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Lobes Digitalfabrik: Wenn jeder die Nummer des Präsidenten hat

Mit der Rufnummer kann man Menschen leichter identifizieren als mit Vor- und Zuname. Seltsam, dass viele Politikerinnen und Politiker so sorglos damit umgehen, wundert sich unser Kolumnist Adrian Lobe.
Bundeskanzlerin Angela tippt auf ihrem Smartphone im Bundestag

»Wen rufe ich an, wenn ich Europa sprechen will?«, soll der frühere amerikanische Außenminister Henry Kissinger einst gefragt haben. Die Antwort ist heute so ungewiss wie damals, aber wenigstens kann man sich sicher sein, dass der US-Geheimdienst die passende Rufnummer parat hätte. Schon vor einigen Jahren veröffentlichte die Enthüllungsplattform Wikileaks eine NSA-Liste mit Telefonnummern deutscher Regierungsvertreter, darunter die Handynummer von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Vom früheren Außenminister Frank-Walter Steinmeier standen sogar zwei Nummern auf der Liste – eine dienstliche sowie eine für parteiinterne Zwecke. Laut dem geheimen Papier hat die NSA Merkels Handy schon seit 2002 abgehört, einer Zeit, als sie noch Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag war.

Wie der amerikanische Geheimdienst in den Besitz der Handynummern kam, ist unklar. Im Zuge der Snowden-Enthüllungen wurde lediglich bekannt, dass die NSA bis zu 200 Millionen SMS am Tag abfischt. Jedem vernünftigen Bürger sollte also klar sein, dass im Rahmen komplexer Netzwerkanalysen seine Metadaten auch beim amerikanischen Geheimdienst landen können.

Inzwischen mischen aber nicht nur die staatlichen Geheimdienste beim Ausspähen mit. Amnesty International hat in Kooperation mit einem Recherchenetzwerk von 17 Medienorganisationen einen Datensatz von 50 000 Telefonnummern ausgewertet, die möglicherweise ins Visier der Überwachungssoftware Pegasus geraten waren. Das von einem israelischen Unternehmen entwickelte Computerprogramm schleicht sich auf Smartphones ein und gewährt demjenigen, der es einsetzt, vollen Zugriff auf das Telefon. Auf der Liste potenzieller Zielpersonen befanden sich auch Kontaktdaten mehrerer Staats- und Regierungschefinnen und -chefs, darunter eine der beiden Handynummern von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Ob sein Telefon wirklich Opfer einer Pegasusattacke wurde und wer hinter einer solchen Aktion steckt, lässt sich im Nachhinein kaum oder gar nicht mehr nachvollziehen.

»Spektrum«-Kolumnist Adrian Lobe kommentiert den digitalen Wandel. Wie gehen wir um mit fortschreitender Digitalisierung? Wie mit Bots und Meinungsmaschinen? Und welche Trends dominieren die Gesellschaft in Zukunft?
Alle Folgen von »Lobes Digitalfabrik« finden Sie hier.

Trotz dieser Vielfalt an Bedrohungen gehen selbst Politikerinnen und Politiker leichtfertig mit ihren Telefondaten um. So tauschte der ehemalige US-Präsident Donald Trump Handynummern unter anderem mit dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau, dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan sowie Macron aus. Ob Trump als IM agierte oder sich einfach nur als Dealmaker inszenieren wollte, ist nicht überliefert. Fakt ist, dass es den Sicherheitsberatern im Weißen Haus bei jeder digitalen Amtshandlung des Präsidenten angst und bange wurde.

So setzte Trump zu Beginn seiner Amtszeit Tweets von einem alten Android-Handy ab, einem Samsung Galaxy S3, auf dem keine Softwareupdates mehr installiert werden konnten. Später nutzte Trump ein iPhone, dessen GPS-Tracker immerhin deaktiviert war, das aber im Gegensatz zum Gerät seines Vorgängers Barack Obama über eine Kamera und ein Mikrofon verfügte. Beides könnten Hacker anzapfen. Zwar drängten ihn seine Berater dazu, die abhörsicheren Telefonleitungen im »Situation Room« des Weißen Hauses oder im Oval Office zu nutzen, doch die Kommunikationsfreude des Präsidenten ließ sich kaum im Zaum halten.

