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In Bestform: »Motivation entsteht aus Anreiz und Erwartung«

Um im Sport erfolgreich zu sein, braucht es mentale Stärke. Die lässt sich mit einfachen Methoden trainieren. Wie genau, erklärt der Sportpsychologe Jürgen Beckmann im Interview.
Der Tennisprofi Rafael Nadal jubelt nach seinem Sieg über den an Nummer 2 gesetzten Danil Medvedev im Endspiel der Australian Open 2022 in Melbourne, Australien.

Mental gut drauf zu sein, ist für Sportlerinnen und Sportler enorm wichtig. Sonst hält man einen Marathon oder anstrengenden Wettkampf womöglich nicht durch. Doch was kann man tun, um mental stärker zu werden? Im Interview gibt der Sportpsychologe Jürgen Beckmann von der Technischen Universität München Tipps.

»Spektrum.de«: Der zweifache Olympiasieger Kipchoge Keino hat einmal gesagt: »75 Prozent beim Laufen sind mental.« Stimmen Sie zu?

Jürgen Beckmann: Die mentale Einstellung ist für jeden Sportler wichtig. Bei vielen Freizeitsportlern geht es vor allem darum, sich überhaupt zum Laufen oder anderen Sportarten aufzuraffen. Für Spitzensportler wiederum gilt die mentale Komponente als entscheidend für den großen Erfolg, auch »cutting edge« genannt.

Also ist mentales Training vor allem im Leistungssport wichtig?


Ja. Wie genau das aussieht, hängt von der Sportart ab. Verschiedene Sportarten stellen unterschiedliche mentale Anforderungen. Im Golf beispielsweise ist die mentale Komponente enorm wichtig.
Jürgen Beckmann | Der Sportpsychologe hat von 2006 bis 2021 den Lehrstuhl für Sportpsychologie an der Technischen Universität München geleitet. Seit April 2021 ist er zwar offiziell emeritiert, arbeitet aber noch an mehreren Forschungsprojekten und sitzt im Beraterstab der Universität.

Warum?
Weil man zwischendurch viel Zeit zum Denken hat. Das kann schädlich sein. Ich grübele vielleicht darüber, warum ich beim letzten Loch so schlecht gespielt habe, oder denke: Bei dem Loch, auf das ich gerade spiele, habe ich noch nie getroffen, der Ball ist immer im Wasser gelandet. Und was man denkt, tritt oft auch ein.

Also möglichst schnell spielen, ohne zu denken, oder was wäre Ihr Rat?

Nein. Einfach draufzuschlagen hilft meistens nicht. Es ist wichtig, sich zu konzentrieren. Das gilt im Prinzip für alle Sportarten, bei denen eine Leistung auf den Punkt abgerufen werden muss. In den 1980er Jahren haben wir eine Studie mit einer damaligen Damen-Basketball-Bundesligamannschaft durchgeführt. Die Spielerinnen haben Freiwürfe gemacht. Dabei haben wir festgestellt, dass sich das Verhältnis zwischen Zeit und Trefferquote wie eine umgekehrte U-Funktion verhält. Nahm eine Spielerin den Ball auf und warf sofort, ohne entsprechende Vorbereitung und Konzentration, traf sie meist nicht. Der ideale Zeitpunkt zum Werfen lag bei etwa eineinhalb Sekunden. Warteten die Sportlerinnen länger, ging es auch eher schief, weil sie zu grübeln begannen.

Von Sportler zu Sportler

Skifahren ist Jürgen Beckmanns liebste Disziplin. Der alpine Stil macht ihm am meisten Spaß, als Skilehrer hat er aber auch Skilanglauf unterrichtet. Die Geschwindigkeit dabei hat ihn schon immer fasziniert. Früher ist er gerne weite, schnelle Kurven gefahren und gesprungen. Heute fährt er sehr gern enge Kurven mit dem Slalomski.

