Angemerkt!: Marsspiele ohne Aussage
Anachronistisch, realitätsfern und wenig aussagekräftig: Isolationsexperimente wie Mars500 bringen die bemannte Raumfahrt nicht voran – im Gegenteil.
Immerhin haben sie sich dieses Mal nicht die Köpfe eingeschlagen, und Frauen wurden auch keine belästigt – schließlich waren keine an Bord. So gesehen kann man das gerade zu Ende gegangene Mars-500-Experiment, bei dem ein halbes Dutzend Astronauten in spe 520 Tage lang in einer Raumschiffattrappe hausten, durchaus als Erfolg betrachten.
Verzichtet man allerdings auf den Vergleich mit früheren, weitaus turbulenter abgelaufenen Experimenten – bei denen schon mal Blut an den Sperrholzwänden der Moskauer Isolationskammer klebte –, fällt die Bilanz deutlich ernüchternder aus. Sicherlich, Mars500 hat viel Aufmerksamkeit und ein großes Medienecho hervorgerufen, der bemannte Flug zum Roten Planeten war auf einmal wieder in aller Munde. Wirklich interessante wissenschaftliche Erkenntnisse lieferte die Simulation dagegen kaum – nicht für Mediziner und Psychologen, und schon gar nicht für die Raumfahrt. Dabei wäre es ein Leichtes, einen Marsflug unter deutlich realistischeren Bedingungen zu simulieren. Die Verantwortlichen müssten es nur wollen.
Da ist zum einen die mangelnde Aussagekraft, unter der alle raumfahrtmedizinischen Experimente leiden, ganz gleich ob sie auf der Internationalen Raumstation oder in einer russischen Werkshalle gestartet werden: Die Versuche geben immer nur Aufschluss über einzelne, sorgfältig ausgewählte Astronauten. Es sind individuelle Ergebnisse, die nicht beliebig oft mit beliebig vielen Freiwilligen wiederholt werden können. Dafür sind Raumflüge, aber auch Isolationsexperimente, noch immer viel zu aufwändig, viel zu teuer und viel zu selten.
Signifikante Ergebnisse kommen auf diese Weise nicht zustande – auch wenn mitunter ein anderer Eindruck vermittelt wird. So wirbt die europäische Raumfahrtorganisation ESA mit der (nicht unbedingt neuen) Erkenntnis, dass weniger Kochsalz im Essen den Blutdruck senken kann. Aufgefallen war dies, nachdem Mediziner die tägliche Kochsalzration der Moskauer Probanden im Laufe eines Jahres halbiert hatten. Nur: Aus einer Stichprobengröße von maximal sechs Männern Rückschlüsse auf alle Astronauten – Männer und Frauen, Inder oder Russen, schwarz und weiß – oder gar die gesamte Menschheit zu ziehen, verbietet sich eigentlich von selbst.
Hinzu kommt, dass es längst Alltag geworden ist, Menschen viele Monate auf engem Raum und fernab der Zivilisation einzusperren. Seit den 1960er Jahren versuchen sich Russen und Amerikaner bereits an Isolationsexperimenten. Seit elf Jahren ist die Internationale Raumstation ISS durchgehend besetzt, zunächst mit drei und mit sechs Astronauten. Ein halbes Jahr bleibt jeder Besucher durchschnittlich an Bord. Berichte über Mord und Totschlag im All hat es seitdem nicht gegeben. Stellt sich da wirklich noch die Frage, ob Astronauten eine 500 Tage lange Reise zum Mars psychologisch durchhalten können?
An der Länge sollte es jedenfalls nicht liegen. 437 Tage verbrachte der Kosmonaut Waleri Poljakow Mitte der 1990er Jahre an Bord der Raumstation "Mir". Lediglich seine beiden Mitbewohner wechselten von Zeit zu Zeit, unter ihnen waren ebenso eine Frau und ein Deutscher. Durchgedreht ist Poljakow dennoch nicht. Auch die Zusammenstellung der Crews, die unter solchen Extrembedingungen leben müssen, folgt mittlerweile standardisierten psychologischen Verfahren – egal ob im Weltall oder beim Überwintern in der Antarktis, wo jedes Jahr mehrere Dutzend sorgfältig ausgewählte Menschen ausharren.
