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Kolumnen: Menu du jour: Liqueur et bouillon des légumes aromatisé des fleurs

Mediosagittalschnitt
So in der zweiten Woche des Präparierkurses, bei dem es um Kopf und Hirn geht, wenn wir endlich und hoffentlich zerstörungsfrei das Denkorgan aus dem Schädel gebastelt haben, wenn wir es schließlich gepellt und von seinen Häuten und Blutgefäßen befreit haben, wenn schon Hunderte von zu memorierenden anatomischen Termini über Kopf und Hirn in Crania und Cerebra (siehe Fußnote 1) der Studenten geschaufelt wurden, wenn ebenjene Kephala und Enkephala (Fußnote 2) der Studenten also schon gut warmgelaufen sind und von lauter Fachausdrücken schwindlig – so in der zweiten Woche des Kurses wiege ich das nackte Gehirn dann zärtlich in der Wölbung meiner beiden Hände und sag zu den Studenten:

"So. Und jetzt zeig ich Ihnen das schönste Gebilde der ganzen Anatomie!"

Und die Studenten drehen die Augäpfel nach oben (als ob von dort Hilfe zu erwarten wäre ...) und denken: "Oh mein Gott ... was erzählt er denn jetzt wieder für eine Schote?"

Und ich sag weiter: "... ich muss dazu nur ein wenig ausholen."

An dieser Stelle gibt es dann die ersten Ohnmachtsanfälle und Missfallensbekundungen. Das ficht mich aber nicht an. Schönheit hat ihren Preis und will hart erarbeitet sein. Dazu leg ich das Gehirn erst mal wieder sanft aus den Händen und greife, ganz resolut, zu jenem Werkzeug:

Hirnmesser
"Oha!", sagen die Studenten.

"Hirnmesser!", sag ich.

Und dann schneid ich mit kühnem Schnitt und ohne Gesäbel (denn sonst gibt's unschöne Fetzen) in einer wiegenden Bewegung (einmal vor und einmal zurück) das Hirn längs mittendurch.

"Das war jetzt ein Mediosagittalschnitt", sag ich und betrachte mein Werk, das, wenn's gut ausgegangen ist, so aussieht:

Mediosagittalschnitt | Ein Hirn, mittig längs ("mediosagittal") gespalten: Die Konturen des dritten (oben) und des vierten (unten) Ventrikels sind rot hervorgehoben, beide werden durch den engen Sylvischen Aquaedukt miteinander verbunden. Der obere grüne Pfeil liegt in einer Öffnung ("Foramen interventriculare"), die die (verborgenen) seitlichen Ventrikel des Großhirnes mit dem dritten Ventrikel verbindet. Der untere grüne Pfeil markiert die mittlere, unpaare Abflussöffnung des Liquors. Wenn man dort, wo im vierten Ventrikel der grüne Punkt ist, zu Seite hin sondiert, gelangt man zu der seitlichen Öffnung des vierten Ventrikels im so genannten Kleinhirnbrückenwinkel (siehe Abbildung 4). Der blaue Pfeil weist auf den Plexus chorioideus des vierten Ventrikels.
"Très bien", verkünde ich dann, "das hat geklappt. Mittendurch. Und jetzt nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Das Hirn ist hohl. Es ist ein Hohlorgan, so wie der Magen eines ist, die Harnblase oder der Enddarm – womit ich allerdings nichts über des Hirnes Funktion gesagt haben will. Seh’n Se mal hier ..." (und ich schiebe eine Sonde dahin, wo in der Abbildung der obere grüne Pfeil ist) ... "Seh’n Se mal hier, da ist rechts und links in den Hemisphären ein je ein großes Loch. Das sind die Seitenventrikel." "Ventrikel" kommt übrigens von "Venter", und das heißt wirklich: "der Bauch".

"So, so ...", gähnen die Studenten, und einer fragt: "Wozu sind die Ventrikel da?"

"Oh!", sage ich, "das ist eine interessante, eine gute Frage, da müsst ich nur ein wenig ausholen ..." (allgemeines Geächze) "... um das zu erklären. Wie hätten Sie's denn gerne? Ontogenetisch, phylogenetisch, funktionell, historisch oder philosophisch?"

"Prüfungsrelevant ...", sagt ein Student.

"Grmpf", sage ich, und weiter: "Also gut: In den Ventrikeln des Gehirns, von denen es viere gibt, die wir uns gleich noch ansehen, und in deren einem, dem rechten Seitenventrikel eben, jetzt die Sonde liegt, ist eine wasserklare Flüssigkeit, der Liquor cerebrospinalis ..."

