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Manipulation in der Forschung: Der Schwachpunkt des Wissenschaftssystems

Fälschungsvorwürfe um zwei wissenschaftliche Sensationen zeigen, wie verwundbar Wissenschaft gegenüber Manipulation ist. Denn das Problem zu ignorieren würde ebenso viel Schaden anrichten, wie es umfassend zu bekämpfen, kommentiert Lars Fischer.
Ein beschädigtes Glasgerät.
Betrug und Manipulation, begünstigt durch strukturelle Probleme in der Wissenschaft, unterlaufen das im Kern auf Redlichkeit ausgelegte System der Forschungskommunikation.

Es hätte eine Heldengeschichte sein können. Wenn, ja wenn sich die Entdeckung von Ranga Dias als wahr herausgestellt hätte. So ist es die Geschichte eines Manipulators, der eine der bedeutendsten wissenschaftlichen Fachzeitschriften blamierte, ein ganzes Forschungsfeld mit dem Anruch des Betrugs behaftete und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor eine unsichere Zukunft stellt. Vor allem aber wirft der Forschungsskandal um Dias Fragen nach dem Wissenschaftssystem selbst auf: Wie kann ein System, das immer noch von der Redlichkeit wissenschaftlicher Arbeiten ausgeht, die immer öfter auftretenden Betrugsfälle verhindern? Wer ist dafür zuständig, Fehlverhalten zu erkennen und zu unterbinden – ohne gleichzeitig kontroverse, aber legitime Forschungsergebnisse abzuwürgen?

Der Physiker Dias forschte an der University of Rochester an Hochtemperatursupraleitern – begehrten Materialien, die verlustfrei Strom leiten, und das möglichst ohne Kühlung. Die meisten konventionellen Supraleiter brauchen Temperaturen unter 77 Kelvin, fast 200 Grad Celsius unter dem Gefrierpunkt von Wasser. Ein Material, das das Gleiche bei Raumtemperatur leistet, würde die Technik für immer verändern. 2020 schien Dias genau das gefunden zu haben – in der Fachzeitschrift »Nature« veröffentlichte er einen Aufsehen erregenden Artikel, laut dem ein mit Kohlenstoff versetztes Schwefelhydrid bei Temperaturen von bis zu 15 Grad Celsius supraleitend blieb.

Dieser »Heilige Gral der Physik« machte weltweit Schlagzeilen. Doch Zweifel kamen schnell auf, ebenso der Verdacht, die entscheidenden Daten seien manipuliert worden. Zwei Jahre danach zog »Nature« den Artikel schließlich zurück. Schon wenig später allerdings, im März 2023, veröffentlichte die Fachzeitschrift einen weiteren Artikel von Dias – ebenfalls über ein Material, das diesmal sogar bis 21 Grad Celsius supraleitend sein sollte. Auch diese Meldung erwies sich als Luftnummer und letztlich als mutmaßliche Fälschung.

Was übrig bleibt, ist ein Forschungsfeld, an dem noch auf Jahre hinaus der Verdacht des Betrugs haften wird – und die Frage: Wie konnte es zu dem Debakel kommen? Die »Nature«-Nachrichtenredaktion, die unabhängig von der Redaktion der Fachzeitschrift arbeitet, hat nun eine ausführliche Chronologie veröffentlicht, wie es Dias gelang, der Fachzeitschrift gleich zwei augenscheinlich manipulierte Publikationen hintereinander unterzujubeln. Und das trotz reichlicher Verdachtsmomente.

Versagende Kontrollmechanismen

Die in dem Bericht beschriebenen Details zeichnen zuerst einmal ein Bild von unzureichenden Kontrollmechanismen. Schon Dias’ Studierende und Mitarbeitende meldeten vor beiden Veröffentlichungen ernste Bedenken an, doch der Forscher nutzte laut dem Bericht seine Machtposition, um sich durchzusetzen. Auch die Fachleute, die die Publikationen für »Nature« begutachteten, fanden Probleme und Schwächen – und warnten 2023 sogar vor den inzwischen bekannt gewordenen Manipulationsvorwürfen. Die Zeitschrift publizierte trotzdem. Im Nachhinein, mit Wissen um die ernsten Probleme mit Dias’ Arbeiten, ist die Sache klar: Mindestens die zweite Veröffentlichung hätte nicht publiziert werden dürfen.

Die ganze Geschichte hat aber eine zweite Dimension, und die wirft grundsätzliche Fragen auf, die nicht so einfach zu beantworten sind. Dass bedeutenden Resultaten Zweifel anhaften, ist in der Wissenschaft nicht ungewöhnlich, sondern eher normal. Methoden sind neu, Ideen kontrovers und technische Verfahren komplex. Gerade bei spektakulären Entdeckungen in brandheißen Forschungsfeldern haben Fachleute oft nicht mehr den Luxus, Ergebnisse gründlich und ausführlich zu prüfen – die Konkurrenz ist immer auf den Fersen. Auch Institute und Geldgeber verlangen möglichst viele Publikationen, die Währung des Forschungsbetriebs, mit der Karrieren stehen und fallen.