Aber selbst, wenn es solche Verfahren nicht gäbe, was sollte man aus der angeblich so harmonischen Mars500-Expedition lernen? Dass eine rein männliche Crew bestehend aus drei Russen, einem Chinesen, einem Italiener und einem Franzosen die optimale Lösung ist? Sicher nicht: Wenn es um die Auswahl einer internationalen Mars-Crew gehen wird – und ein solcher Flug lässt sich nur gemeinsam stemmen –, wird nicht das psychologische Profil das Problem sein. Zum großen Hindernis werden dann die unterschiedlichen nationalen Wunschvorstellungen.
Das hat nicht zuletzt das Moskauer Isolationsexperiment im Jahr 1999 gezeigt, bei dem fünf Russen und drei Ausländer bis zu 110 Tage lang eingesperrt waren. Wie selbstverständlich drückte damals der russische Kommandant eine kanadische Mitfliegerin aus dem Blickwinkel der Kameras und zwang sie zu einem Zungenkuss: Es entsprach einfach seinem Frauenbild. Die Aufregung war groß, die Kanadierin verließ das Experiment. Vertreter der westlichen Staaten sahen darin ein Warnsignal. Für sie zeigte es, wie wichtig Respekt und interkulturelles Verständnis bei der Auswahl von Astronauten sind. Die Russen dagegen sahen sich in ihrem seit Langem gepflegten Vorurteil bestätigt, dass Frauen in Raumschiffen nichts verloren haben.
Über all dem steht aber die Realitätsferne, die die medizinischen und psychologischen Erkenntnisse aus Mars500 so wertlos erscheinen lassen. Es fehlt nicht nur die Schwerelosigkeit, es fehlt vor allem die existenzielle Bedrohung durch Kälte, Dunkelheit und Vakuum des Weltalls. Die Mars500-Crew war nie in Gefahr. Sie war sich stets der Tatsache bewusst, dass bei allen Problemen, Krankheiten und anderen Notlagen jenseits der Bretterwand Hilfe bereit steht. Die Bedrohung für Leib und Leben, die bei einem echten Marsflug alltäglich ist und unweigerlich an den Nerven zerrt, war schlichtweg nicht vorhanden. Vor diesem Hintergrund wirkten ein simulierter Meteoritenhagel oder ein einwöchiger Kommunikations-Blackout, wie sie die Moskauer Probanden ertragen mussten, fast schon rührend.
Dabei würde es deutlich realistischer gehen: Aus Russland kommt der Vorschlag, die nächste Simulation nicht mehr in der Moskauer Werkshalle, sondern gleich auf der Internationalen Raumstation zu starten. Zwar wäre das erst nach 2014 möglich, weil die Arbeitspläne bis dahin bereits festgezurrt sind, dann aber könnten zwei Astronauten einen Marsflug im niedrigen Erdorbit simulieren.
Eine gute Idee, aber warum nur zwei Astronauten? Wenn die ISS schon in ein Proto-Marsschiff verwandelt werden soll, muss man das auch richtig machen – also mit kompletter Besatzung. Immerhin bietet die Raumstation die mit Abstand beste Gelegenheit, das Verhalten, die Abläufe, die körperlichen und psychischen Belastungen während eines 500-tägigen Aufenthalts im All zu studieren. Die wenigen wissenschaftlichen Experimente, die im Moment auf der ISS durchgeführt werden, könnten währenddessen auch anderweitig in Angriff genommen werden: auf Satelliten, bei suborbitalen Flügen (die in einigen Jahren hoffentlich Alltag sein werden) oder vielleicht sogar als Beschäftigungstherapie für die virtuellen Marsfahrer. Der Einschnitt wäre zu verkraften.
Wenn es überhaupt eine Rechtfertigung gibt, mehr als 100 Milliarden Euro für einen orbitalen Außenposten wie die ISS auszugeben, dann nur, um die bemannte Raumfahrt voranzubringen – und endlich den Weg für einen Aufbruch der Menschheit über den Erdorbit hinaus zu ebnen.
Natürlich wäre die Aussagekraft einer solchen Mission ebenfalls beschränkt. Sie würde dennoch deutlich realitätsnaher ablaufen als sämtliche Marsspiele im Moskauer Westen. Vor allem aber wäre sie ein Bekenntnis zur bemannten Erkundung des Weltalls, ein Zeichen, dass es Regierungen und Raumfahrtorganisationen ernst meinen mit dem Flug von Menschen zum Mars.
Solange aber weiterhin nur in Attrappen aus Blech und Holz simuliert wird, darf dieser Wille mit Fug und Recht bezweifelt werden.
