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Angemerkt!: Maximal minimal

Schützenswerter Planet
Eigentlich war das Scheitern der Weltgemeinschaft vorhersehbar. Bereits auf den Vorbereitungstreffen zum Kopenhagener Klimagipfel lief es zäh, und die in der Klimapolitik widerstreitenden Staatengruppen verhielten sich wie beim Mikado: Wer sich zuerst auf den anderen zubewegt, hat verloren.

Und so verwundert es nicht, dass sich die in der dänischen Hauptstadt versammelten Vertreter von 190 Staaten nicht einmal auf einen verbindlichen Minimalkonsens zum Klimaschutz einigen konnten. Selbst die in den letzten offiziellen Stunden des Treffens zwischen 30 Staatenführern – darunter Angela Merkel, Barack Obama und Wen Jiabao sowie Vertreter der Inselstaaten, Brasiliens oder Äthiopiens – ausgearbeitete Abschlusserklärung mit ihren Zielen, Vorgaben und Lösungsstrategien stieß in der abschließenden Diskussion im Plenum auf massive, wenngleich in der Sache unterschiedliche Ablehnung.

In dem unter dem Namen "Copenhagen Accord" verfassten Papier sollten einige wichtige Punkte festgezurrt werden:

- Die Staatengemeinschaft will sich darauf verpflichten, die Erderwärmung auf maximal zwei Grad Celsius zu beschränken und entsprechend zu handeln. Viele Forscher halten dieses Ziel nicht mehr für machbar, Inselstaaten wie Tuvalu oder den Malediven geht diese Aufheizung noch zu weit. Sie wollten 1,5 Grad Celsius festschreiben, konnten sich damit aber gegen die Industrieländer und China nicht durchsetzen. Mit dieser Obergrenze sollten die schlimmsten Folgen des Klimawandels vermieden werden.

- Bis 2050 müssten dafür die Kohlendioxidemissionen verglichen mit 1990 um 50 Prozent gesenkt werden. Zwei Margen, an denen vor allem die Europäer interessiert waren, während die USA lieber ein späteres Basisjahr gesehen hätten. Während die Europäer aber seit 1990 schon vielfach ihre Emissionen zurückgefahren haben, gingen sie in den meisten anderen Staaten weiter nach oben – verstärkt auch seit der Jahrtausendwende. Für die EU-Länder hätte ein späterer Termin also überproportional starke Reduzierungen verlangt.

- Dennoch wollen die Industriestaaten das Gros der Einsparungen leisten: bis 2050 eine Abnahme um 80 Prozent.

- Ohne konkrete Zahlen zu nennen, haben sich diese Länder auch darauf verständigt, den ärmsten Staaten langfristig finanziell und technologisch unter die Arme zu greifen, damit diese etwas für den Klimaschutz tun und sich für den Wandel wappnen können.

- Über den Handel mit Verschmutzungsrechten sollten ab 2010 bis 2012 jedes Jahr rund zehn Milliarden Dollar Hilfe erwirtschaftet werden, ab 2020 sollen es dann sogar 100 Milliarden Dollar jährlich sein – eine Zahl, die die USA ins Spiel gebracht haben.

- Konkret müssten die Entwicklungsländer keinen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Sie wollten sich aber verpflichten, den Zuwachs ihrer Kohlendioxidemissionen zumindest zu bremsen. Außerdem verstärken sie die Bemühungen, ihre Wälder besser zu schützen, deren Abholzung gegenwärtig etwa ein Fünftel der jährlichen Treibhausgase ausmacht. Im Sinne der REDD-Vereinbarung (Reducing Emissions from Deforestation and Degradation) bekommen sie finanzielle Ausgleichszahlungen – einer der wenigen Punkte, die wirklich konkret in Kopenhagen vereinbart wurden.

In der abschließenden Diskussion stieß dieses Papier auf erbitterten Widerstand. Allen voran agitierten einige südamerikanische Länder um Venezuela und der Sudan gegen den Kompromiss, weil sie mit der Art seiner Entstehung unzufrieden waren – angesichts der Koalition um die international skeptisch beäugten Vertreter von Hugo Chávez und Hassan al-Baschir (dessen Abgesandter sich sogar zu einem Holocaust-Vergleich verstieg) drängt sich allerdings eher der Eindruck auf, dass so mancher hier geopolitische Mütchen kühlen wollte, die nichts mit dem Klima zu tun haben.

Ebenfalls skeptisch beäugt und tendenziell abgelehnt wurde der Kompromiss von einer zweiten Staatengruppe um Tuvalu – einem pazifischen Inselstaat, dem durch steigende Meeresspiegel der Untergang droht. Ihnen ging der Entwurf nicht weit genug, vor allem die Zwei-Grad-Grenze stieß bei ihnen als zu schwache Maßnahme auf Widerstand. Der Präsident der Malediven, Mohamed Nasheed, hatte die Delegierten wiederum in seinem letzten Redebeitrag noch einmal eindringlich aufgefordert, den Abschluss trotz Bedenken doch anzunehmen: "Bitte akzeptieren Sie diese Entscheidung, bitte behalten Sie dieses Dokument."

