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Hirschhausens Hirnschmalz: Kühlschrank in der Hosentasche

Die Digitalisierung gilt als Verheißung – trägt aber viel zur Verheizung und Aufheizung der Erde bei.
Dr. Eckart von Hirschhausen

Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Sichtbare, unsichtbare, freiwillige auf dem Rücken oder unfreiwillige am Bauch. Vor Jahren machte der Comedian Tony Hawks Furore, der wegen einer im Rausch ersonnenen und verlorenen Wette Irland mit einem Kühlschrank umrunden musste. Ohne Verlängerungskabel. Das war lange vor der Digitalisierung. Heute hat jeder ein Smartphone und trägt damit einen virtuellen Kühlschrank mit sich herum. Denn obwohl das Ding selbst überschaubar viel Strom braucht, stößt jede Message oder Suchanfrage über drei Ecken einen unsichtbaren, aber realen Server an, der sich darüber den Arbeitsspeicher heiß rechnet. Und wenn viele Filmchen dazukommen, reicht der Stromverbrauch in Summe fast an den größten Energiefresser im Haushalt heran: den Kühlschrank. Was wir an Strom ins Handy stecken, ist nur ein Zwanzigstel des Verbrauchs, den das Gerät andernorts auslöst. Ganz zu schweigen vom Ressourcen- und Energiebedarf der Herstellung.

Digital first, Bedenken second? Die Digitalisierung gilt als Verheißung – trägt aber viel zur Verheizung und Aufheizung der Erde bei. »Denken ist wie googeln, nur krasser«, teilte mir neulich jemand auf Instagram mit. Schon wieder Datenstromklau, und als ich das teilte, noch mehr. Weil jetzt alle »Bewegtbild« wollen, während sie selbst in Bus oder Bahn bewegt werden, gehen Experten davon aus, dass das Streamen von Videos die Datenmenge im Netz weiter explodieren lässt: alle zwei bis drei Jahre eine Verdoppelung. Wer von »virtueller Welt« redet, vergisst leicht, dass dahinter ein gewaltiges System aus Rechenzentren, Datenleitungen und Knotenpunkten steht, mit einem unstillbaren Energiehunger. Wäre das Internet ein Land, hätte es laut Greenpeace den sechstgrößten Stromverbrauch auf dem Planeten. Und in Frankfurt am Main schlucken Rechenzentren bereits mehr Strom als der Flughafen.

So richtig wachgerüttelt hat mich ein Artikel in »Nature«, der mit den Bitcoins abrechnet. Weil diese Technologie auf ständige, weit verteilte Rechenleistung setzt, reicht allein ihr Stromverbrauch, um in den nächsten 30 Jahren das angepeilte 1,5-Grad-Ziel zu reißen und das Klima auf zwei Grad über dem vorindustriellen Level aufzuheizen. Mit allen Folgen für Mensch und Koralle.

Geht es anders? In Schleswig-Holstein entstehen gerade Server-Windparks, in Norwegen nutzt man Wasserkraft. Das Reparieren und Recyceln von Smartphones nimmt auch langsam Fahrt auf. Aber der beste Tipp stammt von meinem Jugendidol, Löwenzahn-Kollege Peter Lustig, und er gilt für Fernseher, Kraftwerke sowie, ganz smart, für einen selbst: »Schalt mal ab!«

  • Quellen

Dittmar, L., Praktiknjo, A.: Could Bitcoin emissions push global warming above 2 °C? Nature Climate Change 9, 2019

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