Kolumnen: Least frequently cited
Unter Wissenschaftern ist es ein beliebter Sport, nicht nur die Anzahl eigener Publikationen zu zählen, sondern auch darauf zu achten, wie oft jene Arbeiten von den Kollegen zitiert werden. Denn schreiben kann man viel, davon publizieren etliches, darunter aber doch auch so manchen Mist. Die Güte einer Publikation erweist sich (auch) in der Anzahl ihrer Zitationen. Es gibt "Papers", die bringen es auf Tausende und Zehntausende von Zitaten. Und in die "hall of fame" der "most frequently cited authors" aufgenommen zu werden – das ist ein Ritterschlag, Vorahnung noblen Ruhmes, der als Nächstes kommen mag.
Getreu dem Motto dieser Kolumne, dass nur das Abwegigste gerade interessant genug ist, sollten wir mal einen Blick auf das andere Ende der Skala werfen. "Least frequently cited". Wie macht man das, wie kriegt man es hin, dass sich kaum eine Sau für das interessiert, was man glaubt, mitteilen zu müssen?
Nun, schau’n wir mal hier: "Secondary olfactory connections in the Pacific hagfish (Eptatretus stouti)" von H. Nanus und R. G. Boreosector, erschienen im "Journal of Comparative Neurology", Anno Domini 1993, Band 337, Seiten 529-542.
Schlanke 4 Zitate hat das Paper eingeheimst, in Worten: vier. Davon pikanterweise eines aus einer späteren Publikation der beiden Autoren selbst. Dafür werden sie ihr eigenes Paper ja nicht noch mal gelesen haben. Also drei Zitate. Nicht schlecht. Nach noch seltener zitierten Publikationen muss man lange suchen. Nehmen wir also die. Sie ist im "Journal of Comparative Neurology" erschienen – das ist sicher irgendwas mit Hirn und Nerven, das werden wir schon verstehen.
Nun, hier haben wir aber auch alles beieinander, was das Interesse abschreckt und – sollte es aus beruflichen Gründen bei dem einen oder anderen Spezialisten doch keimen – auch gleich wieder zum Absterben bringt. Ein Titel, der von Fremdworten und Unverständlichkeiten strotzt. Ich übersetz’ das mal: "Nachgeschaltete Riechbahnen im Pazifischen Vettelfisch (Stouts Siebenlöchling)". Macht’s das irgendwie klarer? Nein. Was, um alles in der Welt, ist ein "Vettelfisch"? Und wie kommt irgendwer dazu, sich dafür zu interessieren? Nun, tun wir den Autoren die Liebe und blättern wir mal in das Paper hinein, wir müssen’s ja nicht gleich lesen.
Oder müssen wir das doch? Erstmal begrüßen uns drei Seiten trostloser, kleingesetzter Textwüsten, und der Versuch, irgendwo mal "hineinzulesen" wird sofort mit Sätzen wie
"The connections of the olfactory bulb were determined by using either horseradish peroxidase (HRP) or the fluorescent compound 1,1'-dioctadecyl-3,3,3',3-tetramethylindocarbocyanine perchlorate (DiI) as a tracer"
abgestraft. Heiterkeit stellt sich bestenfalls beim Studium der Abkürzungsliste ein, da finden sich ein "trols", ein "trolp", ein "trov" und ein "trom", aber wer jetzt tolkiensche Welten voller Trolle und Elfen erwartet, wird bitter enttäuscht: Es geht um olfaktorische Trakte, Bahnen des Riechens im Gehirn.
Weiter. Die Textwüste endet abrupt, jetzt gibt es vier Seiten Bilderdickicht. Vielleicht würde man verstehen, was da abgebildet ist, wenn man die "Results" läse, deren erster Satz aber folgendermaßen lautet:
"The results obtained with HRP and those obtained with DiI were consistent but not identical."
