Sterbehilfe: Mein Leben, mein Sterben, meine Entscheidung
Im Herbst 2015 will der Bundestag über eine neue Regelung der Sterbehilfe entscheiden. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob es eines Gesetzes bedarf, das die organisierte kommerzielle Sterbehilfe strafrechtlich verbietet. Mit der "organisierten kommerziellen Sterbehilfe" ist die vom ehemaligen Hamburger Justizsenator Roger Kusch gegründete Organisation "Sterbehilfe Deutschland e.V." gemeint. Diese Sterbehilfeorganisation hatte ihren Mitgliedern in der Vergangenheit eine Beihilfe zur Selbsttötung gegen eine Gebühr von 6000 Euro angeboten.
Die Behörden konnten gegen Roger Kuschs viel geschmähte "Geschäfte mit dem Tod" nichts unternehmen, da die Beihilfe zur Selbsttötung nach deutschem Recht straffrei ist. Dies soll sich jetzt ändern. Zwar geht die deutsche Strafrechtsdogmatik weiter davon aus, dass die Beihilfe zu einer Tat nur dann strafbar sein kann, wenn es sich bei ihr auch um eine Straftat handelt; doch wenn es nach dem Willen von Gesundheitsminister Hermann Gröhe geht, soll im Fall der Beihilfe zur Selbsttötung nun eine Ausnahme gemacht werden.
Ich spreche mich ganz entschieden gegen ein Gesetz zur strafrechtlichen Verfolgung der Beihilfe zur Selbsttötung aus. Statt einer Kriminalisierung schlage ich eine Regulierung der Sterbehilfe vor. Eine solche Regulierung erfordert keine Änderung des Strafrechts, sondern lediglich eine Änderung des Standesrechts.
Patienten, die sich von einem Arzt ein Rezept für eine tödliche Dosis eines Barbiturats ausstellen lassen wollen, sollten:
- volljährig sein,
- urteilsfähig sein,
- an einer von zwei unabhängigen Ärzten diagnostizierten schweren und unheilbaren Erkrankung leiden,
- zwei mündliche Anfragen nach einem Rezept stellen, wobei zwischen der ersten und der zweiten Anfrage mindestens 15 Tage Bedenkzeit liegen müssen,
- über alle medizinischen Alternativen, insbesondere über eine palliativmedizinische Betreuung oder eine Versorgung im Hospiz, hinreichend aufgeklärt worden sein,
- seit mindestens zwölf Monaten über eine deutsche Staatsbürgerschaft verfügen.
Die strengen Bestimmungen dieser Regelung beugen allen vorgebrachten Bedenken vor. Da nur unheilbar erkrankte Patienten ein Rezept erhalten können, ist die Furcht, dass die Freigabe der ärztlichen Beihilfe zur Selbsttötung zu einem unannehmbaren sozialen Druck auf Alte und Schwache führen könne, ausgeschlossen. Niemand, der nicht wirklich unheilbar erkrankt ist und nicht von sich aus zwei mündliche Anfragen auf ein Medikament gestellt hat, kann von seiner Familie, seinen Freunden oder gar der Gesellschaft zu dem viel beschworenen "sozialverträglichen Frühableben" gedrängt werden.
Wie erwähnt, müssen zwei voneinander unabhängige Ärzte hinsichtlich der Diagnose des Patienten übereinstimmen. Wenn auch nur einer der beiden Ärzte den geringsten Verdacht hat, dass der Patient nicht urteilsfähig ist, muss ein Psychiater zur Begutachtung herangezogen werden. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass keine Patienten, die an einer akuten Depression leiden, eine ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung in Anspruch nehmen können.
Die Forderung nach zwei jeweils im Abstand von mindestens 14 Tagen gestellten Anträgen verhindert, dass Patienten möglicherweise impulsiv handeln. Die zweiwöchige Bedenkzeit gewährleistet, dass die Bitte um einen ärztlich assistierten Suizid wirklich wohlerwogen ist. Und die Bedingung, dass die Patienten bereits seit mindestens einem Jahr über eine deutsche Staatsbürgerschaft verfügen müssen, macht schließlich den gefürchteten "Sterbetourismus" unmöglich.
