Krebs verstehen: Was ist dran am Scan auf Krebs?
Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.
»Ich bin Krebs-Scanner«
Mit diesem Slogan wirbt eine private Krankenversicherung für eine »innovative Methode zur Krebsfrüherkennung«. Die angebotene Zusatzversicherung »Krebs-Scan« beinhaltet einen jährlichen Bluttest und – falls dieser Auffälligkeiten zeigt – bildgebende Untersuchungen, um abzuklären, ob sich der Verdacht erhärtet. Im Fall eines Krankenhausaufenthalts winken dem Versicherten dann das komfortable Ein- oder Zweibettzimmer sowie die Chefarztbehandlung. Das alles für einen niedrigen zweistelligen Betrag pro Monat.
Klingt gut, oder? Klar ist: Natürlich sind viele Krebserkrankungen umso besser behandelbar, je früher sie erkannt werden. Und leider werden nur für einen kleinen Teil aller Krebserkrankungen die gängigen Früherkennungsuntersuchungen angeboten. Es wäre revolutionär, könnte man Krebs mit einem einfachen jährlichen Bluttest früher erkennen. Was ist also dran am Krebs-Scan?
Was eine Krebsfrüherkennung leisten muss und kann
Ganz allgemein wird eine Untersuchung zur Krebsfrüherkennung von Fachleuten erst empfohlen, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllt. Zum einen soll sie mit hoher Sicherheit Krankheitsfälle identifizieren. Zum anderen sollte bewiesen sein, dass dadurch Erkrankungsfälle und/oder Todesfälle verhindert werden können. Denn leider bedeutet eine frühere Diagnose nicht in allen Fällen einen günstigeren Verlauf. Wird eine Erkrankung früher entdeckt und die Therapie sofort begonnen, ohne dass die Lebenszeit dadurch verlängert werden kann, bedeutet das für Patienten wahrscheinlich nur eine zusätzliche Belastung.
Gleichzeitig sollten durch die Früherkennungsmaßnahme nur sehr wenige falsch positive Befunde entstehen. Denn die können für Betroffene und das Gesundheitssystem schwer wiegende Folgen haben. Ein auffälliges Ergebnis in einer solchen Untersuchung belastet Betroffene psychisch, außerdem bringen Folgeuntersuchungen Risiken und Nebenwirkungen mit sich. Während bildgebender Verfahren drohen Patienten beispielsweise Strahlenbelastung und allergische Reaktionen. Werden Biopsien von eventuellem Krebsgewebe entnommen, kann es zu Blutungen oder Infektionen kommen. Auch verbrauchen die Nachuntersuchungen auffälliger Befunde Ressourcen. Andere Patienten, die diese womöglich dringender benötigen, erhalten sie im schlimmsten Fall dann nur verzögert.
In der Medizin sagen wir manchmal: »Wer viel misst, misst viel Mist.« Das bedeutet: Werden ohne einen konkreten Verdacht Untersuchungen durchgeführt, besteht die Gefahr, irgendeinen Zufallsbefund zu entdecken, der gar nicht von Relevanz ist. Im schlimmsten Fall zieht das unnötige Folgen nach sich. Bevor prophylaktische Untersuchungen empfohlen werden, müssen Nutzen und Kosten also sorgfältig abgewogen werden.
Was kann der Bluttest auf Krebs?
In einem Werbevideo zum »Krebs-Scan« erklärt ein Sprecher völlig korrekt, dass es für die Mehrheit der Krebserkrankungen keine reguläre Früherkennung gibt. Dann wird herausgestellt, dass die Versicherung nun eine Möglichkeit gefunden haben will, Krebs früher zu entdecken: mit dem Bluttest »PanTum Detect«.
In den Medien kritisieren mehrere renommierte Medizinerinnen und Mediziner diesen Krebs-Scan. Der angebotene Bluttest der Firma Zyagnum AG kann zwei Enzyme namens DNaseX (Apo10) und TKTL1 aufspüren, die bei vielen Arten von Krebs vorkommen können. Im Test werden jedoch keine Krebszellen, sondern bestimmte weiße Blutkörperchen untersucht, die Krebszellen »fressen« können und dann deren Proteine in sich tragen. Der Gedanke dahinter ist: Befindet sich irgendwo im Körper Krebs, sind die weißen Blutkörperchen damit in Kontakt gekommen und tragen Spuren davon in sich.
