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Krebs verstehen: Kann man vorab testen, welche Chemotherapie am besten wirkt?

Wird die Chemotherapie anschlagen? Mit welchen Nebenwirkungen muss ich rechnen? Ob Chemosensitivitätstests helfen können, Krebs effektiver und schonender zu bekämpfen, erklärt die Ärztin Marisa Kurz in »Krebs verstehen«.
Eine Biopsieprobe wird mit einer Pinzette in ein Reagenzglas überführt.
Für einen Chemosensitivitätstest müssen zunächst Tumorzellen gewonnen werden – etwa durch eine Biopsie (Symbolbild).

Kolumne: »Krebs verstehen«

Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung.

Was passiert dabei im Körper? Warum bekommen nur manche Menschen Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«. Denn wer informiert ist, kann selbstbestimmte Entscheidungen treffen.

Als Ärztin in der Onkologie gehört es zu meinem Alltag, dass Patientinnen und Patienten eine Chemotherapie erhalten. Viele Betroffene haben zuvor verständlicherweise große Ängste und Fragen, etwa, ob die Behandlung überhaupt erfolgreich sein wird, und wenn ja – zu welchem Preis? Die Kehrseite solcher Therapien kenne ich leider nur zu gut: Zwar zerstören Chemotherapeutika Krebszellen, jedoch greifen sie auch den gesunden Körper an und können schwere Nebenwirkungen hervorrufen. Vor Therapiebeginn kann ich in etwa vorhersagen, wie wahrscheinlich es ist, dass der Krebs sich verringert. Das Wissen stammt aus klinischen Studien, in denen verschiedene Kombinationen von Wirkstoffen bei unterschiedlichen Krebsarten untersucht wurden. Doch nicht jedes einzelne existierende Krebsmedikament wurde bereits in jeder speziellen Therapiesituation untersucht. Eine 100-prozentige Garantie, dass eine Chemotherapie wirkt, gibt es leider nicht – wie meistens in der Medizin.

Was wäre aber, wenn ein Test bereits vor Beginn der Therapie vorhersagen könnte, ob ein Patient oder eine Patientin wirklich davon profitiert? Und was, wenn er von allen existierenden Chemotherapeutika diejenigen identifizieren könnte, die den vorliegenden Krebs am effektivsten bekämpfen? Für mich wäre das ein Traum, denn natürlich würde ich meinen Patienten gerne unnötige Nebenwirkungen ersparen und sie direkt mit den wirksamsten Medikamenten behandeln.

Wie aussagekräftig sind Chemosensivitätstests?

So genannte Chemosensitivitätstests sollen genau das leisten. In einem ersten Schritt wird versucht, Tumorzellen des Patienten – die zum Beispiel im Rahmen einer Biopsie oder Operation entnommen wurden – unter Laborbedingungen wachsen zu lassen. Damit die Zellen außerhalb eines Körpers überleben können, müssen sie sehr sorgsam behandelt und unter anderem mit Nährlösung versorgt sowie in Brutschränken auf Körpertemperatur erwärmt werden. Um gleichzeitig zu verhindern, dass sich Bakterien oder Pilze in den Behältnissen vermehren (sowohl Nährlösung als auch Wärme sind ideale Wachstumsbedingungen für sie), müssen die Krebszellen unter möglichst sterilen Bedingungen versorgt und mit Antibiotika versetzt werden. Wenn es gelingt, die Krebszellen erfolgreich wachsen zu lassen, werden sie schließlich mit unterschiedlichen Chemotherapeutika behandelt. Danach wird geschaut, wie die Krebszellen auf die Substanzen reagieren. Diese Erkenntnisse sollen letztlich den möglichen Effekt der Mittel bei Krebspatienten vorhersagen.

Doch Wissenschaftler, die versuchen, solche Tests zu etablieren, stehen noch vor zahlreichen Herausforderungen: Zum einen ist die erfolgreiche Kultivierung der Krebszellen schwierig. Zum anderen gibt es in unserem Körper hunderte verschiedene Arten von Zellen, die sich zu unterschiedlichen Geweben zusammensetzen und sich gegenseitig beeinflussen. Diese Komplexität und die Wechselwirkungen lassen sich unter Laborbedingungen nicht vollständig nachahmen. Deshalb werden neue Medikamente nach Tests an Zellen zusätzlich immer an Tieren und schließlich am Menschen untersucht. Zwar werden bei Chemosensitivitätstest bereits zugelassene Medikamente eingesetzt, jedoch ist bekannt: Eine Wirkung im Labor garantiert nicht eine spätere Wirkung im Menschen.

