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Lobes Digitalfabrik: Mit Ihrer Stimme stimmt was nicht

An Ihrer Stimme kann eine KI erkennen, ob Sie mit dem Coronavirus infiziert sind. Kein Wunder, dass Stimmbiometrie das nächste große Ding ist, findet unser Kolumnist Adrian Lobe.
Mann spricht in eine Smartwatch

Offenbar ist es so, dass Menschen, die asymptomatisch an Covid-19 erkrankt sind, anders klingen als Gesunde, wenn man sie bittet, in das Mikrofon ihres Smartphones oder Computers zu husten (hier auch zum Nachhören). Für menschliche Ohren ist der Unterschied nicht auszumachen, wohl aber für eine KI. Forscherinnen und Forscher des MIT haben darum eine Software mit Zehntausenden von Husten-Samples sowie gesprochenen Wörtern von gesunden und infizierten Personen trainiert. Die Maschine konnte am Ende 100 Prozent aller symptomlos Infizierten von Gesunden unterscheiden. Menschen, die an Covid-19 erkrankt waren und tatsächlich auch Symptome zeigten, konnte die Software dagegen weniger gut von Gesunden unterscheiden. Die Trefferquote lag allerdings auch hier noch bei stattlichen 98,5 Prozent.

Wie das MIT in einer Pressemeldung mitteilt, soll auf Grundlage der Ergebnisse eine App entwickelt werden, mit der sich Nutzer einem täglichen Gesundheitscheck unterziehen können.

Stimmbiometrie gilt in der Medizintechnik als das nächste große Ding. Denn in unserer Stimme sind jede Menge Informationen über die Gesundheit verschlüsselt. Und Algorithmen sind die Werkzeuge, um diesen Schatz zu heben.

Neben der Forschung am MIT laufen noch einige weitere Projekte im Bereich der automatisierten Audioanalyse. So gibt es beispielsweise die von der Bill and Melinda Gates Foundation geförderte Crowdsourcing-Kampagne »Cough Against COVID«, die auf einer Website Tonaufnahmen von Husten sammelt und damit ein KI-System trainiert. Auch die École Polytechnique Fédérale de Lausanne sowie die University of Cambridge aggregieren auf einer Website beziehungsweise in einer eigens entwickelten App Hustensamples. Klar ist: Je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto präziser werden die Modelle. Bereits im Juni hatte der Wissenschaftler Ali Imran von University of Oklahoma eine KI präsentiert, die das Husten eines Corona-Infizierten vom Husten eines an Asthma oder Bronchitis Erkrankten unterscheiden konnte.

Ziel der Forschung ist seit einigen Jahren, mit KI-Unterstützung so genannte vokale Biomarker zu identifizieren, medizinische Zeichen, ähnlich wie Blutdruck oder Puls. Schon kleinste Veränderungen in der Stimme können auf eine Erkrankung hinweisen. Alzheimerpatienten machen zum Beispiel viele Pausen zwischen Wörtern und verwenden mehr Pronomen wie »er« und »sie« statt spezifischer Namen. Manchmal sind die Veränderungen so subtil, dass sie der Mensch nicht hört – die Maschine aber schon.

»Spektrum«-Kolumnist Adrian Lobe kommentiert den digitalen Wandel. Wie gehen wir um mit fortschreitender Digitalisierung? Wie mit Bots und Meinungsmaschinen? Und welche Trends dominieren die Gesellschaft in Zukunft?
Alle Folgen von »Lobes Digitalfabrik« finden Sie hier.

Algorithmen, die in Sprachaufzeichnungen bestimmte Muster identifizieren, kommen bereits bei der Diagnose von Demenzkranken zum Einsatz. Die Entwicklung schreitet immer weiter voran. So hat IBM zusammen mit dem Pharmariesen Pfizer eine Sprach-KI entwickelt, die mit einer Genauigkeit von 71 Prozent Alzheimer vorhersagen soll. IBMs Supercomputer Watson ist dem Menschen in der Krebsdiagnose bereits überlegen.

Dass Tech-Konzerne bei der Stimmanalyse das größte Wissen haben, folgt einer inneren Logik, schließlich implementieren sie ihre Sprachassistenten in alle möglichen Systeme – von Autos bis zu Zahnbürsten. Amazon hat schon vor Jahren eine Technologie patentieren lassen, die anhand der Stimme erkennen soll, ob jemand krank ist, um gleich das passende Medikament zu ordern. Wenn Alexa hört, dass jemand hustet, bestellt sie dann vielleicht kurzerhand Erkältungstee oder rezeptfreie Lutschpastillen aus der hauseigenen Online-Apotheke.

Natürlich ist es praktisch, mit dem Smartphone einen digitalen Doktor konsultieren zu können. Einfach in das Mikro husten, das Testergebnis in ein paar Sekunden auf dem Bildschirm haben – das klingt bequem und praktisch. Doch die Stimme ist ein sensibles biometrisches Merkmal, aus der man noch zahlreiche andere Krankheitsbilder als Corona herauslesen kann.

Personalisierte Werbung per Stimmabdruck?

Die Frage ist: Wie gut werden die biometrischen Daten auf den Servern geschützt? Wie sicher sind sie? Mit wem werden sie geteilt? Mit Forschungsfirmen oder Anzeigenkunden? Wird die Information eines positiven Tests automatisch an die Corona-Warn-App weitergeleitet, so dass andere Nutzer gewarnt werden? Wer haftet bei einer Fehldiagnose? Datenschützer sehen die Gefahr, dass die »Voiceprints«, also die personenbezogenen Stimmdaten, zu anderen Zwecken als zur Diagnose von Corona genutzt werden könnten.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Um eine sichere, datenschutzkonforme App aufzubauen, die verlässlich Covid-Infektionen diagnostiziert, bräuchte es weitaus mehr Daten, als Universitäten durch Datenspendenaufrufe sammeln können. Die Datengrundlage, die dafür nötig ist, haben Tech-Konzerne wie Amazon, Apple oder Google. Bloß: Die Unternehmen haben ganz andere (nämlich kommerzielle) Interessen als staatliche Gesundheitsämter.

Tech-Konzerne drängen schon seit Längerem in den Gesundheitssektor. Facebook hat ein KI-gestütztes Frühwarnsystem entwickelt, das anhand von Posts die Suizidgefahr von Nutzern erkennt. Amazon hat ein Fitnessarmband auf den Markt gebracht, das Vitalfunktionen des Trägers misst und mittels eines Bodyscans den Körperfettanteil berechnet. Und Apple hat seine Smartwatch kontinuierlich zu einer mobilen Arztpraxis aufgerüstet: Das Gerät überwacht mit Hilfe von Sensoren den Schlaf, misst Puls, Herzfrequenz und Blutsauerstoff und warnt vor Vorhofflimmern. Eine solche engmaschige medizinische Überwachung wäre allenfalls bei einem Klinikaufenthalt möglich. Die paternalistisch anmutende Apple Watch erkennt sogar automatisch, dass man sich die Hände nicht lang genug wäscht und motiviert den Träger, 20 Sekunden lang weiterzumachen. Die Mikrofonqualität ist so gut, dass eine Corona-Husten-App problemlos darauf laufen könnte. Warum zum Arzt gehen, wenn der digitale Doc am Handgelenk ist? Wer solchen Service schätzt, darf jedoch nicht übersehen, dass man die digitale Gesundheitsvor- und -fürsorge am Ende mit seinen Daten bezahlt.

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