Die Aussagekraft des Tests scheint jedoch durch eine Reihe von Faktoren beeinflusst zu werden. Die Liste, welche Kriterien dazu führen, dass man den Test nicht durchführen kann, ist unglaublich lang: So steht auf der Website des Versicherers, dass Menschen, die innerhalb der letzten Woche eine Erkältung, Fieber oder eine Blasenentzündung hatten, nicht teilnehmen können. Ebenso wenig jene, die innerhalb der vergangenen acht Wochen eine Gürtelrose, Schnittwunden, Schürfwunden oder eine Prellung, einen Knochenbruch oder einen Bänderriss erlitten haben. Und wer Blut im Stuhl, Blut im Urin, einen Leistenbruch, einen operativen Eingriff oder eine invasive Zahnbehandlung hatte und wer innerhalb der letzten vier Wochen geimpft oder während der letzten acht Wochen tätowiert wurde, ist ebenso ausgeschlossen wie diejenigen, die bestimmte Medikamente wie Kortison einnehmen. Manche mögen sich fragen, für wen sich der Test dann überhaupt noch eignet.
Studie mit unzureichenden Informationen
Die Versicherung bezieht sich in ihrer Produktbeschreibung insbesondere auf eine Studie im »Journal of Clinical and Medical Images«, in der der Bluttest an Menschen zwischen 50 und 70 Jahren durchgeführt wurde. Dabei waren von 5064 Blutuntersuchungen 186 auffällig. Bei 151 Personen wurden daraufhin bildgebende Untersuchungen durchgeführt. In 27 Fällen ergab sich anhand der Befunde ein Krebsverdacht, in 9 Fällen keiner, in 115 Fällen wurden Auffälligkeiten festgestellt, die als gutartig oder als Krebsvorstufen eingeordnet wurden.
Doch um beurteilen zu können, ob sich dieser Test als Krebsfrüherkennungsmaßnahme eignet, fehlen in der Veröffentlichung viele wichtige Informationen. Unter anderem geht daraus nicht hervor, ob bei allen Patienten mit Krebsverdacht in der Bildgebung außerdem eine Probenentnahme des Gewebes erfolgt ist. Denn nur so lässt sich Krebs mit Sicherheit feststellen. Unklar ist ebenso, wie genau die Krebsvorstufen diagnostiziert wurden. In der Veröffentlichung ist nur eine einzige pathologische Untersuchung erwähnt.
Wie viele der Probanden mit auffälligen Laborwerten tatsächlich an Krebs erkrankt waren – auch an welchen konkreten Arten und in welchen Ausbreitungsstadien –, lässt die Publikation ebenfalls offen. Und selbst wenn sie erkrankt waren, lässt sich keine Aussage darüber treffen, ob deren Behandlung durch die Blutuntersuchung günstiger verlaufen ist. Leider fehlen zudem Informationen zu den Probanden, die keinen auffälligen Bluttest hatten. Litten einige von ihnen vielleicht doch an Krebs? Wiegt der Test sie womöglich in falscher Sicherheit?
Ein weiteres Manko: Die Versicherung bietet den Test nicht nur in der Altersgruppe an, die in der Studie untersucht wurde, sondern auch schon für Versicherte ab 18 Jahren. Da Krebs in jungem Alter viel seltener ist als zwischen 50 und 70 Jahren, stellt sich die Frage, ob es bei Jüngeren zu mehr falsch positiven Ergebnissen kommen könnte.
Kurzum: Die oben genannten Anforderungen an eine empfehlenswerte Krebsfrüherkennungsuntersuchung sind – jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt – nicht erfüllt. Die Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Krebsgesellschaft hat eine ausführliche Stellungnahme zu PanTum Detect veröffentlicht. Sie kommt zu einem deutlichen Fazit: »Der EDIM-TKTL1- oder der EDIM-Apo10-Test sind keine Testverfahren, die von der Deutschen Krebsgesellschaft zur Früherkennung, Diagnose, Prognoseeinschätzung oder als Hinweis auf ein mögliches Therapieansprechen empfohlen werden.« Die Vorsitzende der Arbeitsgruppe sprach gegenüber Medien sogar von »Scharlatanerie«.
Ich wünschte, ich hätte schreiben können: »Ja, es gibt endlich einen Bluttest auf Krebs.« Denn immer wieder behandle ich Patienten und Patientinnen, deren Heilungschancen viel besser gewesen wären, wenn die Erkrankung früher entdeckt worden wäre. Ich hoffe, dass ich den Tag erlebe, an dem eine einfache Früherkennungsuntersuchung für alle möglichen Krebsarten entdeckt wird. Leider ist er noch nicht gekommen.
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