Krebs verstehen: Viren als Verbündete gegen Krebs

Ständig sind wir Viren ausgesetzt – etwa Influenza-, Corona- oder Herpesviren. Auch schwere Erkrankungen wie Aids oder Tropenkrankheiten wie Ebola werden durch Viren verursacht. In meinem klinischen Alltag behandle ich Krebspatienten, deren Immunsystem durch die Erkrankungen und Therapien häufig geschwächt ist. Virusinfektionen können bei ihnen schwerer verlaufen als bei Gesunden. Deshalb sollen meine Patienten Kontakt zu Viren möglichst vermeiden. Andererseits werden in der Onkologie Viren gezielt in der Krebstherapie eingesetzt. Wie passt das zusammen?
Viren als Waffe gegen Krebs
Die Idee, Viren zur Krebsbekämpfung zu nutzen, entstand durch Berichte von Patienten, deren Krebserkrankung nach einer Virusinfektion zurückgegangen war. Könnte also eine Erkältung Tumoren bekämpfen? Leider funktioniert es nicht so einfach.
Bevor »onkolytische« – also Krebs zerstörende – Viren als Waffe gegen Krebs eingesetzt werden können, müssen sie erst im Labor entsprechend verändert werden. Sie sollen entartete Zellen möglichst präzise und effektiv zerstören, dabei aber gesundes Gewebe verschonen. Das geschieht etwa dann, wenn sie spezifisch an Merkmale auf der Oberfläche von Krebszellen andocken und nur diese infizieren.
Viren bestehen aus Erbgut und einer Proteinhülle; manche haben zusätzlich eine Lipidhülle. Sie schleusen ihre Gene in Zellen ein, die daraufhin anhand dieses Bauplans neue Virusteile herstellen. Dabei stirbt die Wirtszelle häufig ab. Werden Krebszellen bei einer Virusinfektion zerstört, setzen sie nicht nur weitere Virenpartikel, sondern auch eigene Bestandteile in die Umgebung frei. Das alarmiert Immunzellen, die nun im gesamten Körper nach solchen Merkmalen suchen und weitere Krebszellen angreifen. Gleichzeitig vermehren sich die Viren weiter und infizieren neue Krebszellen. So entsteht eine Kettenreaktion.
Viren lassen sich auch so verändern, dass sie Baupläne für nützliche Hilfsstoffe in Zellen einschleusen. Die einzige in Deutschland zugelassene Virustherapie nutzt ein abgeschwächtes, genetisch modifiziertes Herpesvirus. Vermehrt es sich in Krebszellen, stellt es zusätzlich einen Lockstoff für Immunzellen her. So wird die Immunreaktion gegen den Krebs verstärkt. Die Therapie wird bei Hautmetastasen eingesetzt, die durch schwarzen Hautkrebs entstehen und sich nicht durch eine Operation entfernen lassen. Das therapeutische Virus wird direkt in die betroffenen Areale gespritzt.
Selbstversuch mit Viren aus eigenem Labor
Ein weiterer Ansatz in der Forschung nutzt Viren als trojanische Pferde. Sie schleusen dann spezielles Erbgut in Tumorzellen ein, das in diesen ein Selbstmordprogramm auslöst.
Von dieser Idee war beispielsweise die kroatische Virologin Beata Halassy fasziniert. Als ihr Brustkrebs zurückkehrte und sich als inoperabel erwies, lehnte sie eine Chemotherapie ab. Stattdessen ließ sie sich zwei Monate lang von einem Kollegen solche Viren in den Tumor spritzen, die sie in ihrem Labor gezüchtet hatte. Die Geschwulst schrumpfte schließlich so weit, dass sie operativ entfernt werden konnte. Derartige Selbstversuche sind jedoch riskant, weshalb Experten davon dringend abraten. Die Viren hätten auch schaden können. Halassys Vorgehen wurde in der wissenschaftlichen Community entsprechend kontrovers diskutiert.
»Ich rechne fest damit, dass ich in meiner Laufbahn noch Viren gegen Krebs einsetzen werde«
Zukunft der Virustherapie
Um besser zu verstehen, welche Viren sich am besten für welche Tumorerkrankungen eignen, werden weltweit Laborexperimente durchgeführt. Sie sollten für Menschen möglichst ungefährlich sein und gar keine oder nur leichte Krankheitssymptome hervorrufen. Hier bieten sich beispielsweise Herpes- oder Adenoviren an. Auch andere Eigenschaften sind relevant: etwa wie leicht man ins Virenerbgut Baupläne für Proteine einschleusen kann, die die Zerstörung der Krebszellen ankurbeln. In zahlreichen klinischen Studien werden onkolytische Viren an Krebspatienten untersucht, häufig in Kombination mit anderen Krebstherapien wie Immuntherapien.
Das in Deutschland zugelassene Virus gegen Hautkrebs habe ich bislang nicht verabreicht; meine Abteilung ist auf andere Krebsarten spezialisiert. Doch ich rechne fest damit, dass ich in meiner Laufbahn noch Viren gegen Krebs einsetzen werde. Hoffentlich wird es gelingen, viele Therapien für unterschiedliche Krebserkrankungen zu entwickeln, bei der Viren spezifisch den Tumor befallen und gesunde Zellen schonen – mit deutlich geringeren Nebenwirkungen als etwa eine Chemotherapie. Besonders viel versprechend erscheint mir der Ansatz, Viren mit Therapien zu kombinieren, die das Immunsystem gezielt aktivieren.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.