Mäders Moralfragen: Der wunde Punkt der Wissenschaft
Ob Wissenschaftler häufig Fehler machen, haben die Mitarbeiter von Kantar Emnid im August 2018 in rund 1000 Telefoninterviews gefragt. Die Befragten schienen sich nicht sicher zu sein. In der Umfrage im Auftrag der Initiative »Wissenschaft im Dialog« bestätigten nur 4 Prozent voll und ganz, dass Fehler in der Wissenschaft an der Tagesordnung seien, und nur 11 Prozent widersprachen deutlich. Die meisten wählten weniger klare Aussagen, und 41 Prozent sagten sogar ausdrücklich, sie seien unentschieden. Weder Alter, Einkommen, Bildung noch politische Ausrichtung änderten etwas an diesem Bild, das vor einigen Tagen im »Wissenschaftsbarometer 2018« veröffentlicht worden ist. Wie lässt sich diese Unsicherheit erklären?
Eine Möglichkeit ist, dass die Menschen hin- und hergerissen waren und sich in der Not für die Mitte entschieden haben. Vielleicht wollten sie sich auch nur kein Urteil über die fachlichen Leistungen der Forscher zutrauen. Sonst waren die Befragten um klare Meinungen zur Wissenschaft jedoch nicht verlegen. Daher spricht einiges für einen dritten Ansatz: Die Befragten waren sich nicht sicher, wie ihre Antworten interpretiert werden, denn der Frage nach der Häufigkeit von Fehlern wurden diese Sätze vorangestellt: »Ich lese Ihnen nun einige Gründe vor, warum man Wissenschaftlern misstrauen kann. Bitte sagen Sie mir für jeden Grund, inwieweit Sie persönlich diesem zustimmen.« Die Befragten konnten daher Angst gehabt haben, dass ihre Antworten als Kritik an der Wissenschaft ausgelegt werden, denn es wurde nach Fehlern gefragt, die das Vertrauen untergraben.
Korrekturen sind willkommen
Doch Fehler können das Vertrauen in die Wissenschaft auch stärken, sofern sie erkannt und ausgebessert werden. »Die Kontrolle funktioniert«, heißt es dann. Zudem ist Forschung ein langsames Herantasten an die Wahrheit. Wenn sich etwas als falsch herausstellt, kann es trotzdem ein wichtiger Schritt auf diesem Weg gewesen sein. Im »Wissenschaftsbarometer« schienen die Befragten Fehler eher in diesem Sinn zu sehen: 37 Prozent stimmten voll und ganz der Aussage zu, dass Kontroversen hilfreich sind, weil sie dazu beitragen, dass sich die richtigen Forschungsergebnisse durchsetzen, und nur 5 Prozent widersprachen dieser Behauptung klar. Und bei der Frage, ob Replikationsversuche – selbst wenn sie scheitern und das Originalexperiment in einem zweifelhaften Licht erscheinen lassen – zur Qualitätssicherung beitragen, war das Muster der Antworten ähnlich.
Im »Spektrum«-Interview hat der Psychologe Rainer Bromme einmal erklärt, dass dieser Mechanismus der Vertrauensbildung darauf beruht, dass wir Gewissheiten und Unsicherheiten in der Wissenschaft klar benennen. »Das geht aber nur, wenn wir auch bereit sind, über Wissenschaft zu sprechen: über ihre Methoden, aber auch über ihre Institutionen und ihre Probleme, ebenso über die Probleme bei der Suche nach der Wahrheit«, sagte er. Das »Wissenschaftsbarometer« zeigt, dass die Öffentlichkeit zu dieser Debatte bereit ist. Und es offenbart, dass die Menschen sogar eine klare Vorstellung davon haben, was für gute Wissenschaft nötig ist: 54 Prozent stimmten voll und ganz zu, dass Forscher viel wissen müssen, und noch mehr – nämlich 63 Prozent – stimmten voll und ganz zu, dass sich Forscher nicht von den Interessen Dritter leiten lassen dürfen.
Zweifel an der Loyalität
Dieser Wunsch wird allerdings nicht erfüllt. Eine Mehrheit nannte die starke Abhängigkeit der Forscher von ihren Geldgebern als einen Grund, der Wissenschaft zu misstrauen: 36 Prozent stimmten voll und ganz zu, weitere 31 Prozent stimmten eher zu. Auch Befragte mit Abitur und solche, die angaben, mindestens einen Forscher zu kennen, antworteten derart kritisch. Zu den Geldgebern zählten sie Unternehmen, einige hoben die Pharmaindustrie hervor.
Bemerkenswert ist, dass 40 Prozent den Staat oder die Politik als Geldgeber nannten. Ob sie auch hier einen zu großen Einfluss auf die Forschung sehen, lässt das »Wissenschaftsbarometer« jedoch offen. Gleiches gilt für die Frage, ob die Politik die Interessen der Bürger angemessen in die Forschungspolitik einfließen lässt. Es wurde nicht abgefragt, was die Öffentlichkeit von der Forschungspolitik erwartet. Im »Wissenschaftsbarometer 2016« gab es allerdings einen Hinweis zu diesem Thema: Damals antworteten 54 Prozent, dass der Einfluss der Politik auf die Wissenschaft (eher) zu gering sei. Das klingt so, als werde vor allem der Einfluss der Wirtschaft kritisch gesehen.
Der Auftrag der Bürger
Klar sind hingegen die Erwartungen der Befragten an die Wissenschaft: Eine Mehrheit stimmte voll und ganz zu, dass Wissenschaftler an das Gemeinwohl denken sollten. Doch das tun sie in den Augen der Bürger nicht. Auf die Frage, ob die Wissenschaft zum Wohl der Gesellschaft arbeite, antworteten viele skeptisch: Zwar widersprachen nur 11 Prozent, aber 46 Prozent sagten, sie seien hier unentschieden. Auch beim »Wissenschaftsbarometer 2017« hatte es keine Mehrheit gegeben, die der Wissenschaft attestiert, sich für ihre Zukunft einzusetzen. Die Bürger geben der Wissenschaft also eine nicht ganz so gute Note in einem Fach, das ihnen wichtig ist.
Das könnte einen weiteren interpretationsbedürftigen Befund aus den »Wissenschaftsbarometern« 2017 und 2018 erklären: Zwar antwortete jeweils eine knappe Mehrheit, dass sie der Wissenschaft zumindest teilweise vertraue, aber 37 beziehungsweise 39 Prozent sagten, dass sie unentschieden seien. Das könnte auch hier – wie bei der Frage nach der Häufigkeit von Fehlern – daran liegen, dass die Befragten hin- und hergerissen sind. Doch plausibler ist die Annahme, dass sie gute und schlechte Forschung sehen und daher der Wissenschaft nicht pauschal vertrauen. Und gute Forschung zeichnet sich aus ihrer Sicht durch mindestens drei Faktoren aus, die in diesem Beitrag zur Sprache kamen: durch die Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen, außerdem durch die Nichtkorrumpierbarkeit und die Orientierung am Gemeinwohl. Das ist doch eine ganz vernünftige Haltung, oder?
Die Moral von der Geschichte: Die Öffentlichkeit ist bereit, der Wissenschaft zu vertrauen. Eine Voraussetzung ist, dass sich die Wissenschaft um die Interessen der Öffentlichkeit kümmert.
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