Krebs verstehen : Was kann ich zusätzlich zur Krebstherapie tun?
Kolumne: »Krebs verstehen«
Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung.
Was passiert dabei im Körper? Warum bekommen nur manche Menschen Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«. Denn wer informiert ist, kann selbstbestimmte Entscheidungen treffen.
Als meine Mutter Krebs hatte, habe ich ihr ein Kochbuch mit Rezepten für Krebspatienten gekauft. Die enthaltenen Lebensmittel, so suggerierte der Klappentext, würden sich positiv auf den Krankheitsverlauf auswirken. Damals war ich noch keine Ärztin, kannte mich nach dem Biochemiestudium aber gut mit Tumorbiologie aus. Deshalb wusste ich auf rationaler Ebene natürlich, dass das Versprechen des Buches wissenschaftlich nicht haltbar war. Aber ich wünschte mir es so sehr, denn ich wollte etwas für meine Mutter tun und nicht hilflos neben ihr stehen.
»Was kann ich noch tun, um meinen Krebs zu bekämpfen?« Wenn Patientinnen und Patienten mich heute fragen, was ihnen über die medizinische Behandlung hinaus gegen die Krebserkrankung helfen könnte, kann ich diese Frage also sehr gut nachfühlen. Bei den meisten Betroffenen und ihren Angehörigen ist die Verunsicherung groß, weil die Bandbreite der Angebote riesig ist: Nahrungsergänzungsmittel, Phytotherapie, Naturheilkunde, Homöopathie, Krebsdiäten – das sind nur einige der Stichworte, die dann fallen.
In der Medizin beschäftigt sich die so genannte Komplementärmedizin mit der Frage, wie eine Krebsbehandlung sinnvoll ergänzt werden kann. Dabei handelt es sich, wie der Name schon sagt, um eine Ergänzung zur gewählten Therapie und nicht um »Alternativmedizin«, die von manchen als gleichwertiger Ersatz für die evidenzbasierte Medizin angepriesen wird.
Komplementärmedizin wirkt unterstützend – und gehört in medizinische Hände
In einer Leitlinie nehmen Experten mehrerer medizinischer Fachgesellschaften verschiedene begleitende Verfahren, die Beschwerden durch Krebstherapien und -erkrankungen abmildern sollen, wissenschaftlich unter die Lupe. Sie beurteilen etwa, inwiefern pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel, Vitamine und Spurenelemente sowie Homöopathie, Akupunktur, Meditation oder Shiatsu einen positiven Effekt erzielen können. Je nachdem, ob es Untersuchungen dazu gibt, wie wirksam diese Methoden sind, und ob diese Daten wissenschaftlich betrachtet aussagekräftig genug sind, raten die Experten unterschiedlich stark zu bestimmten Therapien oder eben von diesen ab.
Die wichtigste Empfehlung: körperliche Aktivität und Sport während und nach Abschluss der Krebstherapie. Viele Patientinnen und Patienten leiden an Erschöpfungszuständen, der so genannten Fatigue. Bewegung kann bei ihnen nachweislich die Symptome abmildern und die Lebensqualität erhöhen. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass körperliche Aktivität den Krankheitsverlauf positiv beeinflusst, auch wenn die Datenlage dazu noch unzureichend ist. Wenn Patienten körperlich dazu in der Lage sind, sollten sie sich pro Woche entweder 150 Minuten moderat oder 75 Minuten intensiv bewegen – und zwar so früh wie möglich nach der Diagnose. Konkret wird zu Ausdauer-, Kraft-, Koordinations- und Beweglichkeitstraining geraten.
Akupunktur empfehlen die Expertinnen und Experten generell bei Tumorschmerzen und speziell bei Brustkrebspatientinnen, die so genannte Aromatasehemmer erhalten, die häufig zu Gelenkschmerzen führen. Bei Schlafstörungen und Fatigue während und nach einer Chemotherapie oder Bestrahlung kann Tai-Chi oder Qigong hilfreich sein. Die meditativen Bewegungsformen der traditionellen chinesischen Medizin eignen sich zudem wie auch Yoga bei Fatigue.
In der Leitlinie berichten die Expertinnen und Experten außerdem über eine Reihe von Verfahren, für die die Datenlage begrenzt oder weniger überzeugend ist und die empfohlen werden »können«. Dazu gehört zum Beispiel, dass Betroffene bei Übelkeit neben den gängigen Medikamenten auch Ingwer einnehmen können oder jene, die unter Angstzuständen leiden, Meditation ausprobieren können. Zudem schreiben sie, dass homöopathische Mittel und Mistelpräparate bei einigen Patienten die subjektive Lebensqualität erhöhen können. Und bei Patienten mit Mundschleimhautentzündungen und Durchfällen nach Bestrahlung im Becken kann die Gabe von Selen die Symptome verringern.
Auch scheinbar unbedenkliche komplementäre Therapien können schaden
Für andere Verfahren gibt es so wenig Daten, dass man sie weder empfehlen noch davon abraten kann – wie etwa die Verwendung von Aloe vera, um Hautentzündungen nach einer Bestrahlung vorzubeugen. Zugleich gibt es keine ausreichende Datengrundlage zur Einnahme von B-Vitaminen, die häufig zur Prophylaxe oder Behandlung von Polyneuropathien, also von Gefühlsstörungen wie Kribbeln, Brennen und Taubheit in Händen und Füßen, angewendet werden. Ebenfalls können die Experten keine Empfehlung für Kurkumin aussprechen. Von bestimmten Mitteln raten sie sogar ab, etwa von der Einnahme von Vitamin E.
Ich habe erlebt, dass manche Patientinnen und Patienten denken, dass komplementäre Maßnahmen im schlimmsten Fall nicht wirken, im besten Fall aber vielleicht doch helfen. Leider ist es nicht so einfach. Auch scheinbar unbedenkliche komplementäre Therapien können nämlich schädlich sein. Das gilt vor allem für Nahrungsergänzungsmittel, die zum Beispiel pflanzliche Wirkstoffe enthalten. Diese können womöglich Wechselwirkungen verursachen, die im schlimmsten Fall die Wirkung von Krebsmedikamenten abschwächen oder zu unerwünschten Nebenwirkungen führen.
Wer sich für Komplementärmedizin interessiert, sollte daher unbedingt die behandelnden Ärzte darauf ansprechen. Ich freue mich jedes Mal, wenn meine Patienten mir ihr Vertrauen schenken und mir ermöglichen, meine Einschätzung zu Kosten und Nutzen solcher Zusatztherapien mit ihnen zu teilen.
Oben habe ich beschrieben, dass in der Leitlinie für Komplementärmedizin nur eine einzige starke Empfehlung ausgesprochen wird – körperliche Aktivität. Im ersten Moment klingt das vielleicht enttäuschend. In meinen Augen ist es das aber überhaupt nicht. Schließlich ist das eine Maßnahme, die die meisten Patienten relativ leicht ergreifen können – und zwar ganz ohne finanziellen Aufwand und ohne, dass sie dafür irgendetwas brauchen. Zu wissen, dass der Körper die Fähigkeit hat, ganz ohne Hilfsmittel etwas für sich zu verbessern, hätte mich damals bei der Erkrankung meiner Mutter getröstet.
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