Forschungsfinanzierung: Meinung: Konflikte offenlegen reicht nicht!
Mein Interesse am Einfluss industrieller Forschungsfinanzierung auf Forschungsergebnisse geht auf einen Vorfall im Jahr 2011 an meiner ehemaligen Universität zurück. Eine Gruppe von Utrechter Pharmakologen hatte in "Pharmacology" eine experimentelle Untersuchung des Einflusses des Energiegetränkes Red Bull auf die Fahrtüchtigkeit bei längerem Autofahren veröffentlicht. Das Experiment war Teil eines Promotionsprojekts, das durch Red Bull mit 300 000 Euro finanziert wurde. Versuchspersonen mussten vier Stunden in einem Fahrsimulator fahren. Nach zwei Stunden legten sie eine Pause ein, in der die eine Hälfte der Probanden Red Bull trinken musste, die andere ein Placebogetränk, das wie Red Bull schmeckte, aber kein Koffein enthielt. Im Vergleich zum Placebo führte Red Bull zu einer signifikanten Verbesserung der Fahrtüchtigkeit.
Einige Monate später erschien in der Tageszeitung "De Telegraph" ein kritischer Artikel über die Red-Bull-Untersuchung, in dem der Verdacht geäußert wurde, dass die Finanzierungsquelle möglicherweise die Ergebnisse beeinflusst haben könnte. Die von der Universität eingeschaltete Kommission "Wissenschaftliche Integrität" kam zu dem Urteil, dass keine Verletzung der Integrität vorlag, da die Autoren ihre Geldgeber in der Veröffentlichung angegeben hatten. Auch methodologische Regeln sind nicht verletzt worden. Dass eine Tasse Kaffee vermutlich denselben Effekt zu einem geringeren Preis gehabt hätte, spielte bei der Beurteilung keine Rolle. Es ging schließlich um die Frage, ob Red Bull Ermüdung verhindert und nicht darum, ob es dabei effektiver ist als Kaffee.
Da ich von der Universitätszeitung um eine Stellungnahme gebeten wurde, vertiefte ich mich in die umfangreiche Literatur zu diesem Thema und fand zu meiner Überraschung, dass die Red-Bull-Untersuchung nicht ungewöhnlich war. Wenn Firmen Forschungsprojekte bezahlen, in der die Effektivität eines von ihnen hergestellten Produkts beurteilt wird, fällt das Ergebnis meist positiver aus, als bei Untersuchungen, die von neutralen Quellen finanziert werden.
Die überwiegende Mehrheit der Übersichtsartikel zum Thema befasst sich mit dem Sponsoreneinfluss auf Untersuchungen der Wirksamkeit von Arzneimitteln. Diese Arbeiten vergleichen die Ergebnisse von Arzneimitteltests die vom Hersteller oder neutral finanziert wurden. Arzneimitteltests sind von großer Bedeutung für die Gesundheitssorge, da sie die Entscheidungen von Ärzten beeinflussen, welche Medikamente sie ihren Patienten verschreiben. Aus demselben Grund sind sie aber auch von großer finanzieller Bedeutung für die Pharmaindustrie.
Vom Hersteller finanzierte Studien fallen häufiger positiv aus
Eine der frühesten Studien wurde von Bekelman und Kollegen 2003 in der Zeitschrift der American Medical Association (JAMA) veröffentlicht. Die Autoren analysierten acht zwischen 1980 und 2002 publizierte Übersichtsartikel über den Einfluss der Finanzierungsquelle auf die Ergebnisse von Arzneimitteltests. Sie stellten fest, dass vom Hersteller geförderte Studien nahezu viermal so häufig zu einer positiven Bewertung eines Medikamentes kamen als neutral finanzierte Untersuchungen. Ähnliche Schlussfolgerungen zog die wohl umfangreichste Analyse, die Lundh und Kollegen 2012 in der "Cochrane Database of Systematic Reviews" veröffentlicht hatten. Sie beruhte auf den Ergebnissen von 48 zwischen 1986 und 2010 veröffentlichten Übersichtsartikeln, die im Mittel 137 Befunde industriell sowie neutral finanzierter Studien miteinander verglichen.
