Naturschutz: Meinung: Wälder schützen heißt Leben retten
Bis zu 170 Millionen Hektar Wald könnten in den nächsten 15 Jahren weltweit verloren gehen – die fünffache Fläche Deutschlands. Die größten Verluste drohen dabei in tropischen Regionen; allein in Amazonien verschwinden im schlimmsten Fall knapp 50 Millionen Hektar Regenwald: ein Drittel des bisherigen Bestands. Vor diesem Szenario warnte nun die Naturschutzorganisation WWF. Diese traurige Prognose beruht auf zahlreichen wissenschaftlichen Studien, auf Satellitenbildern, die gegenwärtige Entwaldungsfronten zeigen, und auf der Fortschreibung gegenwärtiger Trends, die die zukünftige Abholzung beeinflussen können.
Mit Ausnahme von Ostaustralien liegen die elf Schwerpunkte der Landumwandlung in sich noch entwickelnden Staaten, die auf Naturkatastrophen zumeist sehr schlecht vorbereitet sind – etwa Kolumbien, Indonesien, Vietnam oder der Kongo. Hier sterben jetzt schon jedes Jahr tausende Menschen durch Überschwemmungen, Erdrutsche oder Dürren, die ihre Ernten vernichtet haben. Kahlschläge verschärfen diese Krisen oder lösen sie gar erst aus, wie beispielsweise eine Studie von Corey Bradshaw von der Charles Darwin University im australischen Darwin und Kollegen nahelegt. Selbst Staaten wie Brasilien, die schon relativ weit entwickelt sind und zu den größten Industrienationen der Erde gehören, gefährden dadurch ihren Fortschritt. Das bewies die Dürre, die den Südosten des Landes während der letzten Monate zunehmend im eisernen Griff hatte.
Seit drei Jahren hat es in der Region deutlich weniger geregnet, als es im langjährigen Durchschnitt üblich war, dazu kommen immer wieder Hitzewellen. Beides zusammen sorgte dafür, dass Flüsse zu Rinnsalen schrumpften und Stauseen bis auf klägliche Reste verschwanden. Erst als Landwirtschaft, Industrie und nicht zuletzt die Bürger selbst im wirtschaftlichen Herzen Brasiliens über die mittlerweile unzureichende Wasserversorgung und verschmutzte Brühen klagten, ergriff die regionale Regierung erste Notstandsmaßnahmen – jedoch viel zu wenige, um die Situation zu verbessern. Selbst der einsetzende Regen im März und April entschärfte die Lage nicht, da die Niederschläge erneut hinter den Erwartungen zurückblieben.
Dabei hatten Wissenschaftler schon lange Alarm geschlagen: Einzugsgebiete von Flüssen wurden abgeholzt, bebaut und landwirtschaftlich genutzt. Vom atlantischen Regenwald, der sich einst von Argentinien bis hinauf nach Bahia im nordöstlichen Brasilien entlang der Küste erstreckte, blieben nach jahrhundertelanger Rodung nicht einmal sieben Prozent der ursprünglichen Fläche übrig – dieser Rest verteilt sich zumeist auf kleine und kleinste Waldinseln in einem Meer aus Zuckerrohr und Viehweiden. So können sie ihre Rolle als Wasserspeicher und Klimaregulator nicht mehr erfüllen. Und nun droht langsam noch größeres Ungemach aus dem Amazonasbecken: Verschiedene Studien zeigen, dass der riesige Regenwald dort nicht nur sein Klima selbst macht und immer neue Regenfälle erzeugt – er beeinflusst sogar noch die Niederschläge in weit entfernten Gebieten. Wird der Wald flächendeckend vernichtet, schwächt sich auch der Ferntransport an Luftfeuchtigkeit ab, und die Niederschläge nehmen ab. Die gegenwärtige Dürre sehen verschiedene Geowissenschaftler als Vorboten dieser Entwicklung; schon jetzt kostete sie Staat und Wirtschaft Milliarden Euro für Notmaßnahmen durch Missernten und Produktionsausfälle.
Geht der Wald, kommt die Flut
Während Brasiliens relativ reicher Süden mit Wassernotständen noch einigermaßen gut zurechtkommt, hat die Abholzung an anderer Stelle tödliche Folgen. Das lehrte beispielsweise 2010 das katastrophale Beben in Haiti, bei dem schätzungsweise mehr als 300 000 Menschen starben. Viele der Opfer kamen unmittelbar durch einstürzende Gebäude ums Leben, doch ein Teil ging auch auf Spätfolgen der Erschütterungen zurück: Erdrutsche, deren Material sich während des schweren Schlags gelockert hatte und die sich während der folgenden Regenzeit von den völlig kahl geschlagenen Hängen lösten. Der Geologe Shimon Wdowinski von der University of Miami geht sogar so weit zu sagen, dass ein Beben dieser Magnitude sogar nur durch die Abholzung mitausgelöst werden konnte: Das massenhaft abgetragene Sediment aus Haitis entblößten Bergen habe den Druck auf die örtliche Verwerfungslinie so massiv erhöht, dass sie in der beobachteten Stärke brach.