Oha, sagt man sich. Die eiern ja schon im ersten Satz. Offenbar kam mit "HRP" (horse-radish-irgendwas ...) etwas anderes heraus als mit "DiI" (1,1'-dioctadecyl-3,3,3',3-tetramethyl ...), was die Autoren mit dem Wörtchen "consistent" bemänteln wollen. Ja – irgendwie zusammenhängen wird’s schon, aber man will ja keine nebulösen "Konsistenzen", man will Fakten. Liest man so was? Nein. Also weiter, raus aus den Resultaten und rein in die "Discussion", vielleicht wird hier klar, worum es eigentlich geht. Der erste Satz:
"As noted above, it was our goal to compare the relative extent of secondary olfactory projections to the telencephalon in myxinoids with that in lampreys and gnathostomes …"
ist schon mal nicht schlecht. Die wollten also herausfinden, wie ausgedehnt, wie mächtig bei verschiedenen Tieren jene Teile des Endhirns sind, die dem Riechen dienen. Wozu man das wissen muss, wird erstmal nicht verraten, aber dafür ist’s ja Grundlagenforschung. Also liest man hoffnungsfroh weiter:
"Obviously, how one defines the telencephalon is critical to such a comparison … We will therefore review some of the problems related to defining the telencephalon and some of its components in hagfishes before comparing the telencephalic secondary olfactory afferents."
Echternacher Springprozession. Ein Problem genannt, aber gleich ein anderes davorgeschoben. "Telencephalon in hagfishes" muss definiert werden – ja an was, zum Geier, haben die denn gearbeitet, wenn nicht am Telencephalon dieses dusseligen Fisches. Hatten die denn keinen Begriff, keine Vorstellung von der Sache, bevor sie drauflosforschten? Und jetzt kommen seitenweise "ifs" und "ands" und "howevers" und "buts"; "althoughs" und "furthermores" und historische Reminiszenzen, bis zuletzt alle Klarheiten beseitigt sind. So dass – tatäää – die Autoren völlig überraschend, mitten in der Buchstabendürre der Diskussion, ihre eigene Interpretation dessen, was "Telencephalon" sei, aus der Tasche zaubern können. Und zwar in Form eines haribobunten Bildchens, das die Vermutung nahelegt, dass der Genuss von zu vielen Gummibärchen irgendwie bewusstseinsverändernde Wirkungen hat.
Sonst hätten sie die auch noch vollgeschrieben (1).
Helmut Wicht ist promovierter Biologe und Privatdozent für Anatomie an der Dr. Senckenbergischen Anatomie der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main.
(1) Das hier
www3.interscience.wiley.com/cgi-bin/abstract/109693162/ABSTRACT
ist der Link auf den Originaltext des Papers. Und falls Ihnen jetzt auffallen sollte, dass der Erstautor nicht "H. Nanus" heißt, kann ich Ihnen nur raten, das lateinische Wort "Nanus" ins Deutsche zu übersetzen.
Ich würd’ es übrigens jederzeit wieder so schreiben – es ist über weite Strecken der Diskussion eine anatomische Träumerei, die zu Bildern gerann. Die Träumerei hat aber Hand und Fuß, sie bezieht sich auf Daten und Veröffentlichungen. Der Stil, in dem man so etwas schreiben muss, ist halt leider zementiert: trocken, nüchtern, bloß keine blumige Metaphorik, die muss in die Bilder selbst verlagert werden. Und, ach so: Es ist auch was dabei herausgekommen. Die Daten legen die Vermutung nahe (immer schön vorsichtig), dass das Endhirn ursprünglich wirklich vom Riechsystem dominiert wurde.
Und ich bin auch gar nicht böse oder traurig drum, dass es so selten zitiert wird. Auch dieser Text, den ich meinem eigenen Jugendwerk und den herrlichen Zeiten, die ich am Pazifik verbrachte, widme, zählt ja nicht als "Zitat". Eigentlich, und damit möchte ich die Träumerei dieser Fußnote beenden, ist es ja sogar eine tolle Sache, NICHT zitiert zu werden. Denn wenn die Welt, wie uns der Determinismus lehrt, tatsächlich ein ununterbrochener Kausalzusammenhang ist, in dem nichts aus Freiheit, sondern alles aus Notwendigkeit geschieht, dann hat es zwar Gründe gegeben, dieses Paper zu schreiben, es ist aber folgenlos geblieben. Die Freiheit, so könnte man sagen, ist also in diesem Falle doch da: als folgenloser Abbruch einer Kausalkette – eine Vorstellung, so ungeheuerlich, so unmöglich, so frei wie die vom unverursachten Beginn aller Kausalketten.
Na ja. Das ist sicher eine Überinterpretation. Immerhin hat es ja vier Zitate. "Null" wären im Sinne dieser Interpretation angemessener. Ich werde daran arbeiten.
Getreu dem Motto dieser Kolumne, dass nur das Abwegigste gerade interessant genug ist, sollten wir mal einen Blick auf das andere Ende der Skala werfen. "Least frequently cited". Wie macht man das, wie kriegt man es hin, dass sich kaum eine Sau für das interessiert, was man glaubt, mitteilen zu müssen?
