Lobes Digitalfabrik: Unsere digitalen Dienstboten
Wer in den Urlaub fahren will, muss erstmal seine Präferenzen sortieren. Berge oder Meer? Pauschal oder individuell? Hotel oder Ferienwohnung? Früher ging man ins Reisebüro und wälzte Kataloge, heute wühlt man sich durch eine Flut von Angeboten im Netz – und muss dabei auch noch das aktuelle Infektionsgeschehen im Blick haben. Das Reiseziel kann ja täglich zum Risikogebiet erklärt werden. Selten war der Buchungsstress so groß wie heute. Doch schon bald könnten Algorithmen die Reiseplanung übernehmen.
Abhängig von Präferenzen und Inzidenzwerten könnten virtuelle Assistenten Reiseziel und Unterkunft vorschlagen, Zug- oder Flugtickets reservieren (und gegebenenfalls wieder stornieren) und Ausflüge am Zielort organisieren. Ein Rundum-sorglos-Paket, zusammengestellt von einer KI. Die Reisenden müsste sich um nichts mehr kümmern. Algorithmen kennen unsere Vorlieben zum Teil besser als wir selbst: Sie wissen, wonach wir im Internet suchen, wo wir in der Vergangenheit waren und wann wir Urlaub in unseren Kalender eingetragen haben.
Das Gottlieb Duttweiler Institute (GDI) hat in einer Studie (»Unterwegs mit smarten Assistenten«) Szenarien zur Zukunft des Reisens entwickelt. Ein Beispiel: Olivia und Valeria leben zusammen in Hamburg und wollen jedes Jahr eine neue Stadt erkunden. Ihre miteinander verknüpften smarten Assistenten sehen im Kalender, dass beide in der zweiten Aprilwoche noch frei haben und schlägt ihnen Zürich vor, da sie beide dort noch nie waren und die Zugtickets dann gerade günstig sind. Der Algorithmus reserviert zur Ankunftszeit einen Tisch in einem Restaurant und erzählt dazu noch ein paar Anekdoten. Jeden Tag bietet der digitale Reiseassistent ein Tagesprogramm wie zum Beispiel Wanderrouten an.
Mal ehrlich: Wer träumt nicht von einem digitalen Butler auf Reisen?
Sogar für die Selbstdarstellung ist gesorgt: Nach jeder Wanderung schlägt der Algorithmus jene Bilder zum Posten auf Instagram vor, denen der Instagram-Bot die meisten Likes vorhersagt.
Alle Folgen von »Lobes Digitalfabrik« finden Sie hier.
Der Autor Christoph Bartmann schreibt in seinem Buch »Die Rückkehr der Diener«, wie die bürgerliche Gesellschaft der Gegenwart schleichend feudale Züge annimmt. Einst benötigte das durch die Industrialisierung reich gewordene Bürgertum zur Pflege seiner herrschaftlichen Anwesen allerlei Diener: Küchenmädchen, Schuhputzer, Kammerzofen, Portiers. Doch spätestens mit dem Ersten Weltkrieg begann der Auszug des Dienstpersonals aus den Herrenhäusern, hinein in Fabriken, Hotels und Schulen. Die Zahl häuslicher Arbeitskräfte nahm signifikant ab. Mit der Klickökonomie kehrt der Diener nun zurück – und zwar nicht nur in Gestalt des Lieferboten, sondern auch in Form digitaler Assistenten.
Siri und Alexa sind Mädchen für alles: Sie erstellen Einkaufslisten, lassen die Jalousien herunter oder dimmen das Licht. So wie die Diener im Bürgertum des 19. Jahrhunderts, nur moderner. Ein alexafähiges Smarthome ist ja auch ein Luxus, den sich nicht jeder leisten kann. Mit Haushaltsrobotern gibt es eine Reihe weiterer Kammerdiener, die rund um die Uhr zur Verfügung stehen: Staubsaugroboter, Mähroboter, Sexroboter. Die Maschine murrt nicht, will keine Gehaltserhöhung und kündigt nicht. Doch diese digitalen Dienstboten dienen nicht ihrer Eigentümerin oder dem Besitzer, sondern ihren Entwicklern – diese sind die eigentlichen Herren über die Daten.
Die Pagen und Kammerzofen, die in den adligen und großbürgerlichen Haushalten ihren Dienst verrichteten, bekamen zuweilen auch Privates ihrer Dienstherrschaft mit: die Launen des Marquis, seine Eitelkeiten und Essgewohnheiten. Die Kammerdiener hüllten sich jedoch in Schweigen. Hätten sie geplaudert, wären sie ihren Job los gewesen. Sie wurden für ihre Diskretion bezahlt. Das Geschäftsmodell vieler digitalen Diener ist ein anderes. Sie arbeiten gratis, damit sie nicht diskret sein müssen. Oder anders gesagt: Man bezahlt sie nicht mit Geld, sondern mit Daten. Wenn sie das Privateste in alle Welt hinausposaunen – oder jedenfalls in die Server der Firmenzentrale –, beinhaltet dies auch eine Sozialkontrolle. Alexa (und zum Teil auch die Vertragsarbeiter, die die Audiodateien transkribieren) hört live mit, wenn wir uns streiten oder Sex haben. Der Staubsaugroboter sieht mit seinen Kameras, ob wir in einer vermüllten Bude leben. Und der Fahrassistent im Auto merkt, ob wir getrunken haben oder die Hände zittern.
Klar, ein Smarthome funktioniert ja auch nur, wenn die Algorithmen aus unseren Routinen lernen. Und ein smarter Reiseassistent wäre ganz schön dumm, wenn er keinen Zugriff auf die Kalenderfunktion hätte. Doch der Preis dieses Komforts ist eine Aushöhlung des Privatlebens.
Nun werden einige einwenden: Na und? Die Datenkraken wissen doch eh schon alles über mich! Solange ich mir den Planungsstress beim Reisen ersparen kann, ist mir Überwachung egal! Doch spätestens dann, wenn Hacker die Reisedaten abgreifen und während der Abwesenheit die Wohnung leer räumen, wird auch die Egal-Fraktion aufwachen – und die Buchung wieder in die eigene Hand nehmen.
Schreiben Sie uns!
1 Beitrag anzeigen