Eine mögliche Erklärung für diese Unterschiede – zumindest in Studien die eine aktive Arznei mit einem (wirkungslosen) Placebo verglichen –, wäre, dass von der Industrie finanzierte Studien auf größeren Stichproben beruhen und damit größere Aussicht haben, signifikante Resultate zu erzielen. Dies kann aber nicht die Ergebnisse von Untersuchungen erklären, bei denen zwei wirksame Medikamente miteinander verglichen wurden. Eine dieser Studien, die Heres und Kollegen 2006 im "American Journal of Psychiatry" veröffentlicht hatten, analysierte die Ergebnisse von Paarvergleichen der relativen Effektivität von Antipsychotika. Sie ermittelten so, dass in 90 Prozent der von der Industrie finanzierten Studien das Ergebnis für das Medikament der Sponsorfirma positiv ausfiel. Das führte zu dem paradoxen Effekt, dass bei einem Vergleich von Medikament A und B eben A effektiver war, wenn Produzent A die Untersuchung finanzierte, aber B, wenn Produzent B Geldmittel zuschoss.
Zuckerhaltige Limonaden scheinen Menschen weniger dick zu machen, wenn die Forschung von den Produzenten dieser Getränke finanziert wurde
Sponsoreneinflüsse untergraben nicht nur die Glaubwürdigkeit pharmakologischer Studien, sie verfälschen auch die Ergebnisse der Nahrungsmittelforschung. Beispiel dafür ist eine von Vartanian und Kollegen 2007 im "American Journal of Public Health" publizierte Studie, die die Wirkung von zuckerhaltigen Limonaden auf die tägliche Kalorieneinnahme und das Körpergewicht untersuchte. Die Autoren fanden, dass diese Limonaden in vom Hersteller finanzierten Untersuchungen einen geringeren Einfluss auf das Körpergewicht hatten als solche, die sich auf neutrale Geldgeber stützten. Zuckerhaltige Limonaden scheinen also Menschen weniger dick zu machen, wenn die Forschung von den Produzenten dieser Getränke finanziert wurde.
Obwohl der Einfluss der Forschungsfinanzierung durch die Industrie empirisch vielfach belegt ist, wissen wir wenig über die Prozesse, die für diesen Einfluss verantwortlich sind. Es gibt keine Belege dafür, dass die wissenschaftliche Qualität der von der Industrie geförderten Projekte schlechter ist als die neutral finanzierten. Es gibt auch keine Hinweise darauf, dass Wissenschaftler, deren Projekte von der Industrie finanziert werden, Daten verfälschen oder die Forschung bewusst so planen, dass sie für den Sponsor günstige Resultate erzielen. Andererseits wissen diese Forscher natürlich auch, dass Forschungsergebnisse, die zeigen, dass das Arzneimittel des Sponsors nicht nur wirkungslos ist, sondern auch noch eine Vielzahl schädlicher Nebenwirkungen hat, beim Sponsor wenig Begeisterung wecken würden. Und je geringer der Enthusiasmus einer Firma über die Ergebnisse der von ihr bezahlten Forschung ist, umso weniger wahrscheinlich ist es, dass diese Firma sich auch in Zukunft finanziell engagiert oder lukrative Beraterverträge anbieten wird. Bei den immer größer werdenden Schwierigkeiten, Mittel einzuwerben, ist die Aussicht auf eine garantierte Finanzierungsquelle sicherlich ein starkes Motiv, das Entscheidungen bei der Studienplanung beeinflussen könnte, ohne dass Forscher sich dessen bewusst sind.
