieht – wieso kann man den vermuteten Krebs dann nicht einfach behandeln, ohne eine Probe zu entnehmen? So simpel ist es leider nicht: Es gibt weit mehr als 100 verschiedene Arten von Krebs, die völlig unterschiedlich therapiert werden. Findet man in einer MRT-Aufnahme beispielsweise eine verdächtige Gewebsvermehrung im Kopf, kann es sich um diverse Arten bösartiger Tumoren handeln. Manche gehen von den Stützzellen der Nervenzellen aus, andere von Blutzellen. Es können aber auch Absiedlungen von Krebserkrankungen aus anderen Körperbereichen sein. All diese Erkrankungen behandelt man völlig unterschiedlich: Manche werden operiert und bestrahlt, andere mit Medikamenten bekämpft. Man führt keine komplizierte Hirnoperation oder Chemotherapie durch, ohne zu wissen, was ein Patient überhaupt hat und braucht.

Auch bei recht eindeutigen Krebserkrankungen können wir Ärztinnen und Ärzte nicht »einfach behandeln«. Wenn eine Frau etwa eine unklare Raumforderung in der Brust hat, die in der Bildgebung nach Krebs aussieht, handelt es sich höchstwahrscheinlich um Brustkrebs, da in der Brust bloß selten Absiedlungen anderer Krebserkrankungen vorkommen. Wozu dann noch eine Biopsie? Weil Brustkrebs nicht eine Erkrankung ist, sondern viele verschiedene. Brustkrebszellen können völlig unterschiedliche biologische Eigenschaften haben. Manche sprechen auf Hormontherapie oder Antikörper an, andere nicht. Welche Art von Krebs überhaupt vorliegt und welche Therapie die geeignete ist, lässt sich lediglich in feingeweblichen Untersuchungen feststellen, so genannten histopathologischen Untersuchungen. Sie sind der Goldstandard der Krebsdiagnostik und liefern die genauesten Informationen über eine unklare Raumforderung.

Ich habe schon öfter erlebt, dass eine Gewebeuntersuchung nach einer Biopsie ein völlig unerwartetes Ergebnis gezeigt hat: Manchmal war der Befund gutartig, obwohl zuvor Krebs vermutet wurde. Oder es wurde eine seltene Krebsart diagnostiziert, mit der man nicht gerechnet hatte. Krebstherapien – Operationen, Bestrahlungen, Medikamente – können zu schweren Komplikationen und Nebenwirkungen führen. Man führt sie bloß durch, wenn man eine Chance sieht, den Zustand des Patienten damit zu verbessern. Ob es diese Chance gibt, können Ärzte nur beurteilen, wenn sie wissen, was sie vor sich haben.

Wie wird eine Biopsie durchgeführt?

Wird eine unklare Gewebeansammlung im Körper entdeckt, kann sie im Ganzen entfernt oder eine Probe davon entnommen werden. Welche Methode sich am besten eignet, hängt davon ab, wo sich die verdächtige Stelle befindet und wie die Verdachtsdiagnose lautet. Gibt es eine auffällige Stelle an der Haut mit Verdacht auf schwarzen Hautkrebs, wird sie meist mit örtlicher Betäubung vollständig entfernt (Exzisionsbiopsie).

Im Verdauungstrakt oder den Atemwegen können Gewebeveränderungen oftmals von innen mit Hilfe von Spiegelungen (Magen-, Darm- oder Lungenspiegelung), so genannten Endoskopien, erreicht werden. Dabei nutzt man natürliche Körperöffnungen wie den Mund, die Luft- oder Speiseröhre oder den Enddarm als Zugangswege, um Proben zu entnehmen. Auffällige Stellen können dann mit feinen Zangen entfernt oder mit kleinen Hohlnadeln biopsiert werden. Die Eingriffe werden unter einer Kurznarkose durchgeführt.

Besteht zum Beispiel der Verdacht auf Krebs im Gebärmutterhals, kann dieser über eine Spiegelung durch die Vagina erreicht und von innen mit einem Bürstchen abgestrichen werden. Handelt es sich allerdings um Stellen im Körper, die nicht durch Körperöffnungen zu erreichen sind – etwa die Leber –, muss durch die Haut biopsiert werden. Ärztinnen und Ärzte suchen die verdächtige Stelle mit Hilfe eines bildgebenden Verfahrens wie Ultraschall oder Computertomografie auf und führen eine örtliche Betäubung durch. Dann stechen sie mit einer feinen Hohlnadel hinein und entnehmen Gewebe: Es wird entweder ausgestanzt (Stanzbiopsie) oder mit einer Spritze (Feinnadelaspirationsbiopsie) oder einem Vakuum angesaugt (Vakuumbiopsie). Die Alternative, an tief liegende Organe zu kommen, wäre eine Operation unter Vollnarkose. Ein riskanter Eingriff, der womöglich umsonst durchgeführt wird, wenn sich später herausstellt, dass keine operativ behandelbare Erkrankung vorliegt.

Ohne vorherige Biopsie direkt operiert wird nur, wenn eine unklare Gewebeansammlung Beschwerden verursacht und eine Operation ohnehin notwendig ist. Beispielsweise wenn ein Hirntumor Druck im Gehirn verursacht und schnell entfernt werden muss oder wenn es zu einem Darmverschluss kommt und die Ursache unklar ist – manchmal stellt sich dann hinterher heraus, dass ein bösartiger Tumor für den Verschluss verantwortlich war.

Manche Krebszellen lassen sich auch in Bauchwasser (Aszites), in Wasseransammlungen in der Lunge (Pleuraergüsse) oder im Fall von bestimmten Blutkrebserkrankungen im Blut nachweisen. Um an dieses Material zu gelangen, ist jedoch auch eine Punktion nötig.

