Freistetters Formelwelt: Symmetrien in 57 Dimensionen
Jedes Jahr im Oktober macht die Wissenschaft verlässlich Schlagzeilen, nämlich dann, wenn die Nobelpreise verliehen werden. Um Mathematik geht es dabei eher selten, denn für diese Disziplin hat der Stifter, Alfred Nobel, keinen Preis vorgesehen. Wer herausragende mathematische Forschung betreibt, kann dagegen auf die Fields-Medaille hoffen. Der Nobelpreis ist zwar höher dotiert, dennoch ist die Fields-Medaille exklusiver. Nicht nur, dass sie lediglich an Forscherinnen und Forscher verliehen wird, die jünger als 40 Jahre alt sind – sie wird bloß alle vier Jahre im Rahmen des Internationalen Mathematikerkongresses vergeben.
Der sollte 2022 in St. Petersburg stattfinden, wurde dann aber durch eine virtuelle Veranstaltung ersetzt. Auf jeden Fall wurden die Preise verliehen, unter anderem für eine Arbeit mit dieser Formel:
Sie beschreibt ein »E8-Gitter«, also vereinfacht gesagt eine Menge von Punkten im Raum, die man als Koordinaten eines Gitternetzes verstehen kann. In diesem Fall handelt es sich um einen abstrakten achtdimensionalen Raum und die Koordinaten müssen entweder ganz- oder halbzahlig sein. Jeder Punkt wird durch acht solcher Zahlen beschrieben. Summiert man sie, muss das Ergebnis gerade sein. Genau das beschreibt die obige Formel. Wenn man wissen möchte, wozu man so eine komische Punktemenge in einem achtdimensionalen Raum braucht, wird es allerdings kompliziert.
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Das E8-Gitter stammt aus dem Bereich der Lie-Gruppe E8. Mit Lie-Gruppen (benannt nach dem norwegischen Mathematiker Sophus Lie) beschreibt man kontinuierliche Symmetrien. So eine Gruppe enthält also all die Operationen, die man mit einem bestimmten Objekt anstellen kann, ohne dass es dabei sein Aussehen verändert. Es gibt zum Beispiel eine Lie-Gruppe, mit der man alle Drehungen im dreidimensionalen Raum beschreiben kann, nach denen das gedrehte Objekt (etwa eine Kugel) wieder den gleichen Anblick bietet wie zuvor. Bei der E8-Gruppe geht es um alle Operationen, die man mit einem 57-dimensionalen Objekt durchführen kann, ohne seine Form zu verändern.
Was ist die dichteste Kugelpackung?
Das klingt sehr abstrakt – und das ist es auch. Die Arbeit von Maryna Viazovska, der ukrainischen Mathematikerin, die 2022 zusammen mit June Huh, James Maynard und Hugo Duminil-Copin die Fields-Medaille gewonnen hat, lässt sich aber tatsächlich vergleichsweise verständlich beschreiben. Sie handelt vom Problem der dichtesten Kugelpackung, also der Frage, wie man Kugeln so anordnen kann, dass sie einen vorgegebenen Raum möglichst effizient ausfüllen. Im dreidimensionalen Fall kann man das leicht an einem Alltagsbeispiel verstehen: Wie muss man Orangen stapeln, damit das vorhandene Volumen möglichst gut genutzt wird? Dass die in den Obstabteilungen präsentierte Anordnung auch wirklich die bestmögliche ist, hat Johannes Kepler bereits im 17. Jahrhundert vermutet. Der mathematische Beweis dafür konnte aber erst gut 400 Jahre später geführt werden.
Man kann die Fragestellung aber auch auf mehr als drei Dimensionen erweitern. Wie packt man vierdimensionale Kugeln möglichst dicht? Oder fünfdimensionale Kugeln? Das kann man sich zwar nicht mehr anschaulich vorstellen, aber mathematisch problemlos formulieren. Nicht ganz so einfach ist es, die Antwort darauf zu finden. Genau dafür wurde Maryna Viazovska ausgezeichnet: Ihr ist es gelungen, die Frage für den 8- und 24-dimensionalen Raum zu beantworten. Im ersten Fall ist es das E8-Gitter, das die gesuchte Anordnung liefert (im zweiten Fall ein ähnliches Gitter in 24 Dimensionen).
Viazovska ist eine verdiente Trägerin der Fields-Medaille. Allerdings ist sie erst die zweite Frau, die ihn bekommen hat. Dass in der Vergangenheit so viele relevante Beiträge anderer Frauen übergangen wurden, sollte der Jury zu denken geben.
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