Krebs verstehen: Wirkt ein Verzicht auf Zucker gegen Krebs?
Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.
Meine Patientinnen und Patienten fragen mich häufig, ob sich ein Verzicht auf Zucker positiv auf ihre Krebserkrankung auswirkt. Sie hoffen, ihren Krebs mit einer zuckerarmen Diät regelrecht »aushungern« zu können. Leider muss ich ihnen dann sagen, dass das so nicht funktioniert – und dass solche Diäten sogar schädlich sein können.
Krebs braucht Zucker – so wie der gesamte Körper
Der Stoffwechsel von Krebszellen unterscheidet sich in bestimmten Punkten von dem gesunder Zellen. Zum Beispiel vergären Krebszellen Zucker zur Energiegewinnung, anstatt ihn mit Hilfe von Sauerstoff möglichst effizient zu verbrennen. Um diesen so genannten Warburg-Effekt kursieren viele Mythen. Einer davon ist, dass Krebs sich durch eine zuckerfreie Diät bekämpfen ließe.
Tatsächlich ist es so, dass Krebszellen einen veränderten Stoffwechsel haben und besonders viel Glukose aufnehmen, um Energie zu gewinnen. Aus dieser Tatsache lässt sich aber leider nicht schließen, dass eine verminderte Zufuhr von Zucker Krebs bekämpft. Das hat mehrere Gründe: Erstens ist es nicht möglich, die Zuckerzufuhr gezielt nur an die Krebszellen zu unterbinden. Es werden immer auch gesunde Körperzellen unterversorgt, wenn ein Mensch auf Zucker verzichtet. Zweitens können Zellen auch aus anderen Nährstoffen Energie gewinnen, zum Beispiel aus Fetten oder Eiweißen. Bekommen Krebszellen über die Nahrung also zu wenig Zucker ab, finden sie einen anderen Weg, sich mit Energie zu versorgen, indem sie beispielsweise den Abbau von Fett und Muskeln im Körper ankurbeln. Krebs lässt sich nicht aushungern, eher hungert er den Menschen aus. Es gibt keinen Beweis dafür, dass kohlenhydratarme Diäten einen positiven Effekt auf Krebserkrankungen haben.
Betroffene leiden ohnehin an Unterversorgung mit Nährstoffen
Viele meiner Patientinnen und Patienten sind untergewichtig oder haben Schwierigkeiten, genug Nahrung zu sich zu nehmen. Zum einen kann der Krebs dazu führen, dass Betroffene Gewicht verlieren und weniger Nährstoffe aufnehmen, zum anderen können Therapien gegen Krebs unerwünschte Nebenwirkungen wie Appetitlosigkeit, Geschmacksverlust, Übelkeit oder Durchfall hervorrufen. Wenn sich Krebserkrankte dann noch mit Diäten quälen, kann das nicht nur ihre Lebensqualität einschränken, sondern zu weiterem Gewichtsverlust und Nährstoffmangel führen.
Von Diäten rate ich meinen Patientinnen und Patienten deshalb immer ab. Stattdessen empfehle ich ihnen eine ausgewogene Ernährung, die alle wichtigen Nährstoffe enthält. Ich ermutige sie dazu, zu essen, was ihnen schmeckt und ihnen Freude bereitet – und sich ruhig auch mal etwas zu gönnen, was womöglich etwas ungesünder ist. Hauptsache, die Ernährung ist insgesamt ausgewogen.
Zucker hängt mit Krebs zusammen – aber auf eine andere Art
Solange es nicht gelingt, nur Krebszellen Zucker zu entziehen, eignet sich Zuckerverzicht nicht als Krebstherapie. Zucker komplett aus dem Speiseplan zu streichen ist keine Lösung. Jedoch kann es vorteilhaft sein, Unmengen an Zucker zu vermeiden. Heute ist bekannt, dass Übergewicht neben Rauchen der wichtigste vermeidbare Risikofaktor dafür ist, dass Krebs entsteht. Statistisch gesehen hängen eine zuckerreiche Ernährung und Übergewicht zusammen. Zu viel Zucker kann indirekt also tatsächlich das Krebsrisiko erhöhen. Zur Prävention ist es demnach durchaus sinnvoll, nur normale Mengen an Zucker zu konsumieren.
Zudem gibt es Hinweise darauf, dass sehr große Mengen Zucker, zum Beispiel in Form von vielen süßen Getränken, während einer Krebserkrankung negative Effekte haben können. Aber auch hier gilt: Nicht der Verzicht auf Zucker ist die Lösung, sondern der Verzicht auf übermäßige und unausgewogene Mengen.
Dass Patienten etwas für sich tun wollen, kann ich gut verstehen
Als meine Mutter Krebs hatte, habe ich ein Kochbuch mit Rezepten für Krebskranke gekauft. Darin wurden bestimmte Nahrungsmittel empfohlen, die angeblich gegen Krebs wirken können. Mir war damals vollkommen klar, dass die Tipps wissenschaftlich betrachtet nicht fundiert sind. Doch ich habe mich hilflos gefühlt und wollte unbedingt etwas tun. Dass Patientinnen und Patienten wissen wollen, wie sie die Erkrankung selbst beeinflussen können, kann ich also sehr gut nachfühlen. Ich erkläre ihnen dann, dass sie nichts dafür können, dass sie an Krebs erkrankt sind, und dass es meine Aufgabe ist, dagegen etwas zu tun – nicht ihre.
Wenn meine Patientinnen und Patienten fragen, was sie für sich tun können, rate ich ihnen, sich zu bewegen. Damit können sie die Verträglichkeit der Therapien und womöglich sogar ihre Wirkung verbessern.
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