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Krebs verstehen: Kann ein Spenderorgan Krebs heilen?

Bei manchen Krebserkrankungen bietet sich an, das kranke Organ durch eine Transplantation zu ersetzen. Wann ein Spenderorgan als Krebstherapie sinnvoll ist, erklärt Ärztin Marisa Kurz in »Krebs verstehen«.
Eine Transportbox für Organe steht im Vordergrund, OP-Personal im Hintergrund
Nur bei wenigen Krebserkrankungen ist eine Organtransplantation tatsächlich eine Therapieoption (Symbolbild).

Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.

Wenn Krebs auf einen Bereich im Körper begrenzt ist, kann man versuchen, ihn an Ort und Stelle zu entfernen. Kommt Krebs etwa im Darm oder in der Lunge vor, können die befallenen Teile herausoperiert werden. Das verbleibende gesunde Gewebe reicht aus, um die Funktion der Organe zu erhalten. Bei anderen Krebserkrankungen kann es notwendig sein, Körperteile komplett zu entfernen, beispielsweise bei Brust-, Prostata- oder Hodenkrebs. Ein Leben ohne die entfernten Gewebe ist zum Glück möglich. So kann bei Nierenkrebs etwa das eine betroffene Organ entfernt werden, wenn der Patient eine zweite funktionsfähige Niere hat.

Doch was, wenn Krebs sich in einem lebenswichtigen Organ wie etwa der Leber so stark ausgebreitet hat, dass eine Teilentfernung nicht ausreicht, um den Krebs zu heilen? Kann man dann nicht einfach das ganze Organ entnehmen und es durch ein Spenderorgan ersetzen?

Risiken und Komplikationen von Transplantationen bei Krebspatienten

Normalerweise wird bei Krebserkrankungen von Organtransplantationen abgeraten. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass trotz Operation einzelne Krebszellen im Körper verbleiben und sich dann wieder ausbreiten, ist hoch. Je weiter die Erkrankung bereits fortgeschritten ist, desto größer ist das Risiko, dass sie nach der Transplantation wiederkommt. Und sollte das der Fall sein, sind die therapeutischen Optionen häufig limitiert: Transplantationen sind schwere operative Eingriffe, Patienten müssen sich danach lange schonen und können nicht sofort eine Chemotherapie erhalten. Auch müssen sie ein Leben lang Medikamente einnehmen, die das Immunsystem bremsen und so verhindern, dass das neue Organ abgestoßen wird. Zudem gefährden bestimmte Krebstherapien Transplantierte – Chemotherapien erhöhen zum Beispiel das Risiko für schwere Infekte, die nach Organtransplantationen ohnehin häufiger auftreten. Immuntherapien hingegen können das Risiko für Abstoßungsreaktionen erhöhen. Krebstherapien bei Transplantierten sind zwar möglich, gehen aber mit mehr Komplikationen einher als bei Nichttransplantierten.

Hinzu kommt ein weiterer Faktor: Die Zahl der verfügbaren Spenderorgane ist gering. Bei der Vergabe von Organen muss deshalb immer abgewogen werden, welche Empfänger sie am dringendsten brauchen – aber auch, wem damit die meiste Lebenszeit geschenkt werden kann. Bei Krebspatienten besteht leider die berechtigte Sorge, dass sie schnell nach der Transplantation versterben.

Transplantation bei Leberkrebs möglich

Doch es gibt auch Krebserkrankungen, bei denen eine Organtransplantation tatsächlich eine Therapieoption ist. Und zwar, wenn es sich bei dem Krebs um Leberzellkrebs, ein so genanntes hepatozelluläres Karzinom, handelt. Er entsteht in über 90 Prozent der Fälle als Folge einer Leberzirrhose, einer Vernarbung von Lebergewebe. Sie führt dazu, dass das Organ seine Funktion irgendwann nicht mehr ausüben kann. Eine solche Zerstörung von Lebergewebe kann etwa durch hohen Alkoholkonsum, eine Fettleber sowie Virus-, Stoffwechsel- oder Autoimmunerkrankungen entstehen. Funktioniert die Leber irgendwann nicht mehr, ist die einzige mögliche Rettung eine Lebertransplantation.

Insbesondere bei einem Leberzellkarzinom im Frühstadium, das nicht durch eine Operation oder eine andere Behandlung geheilt werden kann, kommt eine Transplantation in Frage. Die Therapie der meist zu Grunde liegenden Zirrhose ist ohnehin ein neues Organ: Krebs und Zirrhose können so in einem Schritt behandelt werden. Wenn die Krebserkrankung auf die Leber begrenzt ist und sich noch nicht im Körper ausgebreitet hat, ist das Risiko ihrer Wiederkehr nach Transplantation zudem gering. Bei etwa jedem Zehnten kommt der Krebs zurück. Fünf Jahre nach der Transplantation leben rund 65 bis 80 Prozent der Patienten. Hatte sich der Tumor jedoch bereits außerhalb der Leber ausgebreitet, beispielsweise in Lymphknoten oder anderen Organen, haben Patienten nach der Lebertransplantation ein Rückfallrisiko von annähernd 100 Prozent. Nach fünf Jahren leben noch rund 20 Prozent der Transplantierten. In diesen Fällen wird deshalb keine Transplantation durchgeführt.