(und muss, während ich das sage, an diese reizende französische Anatomin denken, mit die 'errlisch süße Aggson, die immer 'at geredt vom "liqueur serebrospinal', aber 'at ausgesprochen das "liqueur" wie "Likör", womit sie ja eigentlich doppelt Recht hatte, etymologisch und francophonetisch, und ich trank das Wort von ihren vollen, roten Lippen wie süßen Kirschlikör ...)

"... der aber wahrscheinlich gar nicht gut schmeckt."
"Wie bitte?", sagen die Studenten.

"Uups, sorry", sag ich, "nur so 'ne Assoziation, Liquor und Likör sind dasselbe Wort. Also, die Brühe da drin ähnelt in ihrer Zusammensetzung dem, was Sie auch in einer Brandblase finden: fast nur Wasser, Ionen, ein paar Proteine, die es leicht klebrig machen, Zelltrümmer – nichts Nahrhaftes. Also eher so eine Art innere Hirnspülung. Zudem schwimmt das Hirn auch da drin, denn außen drum herum ist auch dieser Liquor. Wird im Übrigen dauernd ersetzt, also so eine Art von Klospülung, die permanent läuft – ein guter halber Liter am Tag. Haben Sie doch schon gelernt: Der Liquor, der um das Gehirn herum steht, wird in den Granulationes arachnoidales sive Pacchionii ins venöse System zurückgeleitet ..."

"C'est vrai", sagt eine Studentin, deren Muttersprache Französisch ist, "und wo kommt er 'er, der viel' Likör, in dem das 'irn schwimmt wie ein Sigarett' in ein Männerpissoir?"

"Oha!", sag ich, "Sie haben aber interessante Assoziationen!"

"Auf einen Schelmen andert'alb!", gibt sie zurück und grinst mich an, woraufhin ich beschließe, sie für den nächsten Präpkurs als Hilfsassistentin zu heuern, wenn sie das denn will.

"Nun", so mach ich weiter, "der Liquor cerebrospinalis ist so eine Art von Gemüsebrühe, bouillon de légumes ..." (verwirrte Blicke, einer sagt leise zum Nachbarn: "Jetzt dreht er endgültig ab!") "... ist so eine Art von Gemüsebrühe", fahre ich ungerührt fort, "denn er wird hier, von diesem Organ produziert, das doch wirklich aussieht wie Brokkoli."

Plexus chorioidei | Au wei, das ist jetzt wirklich schwer zu erklären. Das ist eine von Tamás Sebestenys Wunderpräparationen, ein kunstvoll gefenstertes Großhirn mit zurückgeklapptem Fornix. Wenn ich jetzt alles beschreiben wollte, was man hier sieht, würde die Bildlegende länger als die Geschichte, die ich eigentlich erzählen will. Also, in knappster Kürze: Man schaut von oben in die Seitenventrikel hinein. Das, worauf es ankommt, ist mit blauen Pfeilen markiert: die großen Plexus chorioidei in den Ventrikeln, die den größten Teil des Liquors produzieren.
Und ich zeige den Studenten das, was man in der Abbildung sieht: ein wurst- oder strangartiges Organ, dessen Oberfläche tatsächlich an die des Brokkolis erinnert, und das auf den Boden der Seitenventrikel des Gehirnes liegt.

"Das ist der Plexus chorioideus, das gefäßreiche Geflecht, der macht den Liquor. Die Plexus – es gibt mehrere davon, warten Sie nur ab – sind im Lebenden gut durchblutet und quietschbunt blau-rot vom arteriellen und venösen Blut. Sie fallen also, wenn man sie an einem lebenden oder unfixierten Hirn sieht, viel mehr ins Auge als hier, bei unserem toten, formalinfixierten Material. Sie sind richtig nett anzusehen – zwei Brokkoli-Blutwürste im den Seitenventrikeln, sozusagen."

Und dann zeig ich den Studenten (siehe zweite Abbildung oben), wie der Liquor durch die Foramina interventricularia in den dritten Ventrikel, den des Zwischenhirnes, gelangt, und marschiere mit der Zeigesonde weiter in Richtung auf das Mittelhirn und sage:

"Schau'n Sie hier, hier wird es jetzt eng. Jetzt muss der Liquor durch diesen engen Kanal, der übrigens einen hübschen Namen trägt. Er heißt die 'Wasserleitung des Gehirns', Aquaeductus cerebri oder Sylvische Wasserleitung, nach ihrem Entdecker, dem Herrn Sylvius ... soll ich Ihnen jetzt lieber eine Anekdote vom Herrn Sylvius oder was über Wasserköpfe erzählen?"

"Wasserköpfe!", entscheiden die Studenten sofort.