Und damit ist auch die Prüfung von Ergebnissen und der Verdacht auf Fehlverhalten ein zweischneidiges Schwert. Blockierte Veröffentlichungen und im Raum stehende Anschuldigungen können das Ende der Forscherkarriere bedeuten. Diese doppelte Problematik wird im Fall der Dias-Veröffentlichung deutlich. Die Gutachter warnten »Nature« vor der zweiten Publikation, Dias sei vorbelastet – doch »Nature« beruft sich darauf, Manuskripte ohne Ansehen der Person zu prüfen. Das klingt nach bodenloser Naivität, bis man sich die Situation von Dias’ Mitarbeitenden klarmacht, die nun fürchten müssen, dass der Betrug ihres früheren Chefs ihre eigenen Forschungskarrieren kostet.

Und schließlich hätte, unter veränderten Umständen, die Geschichte auch umgekehrt lauten können: ein Forscher, der eine bahnbrechende Entdeckung macht, aber durch Bedenkenträger zurückgeworfen, am Publizieren gehindert, womöglich gar um die Früchte seiner Arbeit gebracht wird. Dias selbst besteht bis heute darauf, dass seine Ergebnisse real sind. Auch solche Beispiele gibt es in der Geschichte der Wissenschaft einige. Manche gehen gut aus, wie jene der Nobelpreisträgerin Katalin Karikó, viele andere hingegen vermutlich nicht.

Betrug ist in der Wissenschaft nicht vorgesehen

Das eigentliche Problem scheint im Bericht von »Nature« allerdings nur an einigen Stellen durch: Betrug ist im Wissenschaftssystem nicht vorgesehen. Verantwortlich dafür, mutmaßliches Fehlverhalten zu prüfen und aufzudecken, bevor gefälschte Resultate zur Veröffentlichung gelangen, ist niemand so richtig. Man kann »Nature« zwar zumindest bei der zweiten Veröffentlichung von Dias vorwerfen, womöglich aus Sensationsgier klare Warnzeichen ignoriert zu haben – grundsätzlich gehen aber sowohl die begutachtenden Fachleute als auch die Zeitschriften nicht davon aus, betrogen zu werden.

Das allerdings entspricht immer weniger die Realität. Die Anreize, zu manipulieren, sind mit dem Kampf um Stellen, Fördergelder und die Veröffentlichungen immer größer geworden. Regelmäßig zum Beispiel finden Fälschungsjäger manipulierte Abbildungen in Publikationen; Dias ist nur der spektakulärste Ausdruck eines systemischen Problems. Und niemand ist so richtig in der Position, es zu lösen: Die Institutionen begutachten keine wissenschaftlichen Ergebnisse, und die Fachzeitschriften können nicht kontrollieren, wie sie zu Stande kommen.

Man könnte jetzt – auch angesichts der Rolle von »Nature« im Dias-Skandal – Fachzeitschriften auffordern, von nun an die eingereichten Beiträge systematisch auf Betrug zu prüfen. Doch die Forschung unter Generalverdacht zu stellen, kann auch keine Lösung sein. Viele Ergebnisse, zumal die besonders interessanten, hängen von umstrittenen Interpretationen, neuen Methoden und technisch sehr anspruchsvollen Messungen ab, und kontroverse Debatten werden in der Forschung auch nicht gerade mit Samthandschuhen geführt. Wollte man alle Ergebnisse in eine Warteschleife schicken, über denen Fragezeichen hängen, kämen manche Fachgebiete womöglich ganz zum Stillstand. Ganz zu schweigen von Fachdiskussionen, für die Veröffentlichungen in Fachzeitschriften ebenfalls zentral sind.

Die Geschichte vom traumhaften Supraleiter, der keiner war, wirft jedenfalls viele Fragen auf. Denn Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Ergebnissen können Entdeckungen verzögern, verhindern, Karrieren zerstören – oder auch Heldengeschichten schreiben, von hartnäckigen Forschern, die sich gegen Zweifler und Bedenkenträger durchsetzen. Doch immer häufiger sind die Zweifel berechtigt, und sie ernster zu nehmen, hätte in diesem konkreten Fall viel Schaden abgewendet. Wie findet man ein Gleichgewicht in einer Wissenschaftswelt, in der eine Publish-or-Perish-Kultur immer wieder Fachleute zu Fälschern macht, aber zu Unrecht blockierte Veröffentlichungen wichtige Diskussionen verhindern und Karrieren beenden können? Eine Lösung ist bisher nicht in Sicht.

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