Placebo versus Vergleichsmedikament
Wenn man davon ausgeht, dass die positive Beziehung zur Sponsorfirma einen unbewussten Einfluss auf die Planung einer Untersuchung ausübt, wird einsichtig, dass der Einfluss von Fall zu Fall auf unterschiedlichen Prozessen beruhen kann. Ein Prozess, der manchmal eine Rolle zu spielen scheint, ist die Entscheidung über das Kontrollprodukt, mit dessen Wirksamkeit das untersuchte Produkt verglichen wird. Wenn man sich, wie bei den Red-Bull-Untersuchungen, für eine Placebokontrolle entscheidet, muss das untersuchte Produkt schon völlig wirkungslos sein, um keinen statistisch signifikanten Unterschied zu erzeugen. Bei Vergleichen von Medikamenten wurde manchmal gefunden, dass das Medikament der Gegenfirma nicht in der vorgeschriebenen Dosierung verabreicht wurde, was sich negativ auf die Wirksamkeit ausüben kann. Da Daten nicht für sich selbst sprechen, sondern interpretiert werden müssen, kann die Verzerrung auch erst bei der Interpretation der Ergebnisse auftreten. Und schließlich kann der Sponsor die Befundlage auch durch eine selektive Veröffentlichungspraxis beeinflussen. Diese kann nicht nur in der Unterdrückung negativer Resultate bestehen, sondern auch in der Mehrfachpublikation verschiedener Aspekte von positiven Erkenntnissen.
Da die Wissenschaftsfinanzierung in manchen Ländern immer mehr an die Industrie ausgelagert wird, vertreten Politiker – sei es aus Naivität oder Opportunismus – häufig die Meinung, dass das Problem der Verzerrung von Untersuchungsergebnissen durch den Zwang, bei Veröffentlichungen Interessenkonflikte anzugeben, gelöst sei. Diese Verpflichtung ist sicherlich begrüßenswert, da es durch diese Informationen überhaupt erst möglich wurde, die enorme Breite der Problematik nachzuweisen. Die Tatsache, dass dieser Nachweis so vielfältig möglich war, belegt allerdings auch, dass diese Informationen die Probleme zwar sichtbar machen, aber nicht lösen. Eine weitere Verbesserung ist das in einigen Ländern eingeführte öffentlich zugängliche Register, in dem alle Arzneimitteluntersuchungen vor Beginn der Ausführung verzeichnet werden müssen. Diese Maßnahme erschwert das selektive Publizieren von positiven und die Unterdrückung von negativen Ergebnissen – oder macht dies zumindest sichtbar –, kann aber die vielfältigen anderen Strategien der Verzerrung von Forschung nicht verhindern.
Man könnte hoffen, dass die Richtlinien, die von Expertenkommissionen zur klinischen Praxis entwickelt werden, das Problem lösen würden. Da solche Vorgaben oft enorme Folgen für die pharmazeutische Industrie haben und da viele dieser Experten enge Verbindungen zu dieser Industrie pflegen, ist zu befürchten, dass auch sie in ihrem Urteil beeinflusst sein könnten. Deshalb müsste ein erster Schritt darin bestehen, dass Interessenkonflikte ein Ausschlusskriterium für die Mitgliedschaft in derartigen Expertenkommissionen werden. Als weiterer Schritt müssten alle Übersichtsartikel über Studien der Effektivität von Arzneimitteln die Ergebnisse von neutral oder industriefinanzierten Untersuchungen separat analysieren und die Stärke der Effekte separat berichten. Gegenwärtig geschieht diese getrennte Berichterstattung nur in Studien, die sich spezifisch mit der Wirkung der Finanzierungsquelle befassen.
All dies sind aber nur Teillösungen. Radikaler angehen möchten des Problem einige Autoren mit der Gründung eines unabhängigen Instituts für Arzneimittelforschung, das alle klinischen Prüfungen der Effektivität von Arzneimitteln durchführen soll. Dieses Institut müsste sich durch Mittel tragen, die der pharmazeutischen Industrie auferlegt werden. Ob eine derartige Konstruktion praktikabel ist, mag allerdings bezweifelt werden.
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