"Gut", seufze ich, "dann verpack ich meine Anekdote über den Sylvius halt in eine Fußnote." (3)

"Der Aquaedukt", sag ich, "kann, weil er halt so eng ist, leicht verstopfen. Das kann angeboren sein, das kann aber auch passieren, wenn irgendwo im Gehirn ein Raum fordernder Prozess, ein Tumor oder eine Schwellung ist. Dann wird der Aquaedukt verschlossen, die Plexus chorioidei da vorne machen weiter munter Liquor, der Druck steigt, die Ventrikel blähen sich, die Hirnwand dünnt sich aus – voilá: ein innerer Wasserkopf, Hydrocephalus internus."

"Einen äußeren gibt's auch?", fragt ein Student.

"Ja freilich, andere Baustelle, reden wir ein andermal drüber. So – wir nähern uns der Klimax! Gegeben, dass alles in Ordnung ist und die Wasserleitung nicht verstopft, fließt der Liquor jetzt in den vierten Ventrikel, den des Rautenhirnes."

"Was ist das für ein verquer' Sählerei?", fragt die francophone Studentin, "isch seh ein Ventrikel im Rauten'irn, Sie sagen, das ist der viert', dann l'Aquedüc, dann der dritt' da im Swischen'irn – was ist die Nümero eins, was swei? Der recht' oder der link' in der 'emisphär? Là, à gauche ou à droite?"

Ich grinse und beschließe nun, sie erst recht zu heuern. "Tut mir leid", gebe ich ihr zur Antwort, "das kann ich Ihnen nicht sagen, das kann Ihnen niemand sagen. Es ist einfach ein dummes Stück anatomischer Terminologie. Es ist, als ob man nicht vom rechten und linken Auge, sondern vom ersten und zweiten Auge reden wollte, oder vom ersten und zweiten Bein und nie klarmachte, welches man nun meint. Es ist ein Schmarr'n, mit der Ventrikelzählerei. Ich hab aber einen Verdacht, warum die Anatomen das machen. Die Abzählerei hat nämlich Tradition und hat damit zu tun, dass man ganz früher glaubte, dass es wirklich nur drei unpaare, hintereinandergeschaltete Ventrikel gäbe, in denen übrigens – das ist philosophiegeschichtlich unheimlich interessant – von vorne nach hinten der Intellekt, das Empfindungsvermögen und die Erinnerung residieren sollten. Was natürlich alles Unsinn ist, aber spannend – wenn ich Ihnen mal in ein wenig mehr Details erklären darf, wie man eigentlich darauf kam, die Seele in den Ventrikeln zu verorten ..."

"Bitte nein!", sagen die Studenten.

"Schade", sag ich, "also gut: Zurück in die Anatomie, ich schuld Ihnen ja immer noch das schönste Gebilde des menschlichen Leibes. Fein. Jetzt sind wir also im vierten Ventrikel. Und, sehen Sie mal, da oben, in dessen Dach, ist schon wieder so ein Brokkoli, so ein Plexus chorioideus. Der macht auch Liquor, und der muss jetzt irgendwie raus aus dem Ventrikel, in den Subarachnoidalraum rund ums Gehirn. Damit es darin schwimmen kann wie ... äh ... ja, wie ein Fisch im Wasser, das ist besser, geraucht wird nachher. Und es gibt Löcher, durch die der Liquor abfließt. Ein unpaares, hier in der Mittellinie unter dem Cerebellum: Das ist die Apertura mediana ventriculi quarti ..." (ich schaue die Französin an) ... "Ihrem Landsmann Frongsoa Maschondie zu Ehren auch 'Apetura Magendii' geheißen. Soll ich Ihnen eine Schnurre von Herrn Magendie erzählen?"

"Nein!"

(Seufzer, ich schnappe mir eine Sonde und versuche mit der, ganz vorsichtig, eines der seitlichen Löcher zu sondieren, durch die der Liquor abfließt. Im Bild oben [Abb. 2] ist der Weg der Sonde mit einem grünen Punkt markiert. Und wenn das mit der Sondierung gut geht, dann komme ich mit der stumpfen Spitze meines Werkzeuges außen am Gehirn an einer Stelle heraus, die in der folgenden Abbildung stark vergrößert und im Detail wiedergegeben ist.)