Obgleich ich es als eine moralische Pflicht erachte, seine Patienten im Angesicht des Todes nicht im Stich zu lassen, sollte meines Erachtens doch kein Arzt zu einer Beihilfe zur Selbsttötung gezwungen sein. Es muss der Gewissensentscheidung eines jeden Mediziners überlassen bleiben, ob er sich zu einer Beihilfe zur Selbsttötung bereit erklärt oder nicht. Falls er sich gegen eine Hilfe entscheidet, sollte er seinen Patienten aber dabei behilflich sein, einen Arzt zu finden, der ihrem Wunsch aufgeschlossener gegenübersteht.
Auch wenn es sich eigentlich von selbst versteht, sei nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der ärztlich assistierte Suizid lediglich eine zusätzliche Option im Rahmen der verfügbaren Sterbehilfe darstellt. Jeder soll sterben können, wie er will. Niemand muss eine ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen! Wer sein Leben beispielsweise als ein "Geschenk Gottes" betrachtet, über das er nicht selbst verfügen dürfe, dem bleibt es selbstverständlich unbenommen, auf seine Weise zu sterben.
Der alles entscheidende Punkt ist, dass in einem freiheitlichen Rechtsstaat niemand – weder die Regierung noch die Kirche – die Befugnis besitzt, anderen Menschen vorzuschreiben, wie sie zu leben oder zu sterben haben. Wir mögen die Entscheidungen unserer Mitmenschen aus moralischen oder religiösen Gründen missbilligen. Doch solange sie mit dem, was sie tun, nicht die Rechte anderer verletzen, gibt es keine Rechtfertigung dafür, ihre Freiheit mit den Mitteln des Strafrechts einzuschränken.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass mein hier dargestellter Vorschlag zur Regelung des ärztlich-assistierten Suizids keiner Gesetzesänderung bedarf. Wie eingangs er-wähnt, ist die Beihilfe zur Selbsttötung in der Bundesrepublik straffrei und sollte es auch weiterhin bleiben.
Die einzige Änderung, die erforderlich ist, ist eine Überarbeitung der von der Bundesärztekammer im Jahr 2011 verabschiedeten Berufsordnung, in der es ausdrücklich heißt: "Ärztinnen und Ärzte dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten." Mediziner, die einem unheilbar erkrankten Patienten beim Suizid assistieren, müssen daher Sanktionen ihrer zuständigen Landesärztekammer gewärtigen, die von einer Geldstrafe bis zum Entzug der Approbation reichen können.
Es ist mein Anliegen, die Bundesärztekammer dazu aufzufordern, ihre Berufsordnung so zu überarbeiten, dass den Ärzten eine Beihilfe zur Selbsttötung ohne Furcht vor standesrechtlichen Sanktionen möglich wird. Hierzu könnte sie sich beispielsweise an den "Richtlinien zur Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende" orientieren, wie sie von der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften 2004 entworfen und 2012 noch einmal bestätigt worden sind. Darin heißt es: "Die Entscheidung des Arztes, im Einzelfall Beihilfe zum Suizid zu leisten, ist als solche zu respektieren."
Wenn sich die Bundesärztekammer zu diesem kleinen Einschub bereit findet, werden sich auch die 17 in Deutschland bestehenden Landesärztekammern in Zukunft daran orientieren und Medizinern, die sich nach einer eigenen Gewissensprüfung zu einer Beihilfe zur Selbsttötung entschließen, nicht länger mit standesrechtlichen Sanktionen drohen.
Mein Vorschlag zur Regelung des ärztlich assistierten Suizids dürfte auch im Sinn all der Parteien sein, die etwaigen "Geschäften mit dem Tod" entgegenzutreten wünschen. Wenn es Ärzten gestattet ist, eine Beihilfe zur Selbsttötung zu leisten, wird kein Bedarf an Organisationen wie der "Sterbehilfe Deutschland e.V." mehr bestehen. Wie wir aus einer gerade durchgeführten Umfrage aus der Schweiz wissen, ziehen nicht nur Mediziner, sondern auch Patienten eine Beihilfe zur Selbsttötung durch einen Arzt einer Beihilfe durch eine Sterbehilfeorganisation entschieden vor. Dies zeigt noch einmal in aller Klarheit, dass es eine der höchsten Pflichten des Arztes sein sollte, unheilbar kranken Menschen zu einem möglichst beschwerdefreien, selbstbestimmten und würdevollen Tod zu verhelfen.
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