Verzichtet man allerdings auf den Vergleich mit früheren, weitaus turbulenter abgelaufenen Experimenten – bei denen schon mal Blut an den Sperrholzwänden der Moskauer Isolationskammer klebte –, fällt die Bilanz deutlich ernüchternder aus. Sicherlich, Mars500 hat viel Aufmerksamkeit und ein großes Medienecho hervorgerufen, der bemannte Flug zum Roten Planeten war auf einmal wieder in aller Munde. Wirklich interessante wissenschaftliche Erkenntnisse lieferte die Simulation dagegen kaum – nicht für Mediziner und Psychologen, und schon gar nicht für die Raumfahrt. Dabei wäre es ein Leichtes, einen Marsflug unter deutlich realistischeren Bedingungen zu simulieren. Die Verantwortlichen müssten es nur wollen.
Respekt gilt den sechs Freiwilligen, die – jedenfalls vor laufenden Kameras – gute Miene zum öden Spiel gemacht haben. An ihnen liegt es am wenigsten, dass von Mars500 kaum mehr als viele schöne Schlagzeilen und Kosten in Höhe von zehn Millionen Euro übrig bleiben werden. Es sind vielmehr die grundlegenden strukturellen und methodischen Probleme, die derartige Simulationen von vornherein fragwürdig erscheinen lassen.
Da ist zum einen die mangelnde Aussagekraft, unter der alle raumfahrtmedizinischen Experimente leiden, ganz gleich ob sie auf der Internationalen Raumstation oder in einer russischen Werkshalle gestartet werden: Die Versuche geben immer nur Aufschluss über einzelne, sorgfältig ausgewählte Astronauten. Es sind individuelle Ergebnisse, die nicht beliebig oft mit beliebig vielen Freiwilligen wiederholt werden können. Dafür sind Raumflüge, aber auch Isolationsexperimente, noch immer viel zu aufwändig, viel zu teuer und viel zu selten.
Signifikante Ergebnisse kommen auf diese Weise nicht zustande – auch wenn mitunter ein anderer Eindruck vermittelt wird. So wirbt die europäische Raumfahrtorganisation ESA mit der (nicht unbedingt neuen) Erkenntnis, dass weniger Kochsalz im Essen den Blutdruck senken kann. Aufgefallen war dies, nachdem Mediziner die tägliche Kochsalzration der Moskauer Probanden im Laufe eines Jahres halbiert hatten. Nur: Aus einer Stichprobengröße von maximal sechs Männern Rückschlüsse auf alle Astronauten – Männer und Frauen, Inder oder Russen, schwarz und weiß – oder gar die gesamte Menschheit zu ziehen, verbietet sich eigentlich von selbst.
Hinzu kommt, dass es längst Alltag geworden ist, Menschen viele Monate auf engem Raum und fernab der Zivilisation einzusperren. Seit den 1960er Jahren versuchen sich Russen und Amerikaner bereits an Isolationsexperimenten. Seit elf Jahren ist die Internationale Raumstation ISS durchgehend besetzt, zunächst mit drei und mit sechs Astronauten. Ein halbes Jahr bleibt jeder Besucher durchschnittlich an Bord. Berichte über Mord und Totschlag im All hat es seitdem nicht gegeben. Stellt sich da wirklich noch die Frage, ob Astronauten eine 500 Tage lange Reise zum Mars psychologisch durchhalten können?
An der Länge sollte es jedenfalls nicht liegen. 437 Tage verbrachte der Kosmonaut Waleri Poljakow Mitte der 1990er Jahre an Bord der Raumstation "Mir". Lediglich seine beiden Mitbewohner wechselten von Zeit zu Zeit, unter ihnen waren ebenso eine Frau und ein Deutscher. Durchgedreht ist Poljakow dennoch nicht. Auch die Zusammenstellung der Crews, die unter solchen Extrembedingungen leben müssen, folgt mittlerweile standardisierten psychologischen Verfahren – egal ob im Weltall oder beim Überwintern in der Antarktis, wo jedes Jahr mehrere Dutzend sorgfältig ausgewählte Menschen ausharren.