Kleinhirnbrückenwinkel | Im Kleinhirnbrückenwinkel: Das wie plissiert erscheinende Gebilde ist das Cerebellum, der rechte Bildrand wird vom Hirnstamm eingenommen, aus dem man zahlreiche Hirnnerven hervortreten sieht. Eingezwängt in diesen Winkel sieht man (rote Markierung) das ... das verrat ich nicht. Das steht im Text.
Bitte beachten Sie, dass dieses Präparat deutlich weniger schön ist als die, die ich weiter oben zeigte. Da sind so ein paar Schnitzer in der Hirnoberfläche, und es ist noch etliches von den Hirnhäuten dran. Das liegt daran, dass ich – und nicht Tamás Sebesteny – das Präparat gemacht habe. Er kann das einfach besser. Tamás, das Genie des Skalpells und der Pinzette ...
"Voilá, nous sommes la!", sag ich stolz. "Gucken Sie: Die Sondenspitze kommt außen im Subarachnoidalraum im so genannten 'Kleinhirnbrückenwinkel' raus, zwischen all diesen Hirnnerven da, dem Facialis, dem Intermedius, dem Vestibulocochlearis ... und jetzt gucken Sie mal ganz genau: Gleich neben der Sondenspitze, also außen am Gehirn, da liegt schon wieder so ein Stück Brokkoli. Nicht wurstförmig diesmal, sondern kreisrund – ach was: halbkugelig, in diesen Winkel eingeklemmt wie ein winziges, eng gebundenes Barockblumensträußchen in einer Papiermanschette ..."

"???"

"... das ist das schönste Gebilde des menschlichen Körpers, das ist das Bochdaleksche Blumenkörbchen!"

"Im Ernst?"

"Im Ernst", sag ich, "das heißt wirklich so. Soll ich Ihnen eine Geschichte vom Herrn Bochda ..."

"NEIN! Außerdem ist das gar nicht schön! Was soll das? Wozu ist das gut?"

"Nun", sag' ich, "das Bochdaleksche Blumenkörbchen ist nichts weiter als ein Teil des Plexus chorioideus des vierten Ventrikels – den ich Ihnen ja gerade gezeigt hab –, ein Teil dieses Plexus also, der durch die seitlichen Öffnungen hindurch, in denen jetzt die Sonde liegt und durch die auch der Liquor fließt, in den Subarachnoidalraum vorragt. Die seitlichen Öffnungen heißen übrigens die Aperturae laterales sive Luschkae, von dem ich allerdings keine Anekdote weiß. Und wenn Sie das nicht schön finden, dann kann ich Ihnen auch nicht helfen.
Menschenskinder!

Ja, zugegeben – ein winziger Blumenkohl. Aber was für ein Name! Was für eine Assoziation! Booch-da-lek-sches Bluu-men-körb-chen! Laang-kurz-kurz-kurz-Laang-kurz-kurz-kurz, das hat Rhythmus, das hat Metrum, das ist ein wortgewordener Sechsachteltakt, das stabreimt, das alliteriert, das ist traumschön, das ist Anatomie, zu Lyrik geronnen!" (4)

Bochdaleksches Blumenkörbchen
"Pfrr ... müssen wir den Namen lernen?"

"Nö", sag ich, "Sie können sich auch den lateinischen Namen merken – Pars subarachnoidalis sive perforans plexus chorioidei ventriculi quarti ..."

(kollektiver Aufschrei): "Wir ergeben uns! Wir nehmen den Blumenkorb!"

Ich (zufrieden): "Ha! Wieder ein Sieg des Wahren, Schönen, Guten! Danke fürs Zuhören!"

(Anatomiestunde vorbei, Zigarettenpause)


Helmut Wicht ist promovierter Biologe und Privatdozent für Anatomie an der Dr. Senckenbergischen Anatomie der Goethe-Universität Frankfurt am Main.


Fußnoten:

(1) Cranium und Cerebrum (lateinisch): "Schädel" und "Hirn" – also Kopf und Bregen

(2) Kephalon und Enkephalon (griechisch): "Kopf" und "Im-Kopf" – also Haupt und Hirn

(3) Jacobus Sylvius (1478-1555) war Professor der Anatomie in Paris. Die besagte Wasserleitung des Gehirns ist nach ihm benannt, aber auch die tiefe seitliche Furche des Kortex, die den Schläfen- vom Scheitellappen trennt. Sylvius war berühmt für seinen wirklich schmutzigen Geiz. Nie erließ er einem armen Studenten die Hörergebühren, und die Legende sagt, dass er, nachdem er, um Geld zu sparen, seine Haushälterin entlassen, sein Pferd verkauft und endlich auch noch seine Katze verjagt hatte, gesagt haben soll: "Nun endlich bin ich ein glücklicher Mann!" Als er starb, sammelten zu jedermanns Verwunderung die Studenten Geld aus ihren schmalen Budgets und setzten ihm einen Grabstein. Darauf schrieben sie:

"Sylvius hic situs est, gratis qui nil dedit unquam. Mortuus et gratis, quod legis ista, dolet."

("Hier liegt Sylvius, der nie irgendetwas umsonst tat. Tot und umsonst ärgert er sich jetzt über das, was du hier liest.")

(4) Den Notensatz und die Taktempfindung verdanken wir einem Musikus, Herrn Dietmar Hilsebein. Merci!

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