Krebsstreuung durch Biopsie extrem unwahrscheinlich

Grundsätzlich ist es möglich, dass Krebszellen durch eine Biopsie in umliegendes Gewebe verschleppt werden. In aller Regel führt das aber nicht dazu, dass sich eine Krebserkrankung im Körper ausbreitet. Gerade bei den häufigsten Krebserkrankungen wie Brust- oder Prostatakrebs, bei denen auf der ganzen Welt täglich Biopsien durchgeführt wurden, gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass die Entnahme zu einer Ausbreitung der Erkrankungen führt.

Krebszellen sind sehr wählerisch, wenn es darum geht, sich irgendwo niederzulassen

Denn Krebszellen können gar nicht so einfach an allen Stellen des Körpers anwachsen. Tatsächlich müssen sie erst über einen längeren Zeitraum bestimmte Eigenschaften erwerben, um sich in einem neuen Gewebe festsetzen zu können. Man geht davon aus, dass bloß wenige Krebszellen diese Eigenschaften haben. Zudem fühlen sich Krebszellen in der Regel nur in ganz bestimmten Bereichen des Körpers wohl. Bei Brust- oder Prostatakrebs treten zum Beispiel häufiger Metastasen in der Lunge oder den Knochen auf als in anderen Organen oder in der Haut. Und das, obwohl der ganze Körper mit demselben Blut durchblutet wird. Krebszellen sind sehr wählerisch, wenn es darum geht, sich irgendwo niederzulassen.

Die Frage ist also: Wohin könnten Krebszellen bei einer Biopsie überhaupt verschleppt werden? Bei einer Darmspiegelung etwa könnten einzelne Krebszellen im Darminneren verteilt werden. Diese Gefahr besteht aber theoretisch auch ohne Biopsie, da der Darm die ganze Zeit in Bewegung ist und Stuhl hindurchwandert und so Zellen abgetragen werden. Auch der Einstich bei einer Biopsie, bei dem ein kleiner Kanal im Bindegewebe und der Haut entsteht, stellt nur ein geringes Risiko dar: Genau in diesen Geweben fühlen sich die meisten bösartigen Zellen gar nicht wohl, weshalb Metastasen im Weichgewebe oder der Haut eher selten sind.

Daher ist Vorsicht dann geboten, wenn eine Krebserkrankung vermutet wird, die sich im Stichkanal »wohlfühlen« könnte. Dazu gehören etwa so genannte Weichgewebssarkome, bösartige Tumoren, die vom Binde- und Stützgewebe ausgehen. Bei Verdacht auf eine solche Erkrankung wird die unklare Raumforderungen üblicherweise mit dem umgebenden Gewebe operativ entfernt und dann untersucht. Auch bei bestimmten anderen Krebserkrankungen wird auf eine Biopsie verzichtet. So wird etwa der Hoden bei einem Verdacht auf Hodenkrebs meist operativ frei gelegt, statt durch den Hodensack hindurch zu biopsieren.

Nicht zu biopsieren kann viel gefährlicher sein

Auch hier gilt wieder: Krebs ist nicht eine Erkrankung. Ob die Vorteile einer Biopsie die Nachteile überwiegen oder nicht, beurteilen Ärzte und Ärztinnen individuell. Dabei können sie auf eine lange Erfahrung mit Gewebeentnahmen bei Krebs zurückgreifen. Und diese Erfahrung zeigt: Das Risiko eines Schadens durch eine Biopsie ist gering. Eine falsche Behandlung auf Grund einer unklaren Diagnose stellt jedoch eine große Gefahr dar.

Bei einer vermuteten oder nicht auszuschließenden Erstdiagnose von Krebs würde ich fast immer zu einer Biopsie raten. Nur in einem Fall nicht: wenn die Krebserkrankung, egal welche es am Ende ist, ohnehin nicht behandelt werden würde. Zum Beispiel, wenn ein Patient wegen seines Alters und Vorerkrankungen keine Krebstherapie wünscht oder sie medizinisch nicht zu empfehlen ist. In diesem Fall sollte man in meinen Augen nicht biopsieren. Denn die Gewebeentnahme sollte nicht dem Wissensgewinn der Ärzte, sondern der Suche nach der bestmöglichen Therapie für einen Patienten dienen.

Manchmal werden Tumorbiopsien nicht bloß bei Erstdiagnose durchgeführt, sondern auch im Verlauf einer Krebserkrankung. Beispielsweise um zu untersuchen, ob die Tumorzellen bestimmte Eigenschaften haben, die sich therapeutisch angreifen lassen. Meiner Meinung nach sollten sich Patienten in diesen Fällen einige Fragen beantworten lassen: Wie wahrscheinlich ist es, eine Veränderung zu finden, die therapeutische Konsequenzen nach sich ziehen würde? Wie hoch sind die Erfolgschancen der Therapie? Wie groß ist das Risiko schwerer Komplikationen durch die Biopsie wie etwa Blutungen? Auch hier gilt, dass jeder Fall individuell abgewogen werden muss.

Bei den meisten Erstdiagnosen ist eine Biopsie jedoch unerlässlich: Ohne den histopathologischen Befund würde ich wie vor einer verschlossenen Tür mit vielen Schlüsseln stehen. Zwar habe ich viele potenzielle Medikamente und Therapien zur Auswahl, um den Krebs zu bekämpfen. Doch ohne die Biopsie wüsste ich nicht, welcher dieser Schlüssel die Tür öffnet.

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