Wenn Trump Freunde anrief und mit seinen Deals prahlte, hörte unterwegs der chinesische Geheimdienst mit. Nachdem der Immobilienmogul 2015 während des Vorwahlkampfs die Handynummer seines parteiinternen Rivalen Lindsey Graham veröffentlichte, gab das – mittlerweile geschlossene – Klatschportal »Gawker« auch Trumps Handynummer heraus. Die Handynummer des britischen Premierministers Boris Johnson war sogar 15 Jahre lang im Internet aufzufinden, nachdem sie in der Pressemeldung einer Denkfabrik auftauchte. Jeder Bürger hätte dem Politiker eine Whatsapp-Nachricht schicken können: »Hey Boris, überleg's dir doch noch mal mit dem Brexit!«

Die Telefonnummer ist zur zentralen ID in der digitalen Gesellschaft geworden. Man braucht sie in Onlineshops, in sozialen Netzwerken oder Messengerdiensten wie Whatsapp oder Signal. Gerade weil die Telefonnummer nicht mehr nur an eine Leitung in einem Gebäude gekoppelt ist, sondern mit zahlreichen anderen Diensten verknüpft wird, sagt sie zum Teil mehr über eine Person aus als deren Vor- und Zuname. Mit etwas Geschick lässt sich in Datenbanken herausfinden, wo jemand wohnt, wie die Familienmitglieder heißen, wie viel Steuern man bezahlt, wo man überall hingereist ist und ob man einen Eintrag im Strafregister hat. Mit Hilfe der Handynummer können Cyberkriminelle Passwörter zurücksetzen, Phishing-SMS versenden oder TANs für Onlineüberweisungen abgreifen, wenn der Versand per SMS erfolgt. Denn Kurznachrichten lassen sich online auch ohne Gerät empfangen.

Eine beliebte Betrugsmaschine ist das so genannte SIM-Swapping: Dabei sammeln Kriminelle öffentlich abrufbare Daten des Opfers wie Geburtsdatum und Adresse und rufen in der Hotline des Telefonanbieters an, um unter Vorspiegelung falscher Personenangaben die Rufnummer auf eine andere SIM-Karte zu portieren. Dann werden alle an das Opfer adressierte Anrufe und SMS an den Betrüger weitergeleitet. So können Onlineprofile gekapert und Bankkonten leergeräumt werden. Wenn früher eine Telefonnummer in die falschen Hände geriet, wurde man schlimmstenfalls Opfer von Telefonterror. Heute ist die ganze Identität bedroht.

Vor diesem Hintergrund ist es umso erstaunlicher, wie sorglos Politikerinnen und Politiker mit ihren Telefondaten umgehen. So diskutierten in der Audio-App Clubhouse auch Regierungschefs mit, wie etwa der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow. Wer sich in der App auf Einladung anmeldete, musste zeitweise Zugriff auf sein Adressbuch erlauben. Vor wenigen Wochen behauptete ein anonymer Nutzer in einem Darknetforum, einen Datensatz von 3,8 Milliarden Telefonnummern zu besitzen, die er bei Clubhouse-Nutzern abgefischt haben wollte. Zwar dementierte Clubhouse die Vorwürfe. Doch solche Leaks sind in der Vergangenheit immer wieder vorgekommen: So wurden vor ein paar Monaten Telefonnummern und weitere personenbezogene Daten von 533 Millionen Facebooknutzern im Internet veröffentlicht – darunter auch, welche Ironie, die Handynummer von Mark Zuckerberg. Wer selbst Nutzerdaten abgreift, braucht sich nicht zu wundern, wenn irgendwann die eigene Nummer im Netz auftaucht.

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