Angemerkt!: Leben mit der Wahrscheinlichkeit
Der Nationale Ethikrat will prädiktive Tests nur unter sehr starken Einschränkungen zulassen. Die Grünen sind dennoch empört. Warum die ganze Aufregung? Weil die Einführung von regelmäßigen prädiktiven Tests unsere Art, mit der Zukunft umzugehen, gehörig durcheinanderwirbelt.
Zahlreiche medizinische Untersuchungen erlauben inzwischen einen Blick in die Zukunft von Patienten. Denn mit so genannten prädiktiven Tests, zu denen auch Gentests gehören, lässt sich die Wahrscheinlichkeit abschätzen, mit der ein Mensch in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren körperliche Leiden wie Krebs, Diabetes oder erbliche Muskelerkrankungen entwickelt. Ein gefundenes Fressen für Arbeitgeber, befürchten Kritiker: Sie könnten bei Einstellungsuntersuchungen Menschen mit höherem Gesundheitsrisiko aussortieren. Diskriminierung und soziale Ausgrenzung wären die Folge.
Der Nationale Ethikrat, der seit 2001 die Bundesregierung berät, hat nun in einer Stellungnahme vorgeschlagen, prädiktive Tests nur unter strengen gesetzlichen Auflagen zuzulassen, sodass die Arbeitgeber nur sehr begrenzt Informationen über die zukünftige Gesundheit ihrer Bewerber erhalten.
Eine pragmatische Lösung. Die Experten suchten einen Kompromiss, der beiden Postionen gerecht wird: Arbeitgeber sollen gesundheitlich nicht geeignete Bewerber ablehnen können und Arbeitssuchende davor geschützt werden, intime gesundheitliche Daten preisgeben zu müssen. Die gesetzlichen Regelungen, die der Ethikrat vorschlägt, sind präzise und strikt. Werden sie entsprechend umgesetzt, sind Arbeitssuchende durchaus vor Stigmatisierung und Diskriminierung geschützt.
Doch wer schützt sie vor ungewolltem Wissen? Werden prädiktive Tests, insbesondere Gentests, bei Einstellungsuntersuchungen zugelassen, ensteht zwangsläufig ein Wissen über die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Bewerber zukünftig erkranken könnte. Dieses Wissen gelangt nicht zum Arbeitgeber, wohl aber sieht sich der Arbeitssuchende vor die Wahl gestellt: Gewissheit oder nicht?
Nun gilt Wissen in unserer Gesellschaft als ultimatives Gut. Wissen schafft Arbeitsplätze, dient dem Fortschritt und der persönlichen Entwicklung – kurzum: Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass Wissen erstrebenswert ist. Das ist jedoch ein Trugschluss. Die Kenntnis von eventuellen gesundheitlichen Komplikationen, die noch nicht einmal mit Sicherheit, sondern nur mit irgendeiner Wahrscheinlichkeit eintreten werden, kann einen Menschen mehr belasten, als ihm nützen. Die Zeit zwischen dem Heute und der möglichen Krankheit von Morgen verkommt zu einer Warteschleife. Das vermeintliche Wissen wandelt sich in bange Ungewissheit. Nicht jeder kommt damit klar.
Ethiker fordern daher neben dem Recht auf Information auch ein Recht auf Nicht-Wissen. Beides muss vom Staat gewährleistet werden.
Die Entscheidung, ob man das Ergebnis prädiktiver Untersuchungen kennen möchte, ist privat. Und ein großer Schritt, der wohlüberlegt sein sollte: Die Neue Zürcher Zeitung etwa beschreibt die Qualen einer Frau, deren Mutter an der dominanten Erbkrankheit Chorea Huntington starb, und die nicht weiß, ob sie nun einen Gentest machen soll: Dass sie gesund sei, wolle sie zwar bestätigt sehen, das Gegenteil jedoch nicht.
Wie auch immer ein Mensch sich entscheidet, der private Rahmen dient als Schutz und Auffangbecken.
Werden jedoch prädiktive Tests regelmäßig angewendet, werden sie sogar zu gesellschaftlicher Routine, dann wird die Entscheidung aus ihrem Schutzraum herausgerissen. Mehrere Untersuchungen während eines vierzigjährigen Arbeitnehmerdaseins und den entsprechenden Arbeitsplatzwechseln wären selbstverständlich. Und bei jedem Test stünde man wieder vor einer Frage, die kaum zu beantworten ist: Wissen oder nicht? Werde ich mit einer 20-prozentigen Wahrscheinlichkeit leben können, mit fünfzig einen Herzinfarkt zu erleiden? Und soll ich Kinder in die Welt setzen, wenn es eine 15-prozentige Wahrscheinlichkeit gibt, dass ich später an Krebs erkranke, der vererbbar ist? Wissen kann eine Belastung sein. Wahrscheinlichkeitswissen erst recht.