Allein es nützte nichts: In einer minimalen Übereinstimmung ist die Versammlung der 192 Staaten nun wenigstens übereingekommen, nicht über dieses Dokument abzustimmen, es aber "zur Kenntnis zu nehmen". Dafür könne sich jeder Staat ihm anschließen, sofern er wolle. Und 2010 solle daraus dann ein verbindlicher völkerrechtlicher Vertrag destilliert werden, der das Kioto-Protokoll ablöst, das bislang den Klimaschutz international regelt. In Mexiko-Stadt gibt es dazu in einem Jahr die Gelegenheit.

Auch wenn der Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki Moon mit dem Erreichten einigermaßen zufrieden ist: Kopenhagen war für den Klimaschutz ein Desaster, das nur Verlierer kennt. Versagt haben allen voran der US-amerikanische Präsident Barack Obama und Chinas Staatschef Wen Jiabao. Sie stehen den beiden Staaten vor, die die meisten Emissionen produzieren. Obama hat wieder einmal bewiesen, dass seine Aussagen zum Klimaschutz nicht mehr als Lippenbekenntnisse sind – auch seine rasche Abreise mit der Begründung, dass das Wetter in Washington schlecht sei, trug zum Scheitern des Kopenhagen-Kompromisses bei: Wer glaubt, dass der Klimaschutz nur während einer kurzen Zwischenlandung auf dem Weg von der Nobelpreisverleihung nach Hause erledigt werden kann, darf sich über das anschließende Fiasko nicht wundern. Die US-Unterhändler besaßen dann sogar noch die Chuzpe zu kommentieren, dass der von ihnen ausgehandelte Plan ohnehin nicht ausreichen wird, um das Klima nachhaltig zu schützen.

Wie die USA ist auch China nicht bereit, Emissionen einzusparen, weil es um seine Wirtschaftskraft fürchtet. Das Reich der Mitte fühlt sich dabei in einer besonders starken Position: Als kommende Großmacht weiß China, dass gegen die Nation keine Klimapolitik gemacht werden kann, denn im Gesamtvolumen produziert kein Land mittlerweile mehr Kohlendioxid. Jeder Vertrag, der ohne den Giganten ausgehandelt wird, ist das Papier nicht wert. Seine Mitarbeit möchte sich China deshalb teuer bezahlen lassen: mit Hilfsgeldern und Knowhow, was der Westen wiederum nicht ohne Weiteres liefern will. Auf der anderen Seite versteht sich das Land als Sprecher der Entwicklungsländer, die allein die Industriestaaten in der Pflicht zum Klimaschutz sehen. Dieses doppelte Spiel plus die Weigerung, die eigenen CO2-Gegenmaßnahmen international kontrollieren zu lassen, haben entscheidend zum Scheitern beigetragen – und Chinas Glaubwürdigkeit in der internationalen Politik untergraben. Im Schatten Chinas segeln Indien, Brasilien und andere Länder mit wachsender Industrie.

Versagt hat aber auch die Europäische Union in Gestalt von Dänemarks Premierminister Lars Rasmussen, dessen chaotische Verhandlungsführung und undurchsichtige Hinterzimmerpolitik viele Entwicklungsländer so verärgert haben, dass sie am Ende überhaupt nichts mehr zustimmen wollten. Und die EU hat auch verloren, weil ihre bisherigen Bemühungen und CO2-Reduzierungen durch das jetzige Gipfelfiasko gefährdet werden. Ihre Bürger und Industrieunternehmen werden sich fragen, ob sie weiter allein die Last des Klimaschutzes tragen sollen. Er verursacht schließlich auch Kosten und kann Arbeitsplätze kosten, weil Unternehmen nach China gehen, wo sie weiterhin ungehemmt die Atmosphäre verschmutzen dürfen.

Die größte Niederlage aber musste die Weltgemeinschaft an sich hinnehmen. Sie zeigte, dass sie nicht willens und in der Lage ist, globale Probleme anzugehen. Stattdessen dominierte eine kleingeistige Interessen- und Dünkelpolitik, obwohl bereits heute Millionen Menschen unter Dürren, Fluten und anderen Extremereignissen leiden und sich diese zukünftig noch verschärfen werden. Der Chaos-Gipfel ist ein Menetekel: Vom Artensterben bis hin zur Überbevölkerung droht noch öfter ein Scheitern der internationalen Politik, weil kein Staatsmann sich momentan traut, wirklich vorausschauend zu handeln.

Hoffen muss man deshalb jetzt auf Initiativen von unten, auf die Menschen, die den Klimaschutz in die eigenen Hände nehmen – und auf die Märkte, die durch steigende Preise für Öl oder Gas auf ihre Weise die Entwicklung sauberer Energien fördern. Bis dahin wäre es vielleicht besser, ganz auf Welttreffen in der Art von Kopenhagen 2009 zu verzichten: Zumindest das würde der Erde einiges an Treibhausgasen und heißer Luft ersparen.

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