Wie kann man das verhindern?

Es gibt verschiedene Techniken, um zu lernen, nicht an mögliche Misserfolge oder Gefahren zu denken. Wenn ich beim Skifahren im Starthäuschen stehe und weiß, ich habe eine schwierige, steile Strecke vor mir, zähle ich beispielsweise runter: drei, zwei, eins – los! Das hilft mir, mich zu fokussieren und den Start zu automatisieren. Oft gehört eine Visualisierung dazu. Golfer stellen sich zum Beispiel vor, wie sie den Ball treffen, wie dieser fliegt und aufkommt. Damit kann man positiv beeinflussen, was passiert.

Was für erprobte Strategien gibt es noch?

Rechtshänder ballen die linke Hand zur Faust, für etwa 15 Sekunden. Mindestens zehn Sekunden braucht das Gehirn, um entsprechend zu reagieren. Das sorgt für eine Art Reset. Die negativen Gedanken verschwinden, man ist voll konzentriert auf eine Sache. Wie gut das funktioniert, haben wir zuletzt für den Aufschlag im Tennis untersucht. Der Spieler oder die Spielerin hat den Ball in der linken Hand und drückt ihn dynamisch zusammen. Wir haben festgestellt, dass die Genauigkeit der Aufschläge dadurch deutlich zugenommen hat. Auch beim Elfmeterschießen im Fußball, beim Golf und beim Taekwondo kann die Technik helfen, wie unsere Studien zeigen.

Funktioniert das auch mit der anderen Hand für Linkshänder?

Leider nicht. Bisher haben wir noch keine Methode für Linkshänder gefunden.

Kann mir die Technik helfen, beim Laufen besser durchzuhalten? Eigentlich sollen die Hände da ja gerade und offen sein.

Eher nicht; zumindest nicht auf langen Strecken. Für die mentale Unterstützung beim Laufen gibt es unterschiedliche Ansätze. Der amerikanische Sportpsychologe Gareth Morgan hat das sehr intensiv untersucht. Er kommt zu dem Schluss, dass es für einen Amateur hilfreich ist, sich abzulenken. Indem er Musik hört oder mit anderen redet beispielsweise. Für einige Profis – zumindest Langstreckenläufer – ist es hingegen besser, sich über den Belastungszustand und den Zeitplan klar zu sein.

Wenn ich einen langen Lauf mache, denke ich mir oft: Jeder Schritt, den du machst, ist einer weniger.

Das ist ein sehr gutes Bild und durchaus hilfreich. Ich habe mal eine Läuferin betreut, die eine Art Turbo einschalten konnte, wenn es darum ging, ein Rennen auf den letzten Metern zu gewinnen. Sie hat sich dann die Comicfigur »Road Runner« vorgestellt, bei der gewissermaßen die Beine durchdrehen. Das hat ihr einen Schub gegeben, und sie ist an allen vorbeigezogen.

Was ist mentale Stärke?

Der Begriff »mental« leitet sich vom lateinischen »mens« = Geist ab und bedeutet: den Geist oder das Denken betreffend. Viele Menschen verwenden das Wort fast selbstverständlich: Man muss sich mental auf etwas vorbereiten, etwa auf eine berufliche Herausforderung oder ein anstrengendes Treffen. Oder aber jemand sagt: »Ich bin mental nicht gut drauf.«

Eine mental starke Person kann ihre eigenen Gedanken ins Positive deuten und trotz widriger Umstände das Beste aus einer Situation machen. Mentalität ist also etwas, was sich bewusst erleben und verändern lässt. Die Psyche dagegen bezeichnet die Gesamtheit des menschlichen Fühlens, Empfindens und Denkens.

Eine Metaanalyse legt nahe, dass Selbstgespräche die sportliche Leistung verbessern können. Stimmen Sie zu?

