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Krebs verstehen: Wirkt Methadon gegen Krebs?

Manche unheilbar an Krebs erkrankten Patienten setzen all ihre Hoffnung auf Methadon als Therapieoption. Ob sich der Heroinersatz tatsächlich für die Krebstherapie eignet und welche Risiken es gibt, erläutert Ärztin Marisa Kurz.
Methadon-Ampulle
Methadon ist ein synthetisches Opioid, das als Schmerzmittel und zur Behandlung einer Opioidabhängigkeit eingesetzt wird.

Kolumne: »Krebs verstehen«

Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung.

Was passiert dabei im Körper? Warum bekommen nur manche Menschen Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«. Denn wer informiert ist, kann selbstbestimmte Entscheidungen treffen.

Vor einiger Zeit habe ich eine Patientin mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung behandelt, die darauf hoffte, dass Methadon sie besiegt. So sehr, dass sie sich mit dem Medikament überdosierte und schwere Nebenwirkungen hatte: Sie war schläfrig, wie weggetreten und stürzte mehrfach. Von mir hatte sie das Mittel nicht, irgendein Arzt hatte es ihr verschrieben.

Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass die Patientin alles versuchen wollte, um ihren Krebs zu bekämpfen. Von außen betrachtet führte ihr das Medikament allerdings mehr Schaden zu, als dass es nutzte. Trotzdem bestand sie weiterhin darauf, eine hohe Dosis einzunehmen.

Wo Methadon in der Medizin eingesetzt wird

Methadon ist in Deutschland zur Heroin-Substitution zugelassen. Es wird Menschen verschrieben, die von Opioiden wie Heroin abhängig sind. Das Methadon hilft ihnen dabei, Entzugserscheinungen zu lindern und das Verlangen nach den Drogen zu reduzieren. Levomethadon, ein Bestandteil von Methadon, wird auch als Schmerzmittel eingesetzt, unter anderem bei Tumorschmerzen. Da es eine sehr lange, individuell unterschiedliche und schwer vorhersehbare Wirkdauer im Körper hat, ist es oftmals nicht das Schmerzmittel der ersten Wahl und sollte nur von erfahrenen Ärzten eingesetzt werden.

Woher kommt die Hoffnung?

In einer Reportage aus dem Jahr 2017 wurde Methadon als mögliches Antikrebsmedikament dargestellt. Grundlage für den Bericht waren unter anderem Veröffentlichungen einer deutschen Wissenschaftlerin. In Laborexperimenten mit isolierten Krebszellen hatte sie beobachtet, dass die Gabe von Methadon die Wirkung eines Chemotherapeutikums verstärken konnte. Gemeinsam mit anderen Autoren veröffentlichte sie eine Studie über 27 Hirntumorpatienten, die Methadon zur Chemotherapie eingenommen hatten. In der Untersuchung ging es vor allem darum, wie verträglich die Kombination ist. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass sie über die Wirkung von Methadon als Krebsmedikament keine valide Aussage treffen können.

Doch das Interesse an Methadon in der Krebstherapie war damit geweckt. Viele waren von den Versuchen an den Krebszellen beeindruckt. Was kaum ein Laie weiß: Die allermeisten Wirkstoffe, die an Zellen getestet werden und dort viel versprechende Wirkungen zeigen, werden niemals als Medikamente zugelassen – und zwar weil sich der gewünschte Effekt in den anschließenden Tierversuchen oder weiter folgenden klinischen Studien am Menschen nicht einstellt oder aber starke Nebenwirkungen auftreten.

Das öffentliche Interesse zu Methadon als Krebsmedikament war sogar so groß, dass 2018 mehr als 50 000 Menschen eine Petition an den Deutschen Bundestag unterzeichneten, die mehr Gelder für klinische Studien zu diesem Thema forderten. Eine Befragung unter Onkologen in Deutschland ergab damals, dass ein großer Teil von ihnen plötzlich aktiv von Patienten auf Methadon angesprochen wurde.

Auf Grund des gewaltigen medialen Interesses äußerten sich zu dieser Zeit auch einige Fachgesellschaften zum Thema. Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie wies auf die fehlende wissenschaftliche Evidenz zum Einsatz von Methadon als Krebstherapie hin und warnte nicht nur vor »unrealistischen Erwartungen« an Methadon, sondern auch vor »möglichen Gefahren«. Zu den Nebenwirkungen von Methadon und Levomethadon gehören nämlich unter anderem Übelkeit, Verstopfung, Schläfrigkeit, Beeinträchtigung der Atmung und Herzrhythmusstörungen. Sie wiesen zudem auf eine Studie hin, bei der Schmerzpatienten Morphin oder Methadon erhielten und das Risiko zu sterben bei der Methadongruppe um 46 Prozent höher war. Auch andere medizinische Fachgesellschaften warnten vor falschen Hoffnungen.

Keine Empfehlung als Krebsmedikament

Ein Blick in die aktuelle Literatur über die Wirksamkeit von Methadon in der Onkologie zeigt, dass es keine Evidenz für einen Einsatz außerhalb der Schmerztherapie gibt. In der im Mai 2024 aktualisierten »S3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen« haben die Autorinnen und Autoren den aktuellen Wissensstand zum Thema zusammengefasst.

Der Goldstandard, um die Wirkung eines Medikaments zu belegen, sind so genannte randomisiert-kontrollierte Studien, bei denen die Teilnehmer zufällig und ohne ihr Wissen in Gruppen eingeteilt werden, die entweder das Medikament erhalten oder als Kontrolle dienen. Bei der Recherche, so heißt es in der Leitlinie, wurde keine Studie gefunden, die auf diese Weise die antitumoröse Wirkung von Methadon allein oder in Kombination mit einer Chemo- oder Strahlentherapie untersucht.

Das eindeutige Fazit: »Methadon soll auf Grund der mangelnden Daten zur Wirksamkeit und angesichts des erhöhten Neben- und Wechselwirkungsrisikos nicht mit dem Ziel der Steigerung der Wirksamkeit der Tumortherapie erwogen werden.«

In Ulm läuft aktuell eine klinische Studie, in der Patienten zur Chemotherapie Methadon erhalten. Wissenschaftler wollen so herausfinden, ob Methadon einen Zusatznutzen hat. Da bisher aber die Wirksamkeit nicht nachweisbar war, werden an der Klinik außerhalb der Studie keine Patienten und Patientinnen mit Methadon als potenzielles Krebstherapeutikum behandelt.

Ich würde mich sehr freuen, wenn zufällig herauskäme, dass ein bereits zugelassenes Schmerzmittel auch gegen Krebs wirkt – und würde es meinen Patienten sofort verschreiben. Doch ich will nicht, dass sie falsche Hoffnungen haben und deswegen Substanzen einnehmen, die ihnen mehr Nebenwirkungen bereiten, als sie ihnen helfen.

Die Krebserkrankung meiner Patientin konnte Methadon schließlich nicht besiegen.

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