Nun, schau’n wir mal hier: "Secondary olfactory connections in the Pacific hagfish (Eptatretus stouti)" von H. Nanus und R. G. Boreosector, erschienen im "Journal of Comparative Neurology", Anno Domini 1993, Band 337, Seiten 529-542.
Schlanke 4 Zitate hat das Paper eingeheimst, in Worten: vier. Davon pikanterweise eines aus einer späteren Publikation der beiden Autoren selbst. Dafür werden sie ihr eigenes Paper ja nicht noch mal gelesen haben. Also drei Zitate. Nicht schlecht. Nach noch seltener zitierten Publikationen muss man lange suchen. Nehmen wir also die. Sie ist im "Journal of Comparative Neurology" erschienen – das ist sicher irgendwas mit Hirn und Nerven, das werden wir schon verstehen.
Nun, hier haben wir aber auch alles beieinander, was das Interesse abschreckt und – sollte es aus beruflichen Gründen bei dem einen oder anderen Spezialisten doch keimen – auch gleich wieder zum Absterben bringt. Ein Titel, der von Fremdworten und Unverständlichkeiten strotzt. Ich übersetz’ das mal: "Nachgeschaltete Riechbahnen im Pazifischen Vettelfisch (Stouts Siebenlöchling)". Macht’s das irgendwie klarer? Nein. Was, um alles in der Welt, ist ein "Vettelfisch"? Und wie kommt irgendwer dazu, sich dafür zu interessieren? Nun, tun wir den Autoren die Liebe und blättern wir mal in das Paper hinein, wir müssen’s ja nicht gleich lesen.
Oder müssen wir das doch? Erstmal begrüßen uns drei Seiten trostloser, kleingesetzter Textwüsten, und der Versuch, irgendwo mal "hineinzulesen" wird sofort mit Sätzen wie
"The connections of the olfactory bulb were determined by using either horseradish peroxidase (HRP) or the fluorescent compound 1,1'-dioctadecyl-3,3,3',3-tetramethylindocarbocyanine perchlorate (DiI) as a tracer"
abgestraft. Heiterkeit stellt sich bestenfalls beim Studium der Abkürzungsliste ein, da finden sich ein "trols", ein "trolp", ein "trov" und ein "trom", aber wer jetzt tolkiensche Welten voller Trolle und Elfen erwartet, wird bitter enttäuscht: Es geht um olfaktorische Trakte, Bahnen des Riechens im Gehirn.
Ein Bild, auf der vierten Seite ist ein Bild! Es erinnert fatal an eine keimende Kartoffelknolle, die zudem von irgendeiner Art von wuchernder Beulenpest befallen ist. Die Legende behauptet, das sei das Hirn des Fisches. Auweia, denkt man, hoffentlich hatte der Zeichner da nicht einen im Tee. Aber immerhin: Das Paper ist ja "gereviewt", da müssen also noch ein paar andere Verrückte als Gutachter draufgeschaut haben. Völliger Stuss kann es also nicht sein, schlimmstenfalls der Mittelwert des Blödsinnes, den zwei Autoren und zwei Gutachter, die sich für ähnliche Abwegigkeiten interessieren, gemeinsam zu produzieren vermögen.
Weiter. Die Textwüste endet abrupt, jetzt gibt es vier Seiten Bilderdickicht. Vielleicht würde man verstehen, was da abgebildet ist, wenn man die "Results" läse, deren erster Satz aber folgendermaßen lautet:
"The results obtained with HRP and those obtained with DiI were consistent but not identical."
Oha, sagt man sich. Die eiern ja schon im ersten Satz. Offenbar kam mit "HRP" (horse-radish-irgendwas ...) etwas anderes heraus als mit "DiI" (1,1'-dioctadecyl-3,3,3',3-tetramethyl ...), was die Autoren mit dem Wörtchen "consistent" bemänteln wollen. Ja – irgendwie zusammenhängen wird’s schon, aber man will ja keine nebulösen "Konsistenzen", man will Fakten. Liest man so was? Nein. Also weiter, raus aus den Resultaten und rein in die "Discussion", vielleicht wird hier klar, worum es eigentlich geht. Der erste Satz:
"As noted above, it was our goal to compare the relative extent of secondary olfactory projections to the telencephalon in myxinoids with that in lampreys and gnathostomes …"
ist schon mal nicht schlecht. Die wollten also herausfinden, wie ausgedehnt, wie mächtig bei verschiedenen Tieren jene Teile des Endhirns sind, die dem Riechen dienen. Wozu man das wissen muss, wird erstmal nicht verraten, aber dafür ist’s ja Grundlagenforschung. Also liest man hoffnungsfroh weiter:
"Obviously, how one defines the telencephalon is critical to such a comparison … We will therefore review some of the problems related to defining the telencephalon and some of its components in hagfishes before comparing the telencephalic secondary olfactory afferents."
