Naturschutz: Meinung: Europas Vogelmordschande
Rund fünf Milliarden Zugvögel machen sich jedes Jahr auf den Weg nach Süden, um rund ums Mittelmeer oder südlich der Sahara zu überwintern. Mindestens 500 Millionen, vielleicht sogar eine Milliarde davon überleben die Reise nicht, weil sie abgeschossen oder mit Netzen, Leimruten oder Steinschlagfallen gefangen und getötet werden. Die Jäger warten auf sie in Frankreich, auf Malta und Zypern, in den Balkanstaaten, Rumänien, Bulgarien und auch immer noch in Italien. Und wenn sie es über das Mittelmeer geschafft haben, fliegen sie direkt in ägyptische Netze, die sich über hunderte Kilometer direkt an der Küste hinwegziehen. Unter den Opfern befinden sich häufige Arten wie Rotkehlchen oder Mönchsgrasmücken genauso wie seltene Ortolane, Kiebitze oder Greifvögel. Die Tiere enden als Trophäen, im Kochtopf als vermeintliche Delikatesse oder verrotten einfach in der Landschaft, weil sich die Jäger nicht die Mühe machen, sie aufzusammeln.
Allein auf Zypern fielen laut Birdlife Cyprus im letzten Herbst mindestens zwei Millionen Zugvögel der illegalen Jagd zum Opfer: Die Tiere landen als Spezialität namens Ambelopoulia auf dem Teller; ein Gericht aus einem Dutzend Singvögeln kostet etwa 80 Euro. Jäger holten Schätzungen zufolge etwa die Hälfte aller Turteltauben vom Himmel, die letzten Herbst Malta überqueren wollten. In Frankreich sterben jährlich 400 000 Kiebitze durch die Jagd – mehr Tiere, als es in ganz Deutschland gibt, wo man sie mit viel Geld zu schützen versucht. Und diese Aufzählung ließe sich mit zahlreichen Arten und Staaten fortsetzen.
Und während vielleicht noch in manchen Teilen Albaniens mit den Abschüssen der eigene Kochtopf gefüllt wird, handelt es sich im großen Rest Europas um ein Massaker auf industriellem Niveau. Laut einer investigativen Recherche von "Newsweek" weist die Zugvogeljagd vielerorts mafiaartige Strukturen auf: Gut organisierte Touren bringen beispielsweise italienische Jäger – die im eigenen Land zunehmend eingeschränkt sind – nach Rumänien, Bulgarien oder Serbien. Dort locken sie mit verbotenen Klangattrappen etwa Feldlerchen an, die sie dann mit ebenfalls verbotenen automatischen Waffen massenhaft vom Himmel holen. Die großzügigen rumänischen Jagdquoten für die immer stärker bedrohten Feldlerchen – offiziell 700 000 Tiere, ein Drittel des rumänischen Gesamtbestands – werden dem Bericht zufolge nicht kontrolliert und weit übertroffen. Und unter dem Deckmantel der Feldlerchenjagd erlegen die Jäger alles, was ihnen vor die Flinte kommt.
Ein Großteil der toten Vögel gelangt dann nach Italien, wo sie unter der Hand an Restaurants verkauft werden – obwohl Ausfuhr und Handel zum großen Teil illegal sind. Handelsspannen von bis zu 3000 Prozent begünstigen kriminelle Strukturen und Korruption, ohne die der "Export" aus Osteuropa nach Italien niemals im industriellen Maßstab möglich wäre, wie ein Bericht von TRAFFIC schon im Jahr 2008 zeigte. Seit damals hat sich das Jagdproblem aber vielerorts wohl noch verschärft, wie die ansteigenden Zahlen aus Zypern zeigen.
Laut "Newsweek" eröffneten italienische Geschäftsleute hunderte auf die Jagd spezialisierte Reisebüros auf Malta und in Zypern – beides Länder, die nicht nur günstige Steuergesetze besitzen, sondern auch ausgesprochen jagdfreundlich sind. Selbst Naturschutzgebiete sind nicht mehr vor der Ballerei sicher, weil Regierungen unter dem Druck der Lobby Gebiete wie das Donaudelta in Rumänien freigeben: Wer nach "Hunting" und "Danube Delta" im Internet sucht, erhält Dutzende Treffer mit Angeboten für entsprechende Trips.
Der massenhafte Abschuss ist dabei schon lange nicht mehr nachhaltig: Obwohl Feldlerchen, Turteltauben, Kiebitze, Wachteln, Ortolane oder Moorenten europaweit und teils drastisch im Bestand zurückgehen, werden sie weiterhin erlegt. Fernzieher, die den Winter in Afrika verbringen, gehören mittlerweile zu den am stärksten bedrohten Vögeln Europas – unter anderem, weil sie rund um das Mittelmeer intensiv abgeschossen werden. Besonders kritisch ist die Frühlingsjagd, wenn die Tiere in die europäischen Brutgebiete zurückfliegen: Im Gegensatz zum Herbst, wenn auch der Nachwuchs unterwegs ist, kehren nun die Überlebenden und damit quasi die qualitative Auslese der Vögel zurück. Abschüsse auf dem Heimweg treffen Bestände bis ins Mark, weil die Zugvögel sterben, ohne Nachkommen produziert zu haben. Europaweit ist diese Jagd verboten – außer in der Heimat des maltesischen EU-Umweltkommissars Karmenu Vella.
Diesem Treiben muss endlich Einhalt geboten werden. Und die Mittel dazu besitzt die Europäische Union schon lange. Die Europäische Vogelschutzrichtlinie verbietet die Jagd mit automatischen Waffen, Lockvögeln, Netzen, Fallen und Klangattrappen, und sie gilt für alle Mitgliedsstaaten. An ihrer Umsetzung hapert es jedoch vielfach: Staaten wie Frankreich oder Malta begründen Ausnahmen für grausame Steinquetschfallen oder die Frühlingsjagd mit traditionellen Werten, Länder wie Rumänien erlassen Jagdquoten, die weit jenseits wissenschaftlich haltbarer Daten sind. Die meisten europäischen Arten dürfen eigentlich nicht erlegt werden, außer Staaten beantragen eine Ausnahmegenehmigung, die von der EU-Kommission zumeist unbeanstandet durchgewinkt wird. Und selbst mehrmalige, offensichtliche Missachtungen durch einzelne Mitgliedsstaaten werden erst nach langen Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof geahndet und das Recht durchgesetzt.
Dabei zeigen Staaten wie Slowenien, dass es anders geht: Das Land hat die Vogelschutzrichtlinie konsequent befolgt und gilt nun als sicherer Hafen für Zugvögel. Selbst Italien kann im eigenen Land Erfolge vorweisen und hat die illegale Vogeljagd stark reduziert – weshalb die Jäger nun mit den aufgedeckten kriminellen Nebenwirkungen auf Osteuropa ausweichen. Es ist an der Zeit, diese Schande europaweit zu beenden.
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