Diese Korrelation zwischen Abholzung und Beben ist noch sehr spekulativ, doch zeigt sich bei einer anderen Katastrophe in Malaysia ein eindeutiger Zusammenhang zwischen zerstörten Wäldern und tödlichen Überschwemmungen: Während heftiger Niederschläge im Dezember 2014 wurden Bundesstaaten massiver von Überflutungen getroffen, die in den Vorjahren viel Wald verloren hatten. Besonders die Abholzung an den Oberläufen im Hügelland und im Gebirge der Halbinsel verstärkte den Oberflächenabfluss: Die Wälder fungieren dabei als eine Art Puffer und verlangsamen die Wasserabgabe an Bäche und Flüsse. Gehen sie verloren, schießt der Regen schnell die Hänge hinab und reißt dabei meist noch Erdreich mit sich. Mindestens 200 000 Menschen mussten evakuiert werden, 20 starben. Dieses Szenario lässt sich immer wieder in vielen Teilen der Welt beobachten: auf den Philippinen, in Vietnam, Pakistan und Kolumbien. Und auch in Nepal wird man diesen Zusammenhang in den nächsten Monaten wohl leider beobachten müssen. In dem gerade von einem schweren Erdbeben getroffenen Himalajastaat reduzierte sich die Waldbedeckung während der letzten 25 Jahre um mehr als ein Viertel, viele Hänge haben ihre natürliche Vegetation verloren. Nun steht der Monsun an, und seine Wassermassen treffen auf den ungeschützten, zerrütteten Untergrund.
Deshalb muss endlich wieder der internationale Schutz von Wäldern auf der politischen Agenda nach vorne rücken. In den nächsten 15 bis 20 Jahren wollen die 20 größten Industrienationen Billionen US-Dollar in Infrastrukturprojekte weltweit stecken, in Straßen, Staudämme und Minen. Viele davon sollen bislang noch intakte Waldgebiete in Südamerika, Afrika und Südostasien erschließen. Dabei bilden gerade Straßen Einfallschneisen für die Besiedlung und sorgen dafür, dass riesige Flächen zu Viehweiden, Plantagen oder Äckern umgewandelt werden. Zumeist geschieht diese Landnahme unkontrolliert und häufig sogar illegal. Der beste Schutz für die Gebiete ist es daher, sie gar nicht erst zugänglich zu machen. Die bereitgestellten Gelder sollten zumindest teilweise vorzugsweise in verbesserte landwirtschaftliche Methoden investiert werden, statt Neuland verfügbar zu machen. In Brasilien ließen sich die landwirtschaftlichen Erträge steigern, ohne dass dies auf Kosten natürlicher Ökosysteme gehen müsste – etwa durch gezielteren Düngemitteleinsatz oder Schulung von Kleinbauern.
In Ländern wie Nepal oder auf den Philippinen, wo die Abholzung nicht wie in Brasilien oder Indonesien durch Großkonzerne durchgeführt wird, sondern meist von der verarmten Landbevölkerung ausgeht, müssen dagegen andere Maßnahmen ergriffen werden. Vieles davon ist schon lange bekannt, es hapert nur an Umsetzung und Finanzierung: Die Menschen brauchen hier Solar- oder Biomassekocher, damit sie nicht mit Holzkohle ihre Lebensgrundlage verwüsten. Man sollte landwirtschaftlich genutzte Hänge mit Terrassen stabilisieren, statt hilflos mitanzusehen, wie das Erdreich davonfließt, nur damit anschließend der nächste Bergwald abgeholzt wird. Und das sind nur zwei von zahlreichen erprobten Methoden, um den Verlust an Bäumen zu verringern. An anderer Stelle muss das Ökosystem Wald wiederhergestellt werden – durch natürlichen Aufwuchs oder gezielte Anpflanzung vorzugsweise mit einheimischen Arten. 20 Millionen Hektar Wald wollen etwa die lateinamerikanischen Staaten bis zum Jahr 2020 regenerieren und wiederaufforsten – eine Initiative, welche die reichen Staaten mit Geld und Knowhow unterstützen sollten. Denn Waldschutz schützt auf Dauer auch Menschenleben.
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