Echternacher Springprozession. Ein Problem genannt, aber gleich ein anderes davorgeschoben. "Telencephalon in hagfishes" muss definiert werden – ja an was, zum Geier, haben die denn gearbeitet, wenn nicht am Telencephalon dieses dusseligen Fisches. Hatten die denn keinen Begriff, keine Vorstellung von der Sache, bevor sie drauflosforschten? Und jetzt kommen seitenweise "ifs" und "ands" und "howevers" und "buts"; "althoughs" und "furthermores" und historische Reminiszenzen, bis zuletzt alle Klarheiten beseitigt sind. So dass – tatäää – die Autoren völlig überraschend, mitten in der Buchstabendürre der Diskussion, ihre eigene Interpretation dessen, was "Telencephalon" sei, aus der Tasche zaubern können. Und zwar in Form eines haribobunten Bildchens, das die Vermutung nahelegt, dass der Genuss von zu vielen Gummibärchen irgendwie bewusstseinsverändernde Wirkungen hat.
Es kommen dann noch mal vier Seiten Klein- und Kleinstgedrucktes, das zu lesen sicher dem Vergnügen bereitet, der auch die Vertragsbedingungen seiner Lebensversicherung und seines Bausparvertrages mit Wonne studiert. Kein Wunder, dass keiner dieses Ding zitiert. Die Autoren ersaufen in den Fluten ihrer eigenen Assoziationen, verlaufen sich in den Labyrinthen des eigenen Wissens, ertränken den Leser in Sintfluten von Marginalien und Caveats. Was für ein Glück, so denkt man sich, dass das "Journal of Comparative Neurology" keine Fußnoten zulässt.
Sonst hätten sie die auch noch vollgeschrieben (1).
Helmut Wicht ist promovierter Biologe und Privatdozent für Anatomie an der Dr. Senckenbergischen Anatomie der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main.
(1) Das hier
www3.interscience.wiley.com/cgi-bin/abstract/109693162/ABSTRACT
ist der Link auf den Originaltext des Papers. Und falls Ihnen jetzt auffallen sollte, dass der Erstautor nicht "H. Nanus" heißt, kann ich Ihnen nur raten, das lateinische Wort "Nanus" ins Deutsche zu übersetzen.
Ich würd’ es übrigens jederzeit wieder so schreiben – es ist über weite Strecken der Diskussion eine anatomische Träumerei, die zu Bildern gerann. Die Träumerei hat aber Hand und Fuß, sie bezieht sich auf Daten und Veröffentlichungen. Der Stil, in dem man so etwas schreiben muss, ist halt leider zementiert: trocken, nüchtern, bloß keine blumige Metaphorik, die muss in die Bilder selbst verlagert werden. Und, ach so: Es ist auch was dabei herausgekommen. Die Daten legen die Vermutung nahe (immer schön vorsichtig), dass das Endhirn ursprünglich wirklich vom Riechsystem dominiert wurde.
Und ich bin auch gar nicht böse oder traurig drum, dass es so selten zitiert wird. Auch dieser Text, den ich meinem eigenen Jugendwerk und den herrlichen Zeiten, die ich am Pazifik verbrachte, widme, zählt ja nicht als "Zitat". Eigentlich, und damit möchte ich die Träumerei dieser Fußnote beenden, ist es ja sogar eine tolle Sache, NICHT zitiert zu werden. Denn wenn die Welt, wie uns der Determinismus lehrt, tatsächlich ein ununterbrochener Kausalzusammenhang ist, in dem nichts aus Freiheit, sondern alles aus Notwendigkeit geschieht, dann hat es zwar Gründe gegeben, dieses Paper zu schreiben, es ist aber folgenlos geblieben. Die Freiheit, so könnte man sagen, ist also in diesem Falle doch da: als folgenloser Abbruch einer Kausalkette – eine Vorstellung, so ungeheuerlich, so unmöglich, so frei wie die vom unverursachten Beginn aller Kausalketten.
Na ja. Das ist sicher eine Überinterpretation. Immerhin hat es ja vier Zitate. "Null" wären im Sinne dieser Interpretation angemessener. Ich werde daran arbeiten.
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