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Lobes Digitalfabrik: Was, wenn Facebook einmal dichtmacht?

MySpace macht es vor: Manchmal kommt das Ende schnell. Oder sind die großen Datensammler Facebook und Google gar »too big to fail«?, fragt unser Kolumnist Adrian Lobe.
Facebook down? Wie würden wir reagieren?

Erinnert sich noch jemand an MySpace? Das soziale Netzwerk war von 2006 bis 2008 die meistbesuchte Webseite in den USA. Man teilte Status, Videos, Musik, Spiele und vernetzte sich mit Freunden. Als kleines Gimmick konnte man sogar die Zahl der Profilbesuche sehen. Doch dann kam Facebook – und damit der Niedergang von MySpace. Zwar ist die Seite nach wie vor abrufbar; es gibt wohl einen harten Kern der Community. Aber das soziale Netzwerk ist praktisch tot. Begraben auf dem Internetfriedhof. Wie so viele soziale Netzwerke, die den Aufstieg von Facebook nicht überlebt haben.

Das 2002 gegründete Friendster, das 2003 ein Übernahmeangebot von Google in Höhe von 30 Millionen Dollar ausschlug, wurde 2015 verkauft und zu einem Onlinegame umgewandelt. Das soziale Netzwerk Google+, das als Konkurrenz zu Facebook aufgebaut werden sollte, wurde 2019 eingestellt. Und auch die Tage von StudiVZ, das 2007 für 85 Millionen Euro von Holtzbrinck gekauft wurde, sind gezählt – das Netzwerk wurde im Jahr 2019 abgeschaltet und auf die neue Plattform VZ.net überführt (die kleine Schwester SchuelerVZ wurde bereits 2007 vom Netz genommen). Yahoos Webhosting-Dienst Geocities, auf dem Websites nach thematischen Nachbarschaften organisiert waren (in Wien etwa trafen sich Opern- und Klassikfans), wurde 2009 geschlossen. Friendster, MySpace und Co sind die Adressen versunkener Städte im Cyberspace.

Die Wissenschaftler David Garcia, Pavlin Mavrodiev und Frank Schweitzer von der ETH Zürich haben vor einigen Jahren den Zerfall sozialer Netzwerke in einer Studie analysiert. Demnach hängt die Stabilität beziehungsweise die Widerstandskraft sozialer Netzwerke von zwei Faktoren ab: zum einen vom Kosten-Nutzen-Faktor, zum anderen vom Grad der Vernetzung. Wenn mehrere Nutzer eines Knotens das Netzwerk verlassen und ein ganzes Subnetzwerk zusammenbricht, kann das eine Abwanderungskaskade in Gang setzen. Im Fall von Friendster war es ein Redesign, das eine Austrittswelle verursachte und dem sozialen Netzwerk das Genick brach.

»Spektrum«-Kolumnist Adrian Lobe kommentiert den digitalen Wandel. Wie gehen wir um mit fortschreitender Digitalisierung? Wie mit Bots und Meinungsmaschinen? Und welche Trends dominieren die Gesellschaft in Zukunft?
Alle Folgen von »Lobes Digitalfabrik« finden Sie hier.

Wer weiß, wie sich das Internet entwickelt hätte, wenn MySpace weitergewachsen wäre und die Facebook-Konkurrenz niedergerungen hätte. Vielleicht hätte es dann keinen Brexit und keine Wahl Trumps zum US-Präsidenten gegeben. Gewiss, das ist spekulativ, aber es lohnt sich, solche Kausalitätsbeziehungen einmal im Kopf durchzuspielen.

Die Frage ist: Könnte Facebook dasselbe Schicksal wie Friendster ereilen? Die ETH-Forscher wollen sich in ihrer Studie nicht festlegen, weil verschiedene Faktoren eine Rolle spielen und sich die einzelnen Dynamiken nur schwer vorhersagen lassen. Zwar hat Facebook in den USA zwischen 2017 und 2019 15 Millionen Nutzer verloren. Gemessen an der Nutzerbasis – Facebook hat weltweit über zwei Milliarden Mitglieder – ist das aber ein verkraftbarer Verlust.