Der Ethikrat tut Unrecht daran, die psychischen Belastungen der neuen Testmethoden zu vernachlässigen und sich auf die offensichtlichere Gefahr der Diskriminierung zu beschränken. Nähme er sie ernster, wäre klar: Prädiktive und insbesondere Gentests sollten bei Einstellungsuntersuchungen nicht vorgenommen werden – solange nicht besondere Anforderungen des Berufes wie etwa bei dem vom Ethikrat genannten Piloten einen Test notwendig machen, um Dritte zu schützen.
So bleibt es dem Einzelnen unbefangen, seine gesundheitliche Zukunft in Erfahrung zu bringen – allerdings aus eigenem Antrieb und zu selbst bestimmter Zeit.
Der Nationale Ethikrat, der seit 2001 die Bundesregierung berät, hat nun in einer Stellungnahme vorgeschlagen, prädiktive Tests nur unter strengen gesetzlichen Auflagen zuzulassen, sodass die Arbeitgeber nur sehr begrenzt Informationen über die zukünftige Gesundheit ihrer Bewerber erhalten.
Eine pragmatische Lösung. Die Experten suchten einen Kompromiss, der beiden Postionen gerecht wird: Arbeitgeber sollen gesundheitlich nicht geeignete Bewerber ablehnen können und Arbeitssuchende davor geschützt werden, intime gesundheitliche Daten preisgeben zu müssen. Die gesetzlichen Regelungen, die der Ethikrat vorschlägt, sind präzise und strikt. Werden sie entsprechend umgesetzt, sind Arbeitssuchende durchaus vor Stigmatisierung und Diskriminierung geschützt.
Doch wer schützt sie vor ungewolltem Wissen? Werden prädiktive Tests, insbesondere Gentests, bei Einstellungsuntersuchungen zugelassen, ensteht zwangsläufig ein Wissen über die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Bewerber zukünftig erkranken könnte. Dieses Wissen gelangt nicht zum Arbeitgeber, wohl aber sieht sich der Arbeitssuchende vor die Wahl gestellt: Gewissheit oder nicht?
Nun gilt Wissen in unserer Gesellschaft als ultimatives Gut. Wissen schafft Arbeitsplätze, dient dem Fortschritt und der persönlichen Entwicklung – kurzum: Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass Wissen erstrebenswert ist. Das ist jedoch ein Trugschluss. Die Kenntnis von eventuellen gesundheitlichen Komplikationen, die noch nicht einmal mit Sicherheit, sondern nur mit irgendeiner Wahrscheinlichkeit eintreten werden, kann einen Menschen mehr belasten, als ihm nützen. Die Zeit zwischen dem Heute und der möglichen Krankheit von Morgen verkommt zu einer Warteschleife. Das vermeintliche Wissen wandelt sich in bange Ungewissheit. Nicht jeder kommt damit klar.
Ethiker fordern daher neben dem Recht auf Information auch ein Recht auf Nicht-Wissen. Beides muss vom Staat gewährleistet werden.
Die Entscheidung, ob man das Ergebnis prädiktiver Untersuchungen kennen möchte, ist privat. Und ein großer Schritt, der wohlüberlegt sein sollte: Die Neue Zürcher Zeitung etwa beschreibt die Qualen einer Frau, deren Mutter an der dominanten Erbkrankheit Chorea Huntington starb, und die nicht weiß, ob sie nun einen Gentest machen soll: Dass sie gesund sei, wolle sie zwar bestätigt sehen, das Gegenteil jedoch nicht.
Wie auch immer ein Mensch sich entscheidet, der private Rahmen dient als Schutz und Auffangbecken.
Werden jedoch prädiktive Tests regelmäßig angewendet, werden sie sogar zu gesellschaftlicher Routine, dann wird die Entscheidung aus ihrem Schutzraum herausgerissen. Mehrere Untersuchungen während eines vierzigjährigen Arbeitnehmerdaseins und den entsprechenden Arbeitsplatzwechseln wären selbstverständlich. Und bei jedem Test stünde man wieder vor einer Frage, die kaum zu beantworten ist: Wissen oder nicht? Werde ich mit einer 20-prozentigen Wahrscheinlichkeit leben können, mit fünfzig einen Herzinfarkt zu erleiden? Und soll ich Kinder in die Welt setzen, wenn es eine 15-prozentige Wahrscheinlichkeit gibt, dass ich später an Krebs erkranke, der vererbbar ist? Wissen kann eine Belastung sein. Wahrscheinlichkeitswissen erst recht.
Der Ethikrat tut Unrecht daran, die psychischen Belastungen der neuen Testmethoden zu vernachlässigen und sich auf die offensichtlichere Gefahr der Diskriminierung zu beschränken. Nähme er sie ernster, wäre klar: Prädiktive und insbesondere Gentests sollten bei Einstellungsuntersuchungen nicht vorgenommen werden – solange nicht besondere Anforderungen des Berufes wie etwa bei dem vom Ethikrat genannten Piloten einen Test notwendig machen, um Dritte zu schützen.
So bleibt es dem Einzelnen unbefangen, seine gesundheitliche Zukunft in Erfahrung zu bringen – allerdings aus eigenem Antrieb und zu selbst bestimmter Zeit.
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