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Mäders Moralfragen: Eine kosmopolitische Ethik

Die Genmanipulation an den Zwillingen Lulu und Nana wird in Deutschland einhellig verurteilt. Doch wer könnte ungeborene Kinder weltweit verlässlich schützen? Ein Aufruf zum Tag der Menschenrechte.
3d version of artificial insemination cell under the microscope

Das Science Media Center Deutschland trägt zu aktuellen Themen die Stimmen aus der Wissenschaft zusammen. Zur Geburt der chinesischen Zwillinge Lulu und Nana, deren Erbgut vor der künstlichen Befruchtung verändert worden sein soll, ist die Ablehnung aus Fachkreisen eindeutig: Wenn sich die Meldung bewahrheiten sollte, sei »eine rote Linie überschritten«, seien »Menschenrechte verletzt« worden. Die Forscher sprechen von einem »Affront gegenüber dem Ansinnen verantwortlicher Wissenschaft« und einem »unverantwortlichen Vorpreschen einzelner Wissenschaftler«. Nicht nur ist die Sicherheit des Verfahrens noch nicht gut untersucht und die Kinder wurden womöglich einem unnötigen Risiko ausgesetzt. Nach einem Eingriff in die Keimbahn können die Kinder zudem das manipulierte Erbgut an ihre Nachkommen weitergeben – es handelt sich also um einen Eingriff in den menschlichen Genpool, dessen Auswirkungen längst noch nicht abzuschätzen sind.

Der leitende Forscher He Jiankui sagte auf einer internationalen Fachtagung in Hongkong, er sei stolz auf seine Arbeit. Sein Arbeitgeber, die Southern University of Science and Technology in Shenzhen, zeigte sich in einer Mitteilung hingegen schockiert und kündigte eine Untersuchung an. Lars Fischer hat auf Spektrum.de den Stand der Diskussion unter Genetikern und sowohl die ethischen als auch die medizinischen Einwände zusammengefasst.

Die Debatte kommt nur mühsam in Gang

Auf Scilogs.de vermutet der Unternehmer und Autor Lars Jaeger, dass der Eingriff in die Keimbahn – eigentlich die »am wenigsten wahrscheinliche Anwendung« der Genschere CRISPR/Cas – schon in einigen Jahren nicht mehr so unwahrscheinlich sein werde. Daher seien internationale Richtlinien für diese Art der Genmanipulation nötig. Diesen Punkt möchte ich unterstreichen: Vor vier Jahren kam eine Untersuchung von 39 Ländern zum Ergebnis, dass nur in 25 von ihnen ein genetischer Eingriff in die Keimbahn durch ein Gesetz ausdrücklich verboten sei. In China gibt es immerhin Richtlinien dazu – und an die hat sich He Jiankui wohl nicht gehalten. Das Bioethikinstitut The Hastings Center warnt, dass es kein Zufall sei, dass sich der Vorfall in China ereignete: Dort könnten ethische Standards eher unterlaufen werden, weil persönlicher Ehrgeiz, Parteiinteressen und Wirtschaftswachstum zu wenig kontrolliert und eingedämmt würden.

Auf dieser Grundlage hat Rainer Kurlemann gerade auf RiffReporter.de in einem Zukunftsszenario ausgemalt, wie sich die Dinge entwickeln könnten: So, wie heute Steuerparadiese betrieben und geduldet werden, würden sich auch für Eingriffe in die Keimbahn geeignete Kliniken und kompetente Mediziner finden. Wir brauchen also dringend einen internationalen Austausch zu diesen Fragen – und am Ende der Diskussion sollte eine Art kosmopolitische Bioethik stehen.

Doch wie soll das gehen? Das Wissenschaftsmagazin »Nature« berichtete kürzlich von ersten Initiativen innerhalb der Wissenschaft, diese Frage zu besprechen. Die Debatte kommt nur mühsam in Gang, und sie wird schon bald an ihre Grenzen stoßen, denn es muss natürlich auch außerhalb der Wissenschaft diskutiert werden. Die Debatte dürfe sich auch nicht auf die technische Abwägung von Chancen und Risiken beschränken, sagte die Rechts- und Sozialwissenschaftlerin Sheila Jasanoff von der Harvard University dem Magazin »Nature«: »Sind wir wirklich bereit, ein Expertenkomitee darüber entscheiden zu lassen, ob es sich bei einem Eingriff um eine Therapie oder eine Optimierung des Menschen handelt?« Jasanoff hat mit 27 Kollegen, darunter die Bioethikerin Christiane Woopen von der Universität Köln, in der Fachzeitschrift »Trends in Biotechnology« dazu aufgerufen, ein globales »Observatorium« einzurichten, um den Austausch zur Genom-Chirurgie mit CRISPR/Cas zu erleichtern. (Aus diesem Beitrag habe ich den Begriff einer kosmopolitischen Ethik übernommen.)

Eine Bioethikkonvention gibt es schon

Die 28 Autoren des Aufrufs nennen immerhin ein Beispiel dafür, wie die internationale Diplomatie zu einem Ergebnis gelangen kann: Vor 21 Jahren kam im spanischen Oviedo die Bioethikkonvention zustande, die 1999 in Kraft trat. Sie verbietet in Artikel 13 jede Manipulation des menschlichen Erbguts, wenn diese »darauf abzielt, eine Veränderung des Genoms von Nachkommen herbeizuführen«. Doch die Bundesregierung verweigerte damals die Unterschrift und kündigte an, eine »breite öffentliche Debatte« abwarten zu wollen. Bis heute hat Deutschland nicht unterzeichnet. Den Kritikern ging und geht die Konvention nicht weit genug, sie erlaube zu viel und untergrabe die Menschenrechte. Das Deutsche Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften schreibt jedoch auf seiner Website, dass diese weitgehende Kritik von Ethikern und Juristen nicht geteilt werde.

In einer internationalen Konvention können die unterzeichnenden Staaten jedenfalls nicht nur die Prinzipien und Werte formulieren, die sie teilen und durchsetzen wollen. Sie können sich auch ein Mandat erteilen, um weitere rechtlich bindende Institutionen auszuhandeln und einzusetzen – beispielsweise ein Gremium, das die Einhaltung der Regeln überwacht und Fehlverhalten bekannt macht. Im Fall der Bioethikkonvention dürfen sich die Mitgliedsstaaten an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden, wenn sie eine rechtliche Frage zu diesem Abkommen haben. Das ließe sich ausbauen.

Die Moral von der Geschichte: »Was alle angeht, können nur alle lösen« – dieses Zitat von Friedrich Dürrenmatt gilt auch für Eingriffe in den menschlichen Genpool.

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