Warkus' Welt: Gleich und gleich
Im Februar hat es in Deutschland wieder einmal geschneit, und diesmal sogar sehr viel. Die geparkten Autos im Wohngebiet sahen unter der Schneedecke alle ziemlich ähnlich aus. Wer irgendwo hinfahren wollte, musste erst seinen Wagen ausgraben, und so schwangen reihenweise mehr oder minder genervte Mitmenschen Schaufeln und Handfeger. Auch wenn ich selbst noch kein Augenzeuge war: Es kann vorkommen, dass Leute bei solchen Gelegenheiten das falsche Auto ausgraben.
Doch woran erkenne ich, dass ich unter Umständen gerade ein fremdes Auto aus dem Schnee hervorpräpariere? Möglicherweise an der Farbe. Aber Autos sind immer weniger bunt. Fast 80 Prozent sind weiß, schwarz oder grau. Hat man Pech, ist der Wagen, den man ausgräbt, genauso farblos wie der eigene. Es könnte natürlich auch dasselbe Modell sein. Selbst wenn es nicht sonderlich wahrscheinlich ist: Es könnte passieren, dass man den Irrtum am Ende erst daran erkennt, dass der Schlüssel nicht passt.
Stellen wir uns nun eine hypothetische Situation vor, in der alle Autos innen und außen bis aufs letzte Atom gleich sind, keine Nummernschilder und keine Schlösser haben. Woran ist dann überhaupt noch zu erkennen, welches Auto welches ist? Natürlich an seiner Position auf dem Planeten Erde. Parkplätze sind oft nummeriert. Es würde reichen, den Schnee über den Nummern zu räumen, um nachzuschauen, auf welchem Platz das Auto steht – wenn man sich die Nummer gemerkt hat. (Warum man in einer Welt mit lauter exakt gleichen Autos überhaupt noch Wert darauf legen sollte, mit einem bestimmten und nicht mit irgendeinem davonzufahren, ist eine Frage, die wir hier ausklammern möchten.)
Jetzt wird es endgültig metaphysisch: Denken wir uns auch den Planeten weg und stellen uns die zwei exakt gleichen Autos in einem Universum vor, indem es außer ihnen nichts gibt, und zwar symmetrisch so angeordnet, dass man vom Fahrersitz beider Autos aus jeweils das andere zur Linken hat. Was unterscheidet die beiden noch?
Zwei Autos oder eines?
Ein berühmtes philosophisches Prinzip, das der so genannten Identität des Ununterscheidbaren (auch Leibniz’sches Prinzip genannt, nach dem Philosophen und Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz, 1646–1716), besagt, dass zwei Gegenstände genau dann identisch sind, wenn es keine Eigenschaft gibt, die dem einen von ihnen zukommt und dem anderen nicht. Das scheint hier der Fall zu sein. Die beiden Autos wären also nicht bloß gleich, sondern dasselbe. Aber könnte man die Situation in diesem hypothetischen Universum irgendwie von außen betrachten, dann sähe man zwei Autos, nicht nur eins.
Diese Art von offensichtlichem Widerspruch hat manche dazu geführt, zu unterstellen, dass die Tatsache, ein bestimmter Gegenstand zu sein und kein anderer (unabhängig von der tatsächlichen Beschaffenheit), selbst eine Eigenschaft ist – die Eigenschaft, mit sich selbst identisch zu sein. Aber ist nicht so oder so jeder Gegenstand mit sich selbst identisch? Muss er nicht irgendwie bereits identifiziert sein, damit die Eigenschaft, mit sich selbst identisch zu sein, ihn von einem anderen unterscheidet? Solche Überlegungen können zu Verwicklungen führen, die sozusagen selbstbestätigend sind: Wenn man davon ausgeht, dass die beiden Autos sich schon irgendwie unterscheiden werden, es also sinnvoll ist, das eine A und das andere B zu nennen, dann unterscheiden sie sich bereits allein dadurch, dass das Auto A als Einziges von beiden die Eigenschaft hat, dass man aus dem Fenster Auto B sehen kann (und umgekehrt).
In dem Moment, in dem ein realer Beobachter, der eine definierte Blickrichtung hat, ins Spiel kommt, lösen sich diese Gedankenexperimente auf, da alle Gegenstände durch ihre Lage zum Beobachter eindeutig identifiziert sind. Und in der Realität sind natürlich keine zwei Gegenstände so genau gleich, dass sich die Frage überhaupt stellt. Was man aus der Beschäftigung mit dem Prinzip der Identität des Ununterscheidbaren vor allem lernt, ist, dass das Konzept, dass Gegenstände in irgendeiner Form Bündel von Eigenschaften sind, wenn man es konsequent zu Ende denkt, die erstaunlichsten Schwierigkeiten hervorbringen kann.
Wenn Sie übrigens das Gerede von Symmetrie und Beobachtern an irgendetwas erinnert, dann haben Sie völlig recht: Das Ununterscheidbarkeitsprinzip ist wirklich etwas, an dem sich auch die theoretische Physik abgearbeitet hat – weil möglicherweise Elementarteilchen in bestimmten Konstellationen tatsächlich zu mehreren vorkommen können, obwohl die einzelnen Exemplare keinerlei unterschiedliche Eigenschaften aufweisen. Aber das ist nichts für eine philosophische Kolumne.
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