Absolut. Sofern es keine negativen Selbstgespräche sind. Damit kann man sich viel kaputt machen, ähnlich wie mit dem Grübeln. Wenn man sich etwa sagt: Du schaffst das nicht. Dein Trainingszustand ist nicht gut genug. Oder: Immer, wenn du mit Person XY ein Rennen läufst, verlierst du.

Wie schafft man es, diese negativen Gedanken loszuwerden?

Man muss sie neu formen. Dazu kann man alle negativen Gedanken aufschreiben, die einem in einer solchen Situation in den Sinn kommen. Dann versucht man, jeden einzelnen in eine motivierende Aussage umzuwandeln. Etwa: Gerade weil Person XY mitläuft, laufe ich heute besonders schnell. Ich werde ihr zeigen, was in mir steckt. Jeder Athlet und jede Athletin muss für sich selbst herausfinden, was am besten funktioniert. Dass die Methode an sich hilft, beweist eine ganze Reihe von Studien.

Kann man sich nicht leicht übernehmen, wenn man sich selbst puscht?

Durchaus. Gerade beim Laufen besteht immer die Gefahr, dass man ein Rennen zu schnell angeht. Viele lassen sich von anderen mitziehen, obwohl sie eigentlich ein anderes Tempo trainiert haben.

Wie bleibt man ruhig?

Mein Gedanke: Die rennen jetzt alle los und können bald nicht mehr – ich aber nicht. Denn ich laufe clever, und nachher überhole ich sie alle. Ob man das gut kann, hängt ein Stück weit von der Persönlichkeit ab. In Studien haben wir gelernt, dass es lageorientierte und handlungsorientierte Personen gibt. Die Lageorientierten lassen sich sehr leicht mitreißen und sind schnell erschöpft. Dann ziehen die Handlungsorientierten, die sich selbst besser regulieren können, an ihnen vorbei.

Wie lässt sich Muskelkater vermeiden? Wie viel sollten Sportler trinken? Diesen und weiteren Fragen widmet sich die Biochemikerin Annika Röcker in ihrer Kolumne »In Bestform«. Mit Expertinnen und Experten aus der Sportmedizin diskutiert sie, was beim Sport im Körper vorgeht und wie ein gesundes Training aussieht.

Lässt sich das trainieren?

Ja. Man kann zum Beispiel Steigerungsläufe machen: Dabei laufe ich relativ langsam los und ziehe dann gezielt das Tempo an. Das braucht aber sehr viel Disziplin und Selbstüberzeugung. Ich muss genau so schnell laufen, dass ich meine Ressourcen nicht erschöpfe, aber dranbleiben kann und am Ende noch genügend Energie habe, um die anderen zu überholen. Ich muss mir sicher sein, dass mein Plan aufgeht. Auch darf man nicht zu langsam starten. Sind die anderen zu weit weg, hat man keine Chance mehr.

Kann Motivation von außen helfen? Etwa, wenn einen jemand kräftig anfeuert?

Kaum. Man kann nicht von außen motivieren – was die Leute machen, muss sie motivieren. Motivation entsteht aus Anreiz und Erwartung. Dazu gehört zum Beispiel der Gedanke an das Gefühl, wenn ich auf Skiern den Hang hinuntersause oder mit dem Motorrad richtig gut in der Kurve liege.

Das deckt sich mit Aussagen von Forschern, denen zufolge es bei der Motivation nicht um das Gefühl davor oder danach geht, sondern darum, sich während des Sports wohl zu fühlen.

Ich würde das Gefühl danach nicht grundsätzlich ausschließen. Wenn man sich nicht zum Sport aufraffen kann, hilft es unter Umständen, sich das gute Gefühl vorzustellen, so richtig ausgepowert zu sein. Oder wie man das heiße Wasser beim Duschen danach genießt. Anreize haben immer etwas mit Emotionen zu tun. Und: Jede Situation, in der ich es geschafft habe, mich selbst zu überwinden, macht mich mental stärker.

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