Studien haben gezeigt, welche Krebspatienten von einer Transplantation profitieren können. Daraus wurden Kriterien zur Auswahl geeigneter Patienten entwickelt. Unter anderem ist relevant, wie viele bösartige Absiedelungen von Krebs es innerhalb der Leber gibt (maximal drei) und wie groß die Herde sind (einzelner Herd >20 bis ≤50 Millimeter, mehrere Herde >10 bis ≤30 Millimeter). Außerdem dürfen keine großen Lebergefäße betroffen sein, und ein bestimmter Blutwert, der Tumormarker, darf einen festgelegten Wert nicht überschreiten.

Im Jahr 2023 standen in Deutschland rund 1400 Menschen auf der Warteliste für eine Lebertransplantation, etwa 200 von ihnen waren an Krebs erkrankt. Insgesamt wurden 868 Lebern transplantiert. Allerdings gibt es keine statistischen Daten darüber, wie viele der Spenderlebern an Krebspatienten gingen.

Transplantationen auch bei anderen Krebserkrankungen?

Nach einer Lebertransplantation wird das entnommene Organ unter dem Mikroskop untersucht. In einzelnen Fällen zeigt sich in so einer anschließenden Untersuchung, dass der Krebs von den Gallengängen innerhalb der Leber ausging, also ein so genanntes Gallengangskarzinom statt eines hepatozellulären Karzinoms vorlag. Solche Karzinome sind die zweithäufigsten bösartigen Tumoren der Leber. Ob Patientinnen und Patienten mit einem solchen Karzinom von einer Lebertransplantation profitieren, ist unklar. Transplantationen sind nur in Einzelfällen im Rahmen von klinischen Studien möglich.

In manchen Fällen handelt es sich bei Leberkrebs um Metastasen anderer Krebserkrankungen, zum Beispiel von Darmkrebs, der sich ausgebreitet hat. Kann man dann den Ursprungstumor entfernen und die Leber samt Metastasen durch eine Spenderleber ersetzen? Genau diese Frage wurde mir in der Klinik bereits von einem Patienten gestellt.

Darmkrebs metastasiert häufig in die Leber. Werden hier Metastasen entdeckt, aber an keiner anderen Stelle im Körper, können sie in rund der Hälfte der Fälle chirurgisch entfernt werden. Ist bei einer metastasierten Darmkrebserkrankung keine Operation möglich, stehen medikamentöse Therapien zur Verfügung, die die Erkrankung jedoch nicht heilen können. Die Lebenserwartung ist dann leider sehr begrenzt. Und auch wenn eine Entfernung der Lebermetastasen möglich ist, wird langfristig nur rund jeder fünfte Patient geheilt. Studien mit Patienten, deren Lebermetastasen nicht operativ entfernt werden konnten, zeigen, dass Lebertransplantationen für manche Betroffenen eine Therapieoption sind. In einer norwegischen Studie mit 23 Patienten überlebte rund ein Viertel von ihnen langfristig.

Sind ähnlich wie bei Leberzellkrebs bestimmte Kriterien erfüllt, ist die Prognose sogar deutlich besser: und zwar, wenn die Metastasen nur eine bestimmte maximale Größe haben oder die Tumorerkrankung durch die letzte Chemotherapie vor der Transplantation verlangsamt werden konnte sowie, wenn die Tumormarker einen bestimmten Wert nicht überschreiten. Studien zeigen, dass Patienten, die diese strengen Kriterien erfüllen, Überlebensraten von mehr als 80 Prozent in den zehn Jahren nach der Transplantation haben. Auf Grund der Knappheit an Organspenden werden bei Darmkrebspatienten mit Lebermetastasen auch Studien mit Lebendspenden durchgeführt. Dabei wird einem gesunden Spender ein Teil seiner Leber entnommen und einem Empfänger transplantiert. Der Spender kann mit der verkleinerten Leber weiterleben, sie wächst sogar wieder nach. In Deutschland sind etwa 6 von 100 transplantierten Lebern Lebendspenden.

Je nachdem, welche Ergebnisse laufende und künftige Studien ergeben, könnten Organtransplantationen – speziell Lebertransplantationen – in Zukunft also noch bei weiteren Krebserkrankungen zu Therapieoptionen werden. Transplantationen werden jedoch nur für einzelne, fitte Patienten in Frage kommen, deren Erkrankungen sich nicht oder nur begrenzt ausgebreitet haben. Und: Sie werden mit anderen Menschen um knappe Organspenden konkurrieren.

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