Die alternde Facebook-Community stirbt vielleicht eines Tages aus

Es gibt noch immer jede Menge Wachstumspotenzial. Facebook arbeitet in Kooperation mit lokalen Telekommunikationsanbietern daran, die weltweit über drei Milliarden Menschen ohne Internetanschluss zu vernetzen. Die Offline-Community ist eine riesige Marktlücke. Solange Facebook in Schwellen- und Entwicklungsländern weiterwächst, kann es den Verlust von Nutzern in Industrienationen kompensieren. Hinzu kommt, dass der Konzern durch die Integration von WhatsApp und Instagram Anreize geschaffen hat, Nutzer auf seiner Plattform zu halten. Eine Gewissheit, dass es Facebook auch noch in zehn Jahren gibt, gibt es aber nicht. Die Digitalökonomie ist hochdynamisch.

Die Achillesferse ist die alternde Nutzerbasis. Jeden Tag sterben 8000 Facebook-User. 2070 könnte die Zahl der toten Nutzer die der lebenden erstmals übersteigen. Facebook wäre dann so etwas wie ein digitaler Friedhof. Und was, wenn es eines Tages ganz vom Netz gehen würde? Was würde mit den sensiblen Nutzerdaten passieren? Mit den Fotoalben, Privatnachrichten und Chronikeinträgen? Würde das alles offenliegen? Könnte man die Daten auf eine Nachfolgerplattform mitnehmen? Wie würde ein so großer Player abgewickelt? Braucht es eine Datendeponie für alte Profile?

Für den Fall, dass eine große Plattform wie Facebook oder Google untergeht, haben sich Wissenschaftler bereits Gedanken gemacht. Die Oxford-Forscher Carl Öhman und Nikita Aggarwal schreiben dazu in einem Aufsatz: »Der Niedergang einer globalen Online-Kommunikationsplattform wie Facebook könnte katastrophale soziale und ökonomische Folgen für unzählige Communitys haben, die die Plattform täglich nutzen, sowie für Nutzer, deren persönliche Daten Facebook speichert und sammelt.«

So wie Großbanken könnten auch Unternehmen wie Facebook oder Google »too big too fail« sein – sie sind in der Informationsökonomie systemrelevant. Ganze Landstriche wären vom einen auf den anderen Tag ohne Informationsportal. Wenn Facebook abgeschaltet würde, hätten die Nutzer womöglich keinen Zugriff mehr auf ihre alten Profile beziehungsweise Daten. Trotzdem würde einen der digitale Schatten weiterverfolgen. Ein Nutzer könnte in einem hypothetischen Szenario 2030 einen Instagram-Account eröffnen und mit Hilfe alter Facebook-Daten getrackt werden, auch wenn Facebook längst vom Netz gegangen ist.

Ein weiteres Problem, auf das die Forscher hinweisen: Fotos, auf denen ein Nutzer markiert wird, sind nicht portabel, können also nicht auf eine andere Plattform überführt werden. Die Wissenschaftler fordern daher einen rechtlichen und ethischen Rahmen, der das in der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) verankerte Recht auf Datenübertragbarkeit sowie das vom EuGH entwickelte Recht auf Vergessenwerden auch im Fall einer Insolvenz gewährleistet – und so verhindert, dass Daten-Broker den Bestand ausschlachten können. Zwar räumen Öhman und Aggarwal in ihrem Aufsatz ein, dass das Szenario eines Scheiterns zum derzeitigen Zeitpunkt eher gering ist. Trotzdem ist es wichtig, schon jetzt die rechtlichen und ethischen Grundlagen für eine solche Eventualität zu schaffen. Denn so schnell, wie Facebook zum globalen Player aufgestiegen ist, könnte es eines Tages auch in der Bedeutungslosigkeit versinken.

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