Hinzu kommt, dass Chemotherapeutika im Körper verstoffwechselt werden und manchmal erst die Abbauprodukte die eigentliche Wirkung erzielen – auch das lässt sich unter Laborbedingungen nicht immer simulieren. Eine weitere Herausforderung sind die möglichen unterschiedlichen Eigenschaften der verschiedenen Tumorzellen eines Patienten. In der Praxis kommt es häufig vor, dass unter einer Therapie Metastasen zwar an einer Körperstelle kleiner werden oder zumindest nicht mehr wachsen, sich jedoch an anderer Stelle vermehren. Diese so genannte Tumorheterogenität lässt sich unter Laborbedingungen leider nur schwer abbilden. Auch bestimmte Resistenzmechanismen, die Krebszellen gegen Medikamente entwickeln können, lassen sich im Labor nicht nachahmen. Wenn ein Medikament Krebszellen unter Laborbedingungen tötet, ist das also leider keine Garantie dafür, dass es ein geeignetes Medikament für einen Menschen ist.

Von Chemosensitivitätstests abzugrenzen sind Untersuchungen, mit denen zielgerichtete Therapiemöglichkeiten identifiziert werden sollen. Dabei werden bestimmte Eigenschaften in Tumorerbgut oder Tumorproteinen gesucht, damit eine zielgenaue Therapie dagegen überhaupt wirken kann. Ob sie tatsächlich funktioniert, kann damit allerdings nicht vorhergesagt werden. Untersucht wird zum Beispiel, ob Krebszellen ein bestimmtes Oberflächenmerkmal wie Her2/neu besitzen, gegen das sich bestimmte Medikamente richten.

Manche Firmen bieten Chemosensitivitätstests bereits an

Forschende versuchen, Chemosensitivitätstests technisch zu optimieren und herauszufinden, wie sie Therapieerfolge vorhersagen können. In Studien wird zum Beispiel verglichen, ob sich der Effekt auf die Krebszellen im Labor und der tatsächliche Therapieerfolg bei Patienten unterscheiden. Oder es wird untersucht, ob Medikamente, die unter Laborbedingungen Krebszellen abtöten, Patienten einen Vorteil bringen, die keine etablierten Therapiealternativen mehr haben. Chemosensitivitätstests sind also derzeit Gegenstand der Forschung. Doch es gibt bereits Firmen, die sie kommerziell anbieten. Wenn zu mir nun ein Patient mit einem Ergebnis eines solchen Chemosensitivitätstests kommen würde, den er bei einem privaten Anbieter auf eigene Kosten hat durchführen lassen, könnte ich basierend auf diesem Ergebnis leider keine Therapieentscheidung treffen.

Medikamente, die gegen Krebs eingesetzt werden, haben häufig schwere Nebenwirkungen. Wir Ärzte können sie also nur guten Gewissens einsetzen, wenn wir eine realistische Chance sehen, dass sie wirken. Welche Therapien Erfolg versprechend sind oder nicht und welche Faktoren zu Therapieentscheidungen am besten herangezogen werden, wird in klinischen Studien untersucht. Basierend auf deren Ergebnissen erstellen medizinische Fachgesellschaften Handlungsempfehlungen für Ärzte. Aktuell gibt es keine Empfehlung für Onkologen, Chemosensitivitätstests durchzuführen oder Therapieentscheidungen von den Ergebnissen beeinflussen zu lassen.

Darüber hinaus würden Krankenkassen eine Behandlung, die auf dem Ergebnis eines Chemosensitivitätstests beruht, mit großer Wahrscheinlichkeit nicht übernehmen. In der Onkologie ist es Standard, dass Ärzte Anträge bei Krankenkassen stellen und um die Kostenübernahme für Therapien bitten. Doch Voraussetzung dafür ist, dass Studienergebnisse deren Wirksamkeit zeigen. In der Krebsmedizin werden ständig Studien zu neuen Medikamenten veröffentlicht. Bis Zulassungsbehörden und Krankenkassen diese Ergebnisse bewertet, das Mittel zugelassen und eine Kostenübernahme geregelt haben, vergeht leider viel Zeit. Diese Zeit haben die Patienten manchmal nicht. Meiner Erfahrung nach werden Kostenübernahmen allerdings in den meisten Fällen bewilligt, wenn es sonst keine Alternative gibt und die Annahme, dass die Therapie wirken könnte, gut begründet und mit wissenschaftlichen Daten belegt ist. Chemosensitivitätstest sehe ich noch nicht so weit.

Ich bin gespannt, wie sich die Forschung auf diesem Gebiet weiterentwickelt. Ich denke, es ist technisch einfacher, mit diesen Tests Medikamente zu identifizieren, die nicht wirken, anstatt mit hoher Sicherheit vorherzusagen, dass sie anschlagen. Aber auch das wäre ein großer Gewinn: So könnten wir Patienten Nebenwirkungen von Therapien ersparen, die ihnen am Ende keinen Vorteil bringen.

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