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Klima: Meinung: Hitze trotz kalter Sonne

Auf der Erde wird es immer heißer - dabei bekommen wir derzeit gerade besonders wenig Energie von der Sonne. Mit Letzterem lagen prominente Klimaskeptiker richtig, sie zogen aber die falschen Schlüsse, kommentiert Stefan Rahmstorf.
Sonnenuntergang in Indien

Erst überbot 2014 das bis dahin wärmste Jahr 2010, dann überbot 2015 nochmals 2014, und 2016 ist derart warm, dass schon jetzt praktisch sicher ist, dass es erneut ein Rekordjahr wird. Drei Rekordjahre in Folge – das hat es in all den Jahrzehnten der globalen Erwärmung noch nie gegeben.

Stefan Rahmstorf

Was bislang kaum kommentiert wurde: Dies alles passiert trotz "kalter Sonne" – derzeit ist die Sonneneinstrahlung deutlich geringer als in den 1990er Jahren. Das letzte Sonnenminimum (2008-2010) war das tiefste seit mindestens 1950, das vergangene Sonnenmaximum (2013-2015) kann man kaum als solches bezeichnen. Das zeigen unter anderem Sonnenfleckendaten (Abbildung 1) sowie Messungen der Sonnenleuchtkraft von Satelliten (Abbildung 2) übereinstimmend. Auch andere Indikatoren der Sonnenaktivität deuten auf eine Abkühlung hin.

Uns Klimaforscher überrascht diese Entwicklung natürlich keineswegs, gibt es doch seit Langem klare Belege dafür, dass die regelmäßigen Schwankungen der Sonnenaktivität zumindest in den vergangenen 65 Jahren eine völlig untergeordnete Rolle im Klimageschehen spielen (ich habe das in diesem "Spektrum"-Artikel vor einigen Jahren ausführlich begründet). Angetrieben wird die globale Erwärmung von den Treibhausgasen, das ist in der Wissenschaft längst Konsens. Der aktuelle IPCC-Bericht etwa grenzt den natürlichen Beitrag zur globalen Erwärmung seit 1950 auf weniger als plus oder minus 0,1 Grad Celsius ein (er kann ja auch negativ sein, zum Beispiel eben wegen der schwächelnden Sonne).

Abbildung 1 | Verlauf von globaler Temperatur, CO2-Konzentration und Sonnenaktivität. Temperatur und CO2 sind relativ zueinander so skaliert, wie es dem physikalisch erwarteten CO2-Effekt auf das Klima entspricht (also der besten Abschätzung der Klimasensitivität). Die Amplitude der Sonnenkurve ist so skaliert, wie es der beobachteten Korrelation von Sonnen- und Temperaturdaten entspricht. (Details sind hier erläutert.) Diese Grafik kann man sich hier erzeugen und dort auch einen Kode kopieren, mit dem sich die Grafik als Widget in die eigene Website einbauen lässt (wie auf meiner Homepage) – dort wird sie dann automatisch jedes Jahr mit den neuesten Messdaten aktualisiert. Dank an Bernd Herd, der dies programmiert hat.

Widerlegt werden damit allerdings unseriöse Behauptungen aus dem Lager der Kohlelobby und der so genannten Klimaskeptiker, die immer wieder versuchen, die globale Erwärmung auf die Sonne zu schieben. Und die angesichts der kalten Sonne immer wieder mal eine Abkühlung vorhersagen.

Die Erwärmung auf die Sonne zurückzuführen, ist angesichts der Messdaten schwierig: Die Sonnenaktivität hat schlichtweg seit 65 Jahren nicht zugenommen, sondern war im Wesentlichen konstant, bis auf den bekannten rund elfjährigen Schwabe-Zyklus (der auch kaum Wirkung auf die globale Temperatur zeigt) und einen leichten Abwärtstrend.

Abbildung 2 | Die Messdaten der Sonnenleuchtkraft vom World Radiation Center in Davos.
Falsch verstandene thermische Trägheit

Die Ausrede der Skeptiker lautet hier üblicherweise, die globale Erwärmung sei eine zeitverzögerte Reaktion auf die Zunahme der Sonnenaktivität vor 1950. Die Grundidee ist dabei nicht ganz falsch: Das Klimasystem besitzt eine gewisse Trägheit. Würde man die Sonnenleuchtkraft eine Stufe hochschalten, würde die Temperatur nicht sofort in vollem Umfang steigen, da es eine Weile dauert, die Ozeane aufzuheizen. Man kann dies in Modellsimulationen auch quantifizieren: So zeigen Caldeira und Myhrvold, dass 60 Prozent der Temperaturreaktionen innerhalb der ersten 20 Jahre auftreten. Nun sind aber rund 80 Prozent der globalen Erwärmung seit dem 19. Jahrhundert erst nach 1970 erfolgt. Es ist daher undenkbar, dass die geringfügige Zunahme der Sonnenaktivität vor 1950 wesentlich zur starken Erwärmung ab den 1970ern beigetragen haben könnte.

Ein weiteres Indiz dafür ist der Vergleich der Temperaturen über Land und Meer. Jeder weiß: Wenn morgens die Sonne aufgeht, braucht sie nur wenige Stunden und keine Jahrzehnte, um die Luft stark zu erwärmen. Die thermische Trägheit wohnt zu über 90 Prozent im Ozean, die Luft über Land heizt sich schnell auf. Wäre die globale Erwärmung seit 1970 ein verspäteter Nachlauf auf Grund einer früheren Zunahme der Sonnenleuchtkraft, dann würden wir ja jetzt vor allem eine nachholende Erwärmung der Meere beobachten. Das Gegenteil ist der Fall: Die Kontinente erwärmen sich rascher, und die Meerestemperaturen hinken hinterher.

Abbildung 3 | Messdaten der globalen Temperatur der NASA (gleitendes Mittel über zwölf Monate) im Vergleich zur Prognose für die globale Temperatur bis 2030 von Vahrenholt und Lüning (nach "Die kalte Sonne", Abb. 73.)
Falsche Prognosen

Klimaverwirrer oder -verwirrte wie Fritz Vahrenholt ("Grönland im Mittelalter fast eisfrei") wagen sich auch an Prognosen. Im Jahr 2010 begann Vahrenholt (damals Chef von RWE Innogy) einen "Essay" in der "Welt" mit dem schönen Satz:

"Die Winter werden merklich strenger. Das beunruhigt all jene, die der Frage nachgehen, warum die Erderwärmung offenbar pausiert."

Er hatte auch den Grund parat:

"Natürlich, it's the sun, stupid!"

(Siehe damals unseren Kommentar dazu mit Vahrenholts Antwort.) In seinem 2012 erschienenen Buch "Die kalte Sonne" (mit Sebastian Lüning) präsentierte er dann seine eigene Prognose für die globale Temperaturentwicklung bis 2030 – in Abbildung 3 ist sie mit den Messdaten verglichen. Jeder Kommentar erübrigt sich.

Ein Verdienst hat das Buch "Die kalte Sonne" allerdings zweifellos. Der schöne Titel hat im öffentlichen Bewusstsein verankert, dass die Sonne derzeit schwächelt – gut zu wissen angesichts der fortschreitenden globalen Erwärmung!

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