Freistetters Formelwelt: Die richtige Gleichung hilft, Eichhörnchen zu schützen
Die Biologie unterscheidet 29 Arten von Eichhörnchen. Bei uns in Mitteleuropa sehen wir aber vor allem das Eurasische Eichhörnchen, das meistens ein rötliches Fell hat; im Winter aber auch dunkelbraun bis schwarz gefärbt sein kann. Will man es vom nordamerikanischen Grauhörnchen unterscheiden, sollte man sich also besser an den Ohren orientieren, denn den Grauhörnchen fehlen dort die pinselförmigen Haare.
Dass man die eigentlich auf unterschiedlichen Kontinenten heimischen Tiere überhaupt voneinander unterscheiden muss, liegt an britischen Reisenden aus dem 19. Jahrhundert. Diese hielten es für eine gute Idee, Grauhörnchen aus Amerika mitzubringen und in Großbritannien auszusetzen. Seitdem verbreiten sie sich dort rasch und verdrängen die heimischen Eurasischen Eichhörnchen. Wie das genau abläuft, hat Andy White von der University of Edinburgh in jahrelanger Arbeit mit mathematischen Modellen untersucht, die zum Beispiel auf solchen Formeln basieren:
Diese fünf Gleichungen beschreiben die zeitliche Entwicklung der Hörnchenpopulationen, wobei die heimischen Tiere mit dem Index R gekennzeichnet werden und Grauhörnchen mit G. Die anderen Variablen beschreiben Parameter wie die Sterblichkeit und Fortpflanzungsrate. Wer schon ein wenig Ahnung von theoretischer Biologie hat, wird in den Gleichungen ein SIR-Modell erkennen: Mit S werden Individuen bezeichnet, die sich mit einer bestimmten Krankheit infizieren können (susceptible), mit I diejenigen, die schon infiziert sind und mit R jene, die sich von der Krankheit wieder erholt haben (recovered). Dass man sich bei der Beschäftigung mit Eichhörnchen überhaupt mit einem Modell zur Ausbreitung von Ansteckungskrankheiten beschäftigen muss, liegt am Squirrelpox virus, das die Eichhörnchenpocken auslöst.
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In den 1980er Jahren stellte man in Großbritannien fest, dass die grauen Hörnchen die einheimische verdrängten, obwohl eigentlich kein aggressives Verhalten zu beobachten war. Die aus Amerika stammenden Tiere waren besser darin, ihre Nahrungsvorräte im Winter wiederzufinden und neigten außerdem dazu, die Verstecke der Eurasischen Eichhörnchen zu plündern. Trotzdem zeigten die damaligen mathematischen Modelle, dass sie sich nicht so schnell ausbreiten sollten, wie man es beobachtete. Den Grund dafür entdeckte man erst später: Die amerikanischen Hörnchen übertragen ein Pockenvirus, gegen das sie selbst weitestgehend immun sind; die europäischen Tiere haben hingegen keine Abwehrkräfte und sterben schnell, wenn sie sich anstecken.
Eichhörnchen in Quarantäne
Erst wenn man auch die Epidemiologie in die Populationsmodelle einführt, bekommt man Resultate, die die Realität vernünftig beschreiben. Was auch dringend nötig ist, wenn man die einheimischen Arten schützen möchte. Die Arbeit von Andy White hat gezeigt, dass die damals vorherrschende Strategie – das massenhafte Töten der Grauhörnchen – wenig zielführend ist. Sinnvoller ist es, dafür zu sorgen, dass sich die Tiere gar nicht erst in die Quere kommen. Dort, wo große Populationen an Eurasischen Eichhörnchen existieren, müssen sie geschützt werden, quasi durch einen »Lockdown«. Das hat unter anderem Auswirkungen auf die Forstwirtschaft, die zum Beispiel durch das Fällen von Bäumen (oder das Aufforsten) die Verbreitung der Tiere und ihr Mobilitätsverhalten beeinflussen kann.
Die nach Großbritannien eingeschleppten Tiere haben sich bis jetzt nicht nach Mitteleuropa ausgebreitet. Allerdings wurden nach dem Zweiten Weltkrieg auch Grauhörnchen in mehreren Parks in Italien ausgesetzt. Noch haben sie sich nicht weiter nach Norden verbreitet und das Pockenvirus ist noch nicht aufgetreten. Aber früher oder später werden sie vermutlich auch zu uns kommen – das sagen zumindest die Computermodelle vorher.
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