Aber selbst, wenn es solche Verfahren nicht gäbe, was sollte man aus der angeblich so harmonischen Mars500-Expedition lernen? Dass eine rein männliche Crew bestehend aus drei Russen, einem Chinesen, einem Italiener und einem Franzosen die optimale Lösung ist? Sicher nicht: Wenn es um die Auswahl einer internationalen Mars-Crew gehen wird – und ein solcher Flug lässt sich nur gemeinsam stemmen –, wird nicht das psychologische Profil das Problem sein. Zum großen Hindernis werden dann die unterschiedlichen nationalen Wunschvorstellungen.
Das hat nicht zuletzt das Moskauer Isolationsexperiment im Jahr 1999 gezeigt, bei dem fünf Russen und drei Ausländer bis zu 110 Tage lang eingesperrt waren. Wie selbstverständlich drückte damals der russische Kommandant eine kanadische Mitfliegerin aus dem Blickwinkel der Kameras und zwang sie zu einem Zungenkuss: Es entsprach einfach seinem Frauenbild. Die Aufregung war groß, die Kanadierin verließ das Experiment. Vertreter der westlichen Staaten sahen darin ein Warnsignal. Für sie zeigte es, wie wichtig Respekt und interkulturelles Verständnis bei der Auswahl von Astronauten sind. Die Russen dagegen sahen sich in ihrem seit Langem gepflegten Vorurteil bestätigt, dass Frauen in Raumschiffen nichts verloren haben.
Über all dem steht aber die Realitätsferne, die die medizinischen und psychologischen Erkenntnisse aus Mars500 so wertlos erscheinen lassen. Es fehlt nicht nur die Schwerelosigkeit, es fehlt vor allem die existenzielle Bedrohung durch Kälte, Dunkelheit und Vakuum des Weltalls. Die Mars500-Crew war nie in Gefahr. Sie war sich stets der Tatsache bewusst, dass bei allen Problemen, Krankheiten und anderen Notlagen jenseits der Bretterwand Hilfe bereit steht. Die Bedrohung für Leib und Leben, die bei einem echten Marsflug alltäglich ist und unweigerlich an den Nerven zerrt, war schlichtweg nicht vorhanden. Vor diesem Hintergrund wirkten ein simulierter Meteoritenhagel oder ein einwöchiger Kommunikations-Blackout, wie sie die Moskauer Probanden ertragen mussten, fast schon rührend.
Dabei würde es deutlich realistischer gehen: Aus Russland kommt der Vorschlag, die nächste Simulation nicht mehr in der Moskauer Werkshalle, sondern gleich auf der Internationalen Raumstation zu starten. Zwar wäre das erst nach 2014 möglich, weil die Arbeitspläne bis dahin bereits festgezurrt sind, dann aber könnten zwei Astronauten einen Marsflug im niedrigen Erdorbit simulieren.
Eine gute Idee, aber warum nur zwei Astronauten? Wenn die ISS schon in ein Proto-Marsschiff verwandelt werden soll, muss man das auch richtig machen – also mit kompletter Besatzung. Immerhin bietet die Raumstation die mit Abstand beste Gelegenheit, das Verhalten, die Abläufe, die körperlichen und psychischen Belastungen während eines 500-tägigen Aufenthalts im All zu studieren. Die wenigen wissenschaftlichen Experimente, die im Moment auf der ISS durchgeführt werden, könnten währenddessen auch anderweitig in Angriff genommen werden: auf Satelliten, bei suborbitalen Flügen (die in einigen Jahren hoffentlich Alltag sein werden) oder vielleicht sogar als Beschäftigungstherapie für die virtuellen Marsfahrer. Der Einschnitt wäre zu verkraften.
Wenn es überhaupt eine Rechtfertigung gibt, mehr als 100 Milliarden Euro für einen orbitalen Außenposten wie die ISS auszugeben, dann nur, um die bemannte Raumfahrt voranzubringen – und endlich den Weg für einen Aufbruch der Menschheit über den Erdorbit hinaus zu ebnen.
Natürlich wäre die Aussagekraft einer solchen Mission ebenfalls beschränkt. Sie würde dennoch deutlich realitätsnaher ablaufen als sämtliche Marsspiele im Moskauer Westen. Vor allem aber wäre sie ein Bekenntnis zur bemannten Erkundung des Weltalls, ein Zeichen, dass es Regierungen und Raumfahrtorganisationen ernst meinen mit dem Flug von Menschen zum Mars.
Solange aber weiterhin nur in Attrappen aus Blech und Holz simuliert wird, darf dieser Wille mit Fug und Recht bezweifelt werden.
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