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Krebs verstehen: Wie man jemandem sagt, dass er sterben wird

Manchen ihrer Krebspatienten muss Marisa Kurz sagen, dass ihr Leben bald zu Ende geht. Wie die Ärztin an solche schwierigen Gespräche herangeht und warum sie angehenden Ärzten empfiehlt, mit Schauspielern zu üben, erzählt sie in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.
Ein Mann ist im Gespräch mit einer Ärztin und schlägt die Hände vor seinem Gesicht zusammen
Jeder Mensch reagiert anders, wenn er schlechte Nachrichten erhält. Deshalb sollten Ärzte Betroffenen Raum geben, ihre Gedanken zu sortieren, und dann auf die geäußerten Bedürfnisse eingehen.

Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.

Vor Kurzem hatte ich einen Krebspatienten bei mir zum Gespräch, der gerade einmal Anfang 20 ist. Ihm und seiner Familie musste ich leider erklären, dass seine Erkrankung nicht mehr heilbar ist.

»Wie macht ihr das bloß?« Diese Frage wird mir immer wieder gestellt. Nicht nur von Studentinnen und Studenten in meinen Kursen, sondern auch von Freunden und meiner Familie, selbst von Kolleginnen und Kollegen anderer Fachrichtungen. Für viele Menschen scheint es selbstverständlich zu sein, dass Ärzte Gehirne operieren oder Gelenke austauschen. Aber jemandem in die Augen zu schauen und ihm zu sagen, dass sein Leben zu Ende geht, können sich viele nicht vorstellen – und das kann ich gut nachvollziehen.

Die Medizin hat für das Überbringen schlechter Nachrichten sogar einen eigenen Begriff, er lautet »breaking bad news«. Denn solche Momente gehören für die meisten Ärztinnen und Ärzte zum Beruf dazu. Manchmal hat die Medizin keine Medikamente oder Eingriffe mehr zu bieten, um das Leben eines Patienten zu retten oder ein bestimmtes Leiden zu lindern. Diese Gespräche sind natürlich in erster Linie für die Betroffenen unvorstellbar schlimm. Mir als Ärztin bleibt nur, hoffentlich die richtigen Worte zu finden. Doch allen angehenden Medizinerinnen und Medizinern möchte ich etwas die Angst davor nehmen und gerne teilen, wie ich an solche schwierigen Gespräche herangehe und wie sie lernen können, solche Unterhaltungen zu führen.

Studierende können mit Schauspielerinnen und Schauspielern üben

Viele medizinische Fakultäten bieten Kurse an, in denen Studierende schwierige Patientengespräche üben können. Ich unterrichte einen solchen Kurs, bei dem Studentinnen und Studenten unterschiedliche Aufgaben bekommen. So sollen sie beispielsweise versuchen, einem Darsteller, der einen Patienten mimt, die Diagnose von unheilbarem Bauchspeicheldrüsenkrebs mitzuteilen. In kleinen Gruppen sehen sie einander bei den Gesprächen zu und geben sich im Anschluss konstruktives Feedback. Auch die Schauspieler erzählen, wie das Gespräch für sie war.

Vor dem Kurs blicke ich jedes Mal in nervöse Gesichter. Viele haben Angst, sich zu blamieren. Doch das Ziel des Kurses ist nicht, jemanden bloßzustellen, sondern, Gespräche so realistisch wie möglich zu üben und Rückmeldung dazu zu bekommen. In der Praxis wird es nämlich irgendwann so sein, dass die Teilnehmenden vor einem echten Patienten sitzen. Nach dem Kurs sind die meisten sehr dankbar dafür. Auch ich nehme jedes Mal etwas aus den Gesprächen mit, denn jede Unterhaltung entwickelt sich ein wenig anders. Diese Art der Lehre in ärztlicher Gesprächsführung halte ich für sehr sinnvoll.

Wie ich schlechte Nachrichten überbringe

Zu Beginn jedes Kurses versuche ich den Studierenden Tipps zu geben. Mir persönlich hilft es, mich vor schwierigen Gesprächen auf meine Rolle zu besinnen. Auch wenn ich keine guten Nachrichten habe, kann ich zumindest eines geben: Klarheit. Ich kann den Patienten ehrlich sagen, woran sie sind, und kann ihnen alle Informationen geben, die sie brauchen, um das Gesagte zu verarbeiten. Und das ist sehr unterschiedlich, denn jeder reagiert anders auf schlechte Nachrichten.

Im Kopf des Betroffenen kreisen die Gedanken vielleicht um etwas, womit wir Behandler gar nicht rechnen. Manch ein Patient hat womöglich schon geahnt, dass er seine Erkrankung nicht überleben wird, und überlegt sich bereits, wie er das seinen Kindern oder dem Partner oder der Partnerin beibringen soll, was aus seinen Mitarbeitern wird oder wie der Hund versorgt werden kann. Ein anderer zweifelt vielleicht die Untersuchungsergebnisse an und will noch einmal besprechen, wie sie zu Stande gekommen sind. Und manche sind in diesem Moment nicht mehr aufnahmefähig und wollen nicht weiterreden, sondern lieber einen neuen Gesprächstermin vereinbaren.

Auf all diese Gedanken und Bedürfnisse können wir Ärzte aber nur eingehen, wenn wir sie kennen. Als Überbringer schlechter Nachrichten gerät man leicht in einen Modus, unbedingt irgendetwas tun und sagen zu wollen, um seine eigene Hilflosigkeit nicht aushalten zu müssen. Doch ich bin davon überzeugt, dass man gerade nach der Übermittlung einer schlechten Nachricht Raum lassen sollte. Nach der Botschaft eine Pause zu machen und die Stille auszuhalten, bis der Patient seine Gedanken sortiert hat und diese mit einem teilt, ist einer meiner wichtigsten Tipps für angehende Mediziner.

Schwierige Gespräche lassen sich vorbereiten

Meiner Meinung nach sollten Ärzte, egal wie schlimm die Nachricht ist, immer irgendeine Art Fahrplan parat haben. Nie sollte man schlechte Nachrichten überbringen und Patienten ohne eine Vorstellung darüber, wie es weitergeht, in der Luft hängen lassen – und sei es, den Kontakt zu einer palliativmedizinischen Einrichtung herzustellen.

Und auch in anderen Aspekten können Ärzte Gespräche vorbereiten. Wenn es möglich und in der Situation angemessen ist, erkläre ich Patienten bereits vor einer anstehenden Untersuchung, was dabei besten- und schlimmstenfalls herauskommt. So können sie sich gedanklich schon mit beiden Möglichkeiten auseinandersetzen. Zudem biete ich ihnen an, zu Befundbesprechungen Angehörige mitzubringen.

Bei den Gesprächen orientiere ich mich auch am so genannten SPIKES-Modell, das Studierende bereits in ihrer Ausbildung kennen lernen. Es steht für: Setting, Perceptions, Invitation, Knowledge, Emotions und Strategy/Summary. In meinem Berufsalltag sieht ein angewendetes SPIKES-Modell so aus, dass ich für einen geschützten Gesprächsrahmen (Setting) sorge, also zum Beispiel ein Gesprächszimmer mit Sitzgelegenheiten für alle am Gespräch Beteiligten vorbereite und Störungen verhindere. Zu Gesprächsbeginn bespreche ich kurz mit dem Patienten, worum es in dem Gespräch geht – beispielsweise eine Befundbesprechung –, und wenn zutreffend erfrage ich, welche Informationen er durch Kollegen bereits erhalten hat (Perception).

Dann fasse ich zusammen, was zuletzt passiert ist, beispielsweise welche Untersuchungen mit welcher Fragestellung durchgeführt wurden, und leite anschließend zur Befundmitteilung über (Invitation). Mit dem Begriff Invitation, also Einladung, ist gemeint, dass Patienten das Gespräch an dieser Stelle unterbrechen könnten, wenn sie die Ergebnisse nicht hören wollen.

Hier überbringe ich die eigentlichen Informationen (Knowledge) und achte dabei darauf, ruhig und leicht verständlich zu sprechen und keine medizinischen Fachbegriffe zu benutzen. Danach folgt der in meinen Augen schwierigste Teil für den Überbringer der schlechten Nachrichten – nämlich auf die Reaktion des Patienten zu warten (Emotions) und auf sie einzugehen. Am Ende sollte der Patient eine Vorstellung davon haben, woran er ist und wie es weitergeht (Strategy/Summary).

Neulich habe ich mit einem Patienten, der die Krebstherapie sehr schlecht vertragen hat, ein langes Gespräch geführt. Ich habe ihm erklärt, dass die Therapie sein Leben um Monate verlängern kann, es mir aber auch wichtig ist, dass er seine Lebensqualität in der gewonnenen Zeit behält. Im Gespräch ist ihm klargeworden, dass das gar nicht der Fall ist. Er reflektierte, dass er seine Zeit lieber zu Hause mit seiner Familie verbringen will – ohne Nebenwirkungen der Therapie und ohne Arztbesuche –, auch wenn sie dann kürzer ist. Nach dem Gespräch war er auf eine Art erleichtert, wie er mir später erklärt hat. Er hat es gebraucht, dass jemand ihm deutlich erklärt, was es abzuwägen gilt. Nur so konnte er entscheiden, was er möchte. Im Anschluss hat er sich noch mehrmals für das Gespräch bedankt – obwohl ich ihm schlechte Nachrichten